Umgang mit jüdischem und deutschem Eigentum und Kulturerbe im Nachkriegspolen
2. Einleitende Bemerkungen
von Matthias Barelkowski
Das Problem der Rückübertragung von Immobilien jüdischer Besitzer in den Jahren 1944–1950. Ein Problemaufriss
von Alina Skibińska
Die heute gefeierte polnisch-jüdische Lyrikerin Zuzanna Ginczanka (1917–1944) schildert 1942 – zwei Jahre vor ihrer Ermordung durch die deutschen Besatzer – in ihrem später so berühmt gewordenen Gedicht „Non omnis moriar“, wie ihr in fremde Hände übergegangenes Eigentum dennoch seine Herkunft verrät und den neuen Besitzern wie ein Fluch anhaftet. Ginczankas Gedicht, das bereits 1946 in der Wochenzeitschrift „Odrodzenie“ [Wiedergeburt] veröffentlicht wurde, beschreibt damit ein Konfliktfeld, das bis heute die Debatten beherrscht: der Umgang mit dem Eigentum der im Holocaust ermordeten Juden Polens.
Weniger poetisch hatte sich Kazimierz Wyka – ebenfalls unmittelbar nach dem Krieg – in seinem Essay „Gospodarka wyłączona“ [Die abgekoppelte Wirtschaft] (siehe die Übersetzung und Einleitung auf diesem Portal) mit den enormen gesellschaftlichen Veränderungen befasst, die durch die Eigentumsverschiebungen in Polen ausgelöst wurden.
Trotz dieser literarisch-essayistischen Anregungen sollte es jedoch noch viele Jahrzehnte dauern, bis sich auch Historiker dieses Themas annahmen. Die fast sprichwörtlich gewordene Redewendung „Klucze i kasa“ [Schlüssel und Kasse] aus Wykas bis heute mehrfach publizierten Essay dient den Herausgebern des oben genannten Sammelbandes dabei als Titel.
Alina Skibińska unternimmt in ihrem Beitrag zu diesem Band den Versuch, das Thema Rückübertragung jüdischen Eigentums in der unmittelbaren Nachkriegszeit rechtshistorisch zu beschreiben. Entgegen den landläufigen Annahmen deklarierten die neuen Machthaber in Polen zunächst tatsächlich ihren Willen, während des Krieges entzogenes oder zwangsweise aufgegebenes Eigentum polnischer Staatsbürger unmittelbar nach dem Krieg zurückzuerstatten.
Im sogenannten Lubliner Manifest von 1944 heißt es dazu: „Das von den Besatzern begangene Unrecht muss schnellstens wiedergutgemacht werden. Das den einzelnen Bürgern, Bauern, Kaufleuten, Handwerkern, kleinen und mittleren Unternehmern, Institutionen und der Kirche von den Deutschen geraubte Eigentum wird den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben. Deutsches Vermögen wird konfisziert. Den auf bestialische Weise von den Besatzern behandelten Juden wird ein Wiederaufbau ihrer Existenz sowie die rechtliche und faktische Gleichstellung zugesichert.“
Hinsichtlich der Rückübertragung handelte es sich bei den Betroffenen tatsächlich sehr häufig um die wenigen jüdischen Überlebenden bzw. deren Erben, da diese am massivsten von der deutschen Besatzung betroffen waren. Skibińska, die mit Mythen und Gerüchten rund um dieses Thema aufräumen will, beschreibt deshalb akribisch die gesetzgeberischen Versuche, Ordnung in die schwierige Materie zu bringen. Demnach wurden in kurzer Zeit zahlreiche Gesetze, Dekrete und Verordnungen erlassen, um Eigentum zurückzugeben bzw. den Erben zu ihrem Recht zu verhelfen. Nicht selten widersprachen sich jedoch die Regelungen bzw. hielten den chaotischen Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht stand. Parallel dazu fanden zudem im Zuge der bald einsetzenden Nationalisierungskampagne massive Enteignungen von Betrieben, Immobilien und Nutzflächen statt.
In der Rechtspraxis mussten die Betroffenen zunächst zahlreiche bürokratische und praktische Hindernisse (notarielle Beglaubigungen und Vollmachten, hohe Gebühren, schlecht funktionierende Postwege) überwinden. Hinzu kam, dass die neuen Verwaltungsorgane sich erst etablieren mussten und in vielen Landesteilen eher eine „Wildweststimmung“ herrschte, die Betrügereien und Manipulationen rund um Eigentumsfragen begünstigte. Zudem gestaltete sich die Lage in den neu zu Polen gekommenen Landsteilen im Westen und Norden deutlich anders als etwa in Zentral-, Süd- und Ostpolen. Eine Ausnahme bildete die Hauptstadt Warschau, in der durch die sogenannten Bierut-Dekrete zunächst sämtliches immobiles Eigentum nationalisiert wurde.
Die Autorin konzentriert sich in ihrer Darstellung vor allem auf die Rückgabe(versuche) von Immobilien in Zentralpolen, speziell in der Kleinstadt Szczebrzeszyn, geht aber auch auf den Umgang mit beweglichem Eigentum und die teils traumatischen Erfahrungen beim Zusammentreffen von Alt- und Neubesitzern ein, bevor sie das Thema Eigentumsrückgabe in Polen kurz in den europäischen Kontext jener Jahre einordnet.
Für die Übersetzung wurde auf das Fallbeispiel Szczebrzeszyn verzichtet, sich darauf beziehende Passagen leicht gekürzt und die Fußnoten entsprechend angepasst.
Die Veröffentlichung des Aufsatzes im Rahmen der „Übersetzten Geschichte“ will dazu beitragen, diese im deutschsprachigen Raum wenig bekannten Folgeerscheinungen der Shoah in Polen hierzulande bekannter zu machen und ein Problembewusstsein für dieses bis heute nachwirkende Thema zu schärfen.
Wir danken dem Verlag und der Autorin, die am „Zentrum zur Erforschung der Vernichtung der Juden“ wissenschaftlich tätig ist, für das Einverständnis zur Übersetzung und die freundliche Abdruckgenehmigung.
Das Problem der Rückübertragung von Immobilien jüdischer Besitzer in den Jahren 1944–1950. Ein Problemaufriss
Literatur und Quellen
Ergebnis jedes großen internationalen bewaffneten Konflikts sind neben Tod und Leid von Millionen Menschen enorme materielle Zerstörungen, aber auch Eigentumsverschiebungen in einem Ausmaß, das in Friedenszeiten unvorstellbar und undurchführbar ist. Zu den Gründen, aus denen die Menschheit Kriege führt, gehören auch ökonomische, d.h. Kampf um Gebiete und die dort befindlichen Rohstoffe, Immobilien, Unternehmen und andere Vermögenswerte aller Art. Ohne die Frage beantworten zu wollen, in wie weit die nazistische Ideologie mit ihrem Konzept vom „Lebensraum“ für Deutsche zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Auslöschung der Juden beigetragen hat, muss unterstrichen werden, dass die Zerstörung oder der Verlust materieller Werte damals in besonders hohem Maße die Juden in ganz Europa betroffen hat, also auch in Polen. Die Juden verloren ihre Häuser, Unternehmen, Werkstätten, Läden, Ersparnisse und viele andere Werte, unabhängig vom Wohnort vor 1939 und unabhängig vom gesellschaftlichen und materiellen Status, von Bildung, Beruf, Ansichten oder ausgeübten Funktionen. Die deutschen Behörden begannen ihre antijüdische Politik mit Enteignungen, indem sie Verordnungen über den vollständigen Entzug des Vermögens von Juden herausgaben. Der größte Teil dessen, was vor dem Zugriff der polizeilichen und zivilen Behörden der Okkupanten versteckt werden konnte verfiel, wurde gestohlen oder zerstört bzw. „übereignet“, wie einige Quellen angeben. Die für die Stunden der Not angelegten Reserven – Devisen und Preziosen – wurden für den Überlebenskampf auf der arischen Seite verbraucht.
Der vorliegende Text will die Frage beantworten, ob und welchem Grade der Enteignungsprozess der Juden nach dem Krieg rückgängig gemacht wurde, ob die wenigen Überlebenden in der Lage waren, ihren Besitz zurück zu erhalten und wie weit die Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht in dem, wie man annehmen könnte am leichtesten zu regulierenden, materiellen Bereich gegangen ist. Die Abhandlung befasst sich mit dem Schicksal des Vorkriegseigentums von Juden unmittelbar nach dem Krieg, konkret mit den Immobilien (Wohnhäuser, Grundstücke und andere städtische Flächen), die im Besitz bzw. Eigentum (der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen wird weiter unten erläutert) von Juden waren – also physischen Personen mit polnischer Staatsangehörigkeit. Nicht erörtert werden Fragen, die juristische Personen wie die jüdischen Gemeinden, Vereine, Parteien und andere Institutionen, Gesellschaften und Unternehmen betreffen. Ebenfalls nicht untersucht wird das Schicksal von beweglichem Eigentum, Autorenrechten, geistigem Eigentum, Gläubigeransprüchen, Wertpapieren, Depositen, Bankeinlagen, Versicherungspolicen, Kunstsammlungen und Bibliotheken oder von anderen Kulturgütern dieser Art, die ebenfalls eine Kriegsbeute darstellten. Dies sind alles wichtige Probleme, jedoch sind nicht einmal die grundlegenden Fragen hinsichtlich der Immobilien bisher hinreichend untersucht und beschrieben worden, weshalb sich darum allerlei Mythen und Vorstellungen ranken, die sich auf keinerlei Fakten und Archivrecherchen stützen können, sondern nur auf Alltagswissen und Stereotypen beruhen, die mit unberechtigten Verallgemeinerungen operieren. Der bescheidene Forschungsstand polnischer Wissenschaftler beschränkt sich bisher auf wenige Aufsätze. Genannt werden müssen in diesem Zusammenhang der Beitrag „The Polish Debate on the Holocaust and the Restitution of Property“ von Dariusz Stoła, die Monografie zum Thema „ehemals jüdischer“ [sic!] Immobilien in Szydłowiec von Grzegorz Miernik, die Einleitung zur Auswahl von Quellendokumenten betreffend die illegale Übernahme von Immobilien im Städtchen Jedwabne aus der Feder von Krzysztof Persak, die Aufsätze von Monika Krawczyk „Status prawny własności żydowskiej i jego wpływ na stosunki polsko-żydowskie“ [Der rechtliche Status jüdischen Eigentums und sein Einfluss auf die polnisch-jüdischen Beziehungen] oder von Matthias Barelkowski zur Eigentumsfrage in Niederschlesien aus rechtlicher und politischer Sicht.
Stola weist auf die allgemeine und unreflektierte Benutzung des Begriffs „ehemaliges jüdisches Eigentum“ hin, obwohl damit doch eine Kontinuität des Zustands während des Krieges impliziert wird, als den Juden das Recht auf ihr Eigentum vollständig entzogen war. In den Rechtsakten und Behördenunterlagen aus den vierziger Jahren werden mehrere Begrifflichkeiten verwendet: „verlassenes“ oder „zurückgelassenes“ Eigentum“ sowie „ehemals jüdisches“, „ehemals deutsches“ (seit 1946) und „ehemals ukrainisches“ Eigentum. Diese Neologismen fanden schnell Eingang in die polnische Umgangssprache, ja sogar in die Wissenschaftssprache. In der von mir ausgewerteten Behördenüberlieferung, die von den Lokalverwaltungen in Szczebrzeszyn, Zamość und Tomaszów Lubelski geschaffen wurde, fand am häufigsten die vom Gesetzgeber verwendete Begrifflichkeit „verlassenes Eigentum“ Verwendung.
Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Publikationen von Jan Tomasz Gross aus den letzten Jahren, in denen er den Raub des jüdischen Eigentums als einen der zentralen Momente für die Gestaltung der polnisch-jüdischen Beziehungen im 20. Jahrhundert ansieht. In „Złota Żniwa“ [Goldene Ernte] wurde dieses Thema zum Leitmotiv des ganzen Buches. Gross schliesst damit an Kazimierz Wyka an, der als erster, noch während der deutschen Besatzung, den gesellschaftlichen Mechanismus der Übernahme von Rolle und Besitz der ermordeten Juden durch den polnischen „dritten Stand“ beschrieben hatte. In den Untersuchungen der letzten Jahre weisen viele Autoren auf die unfreundliche Behandlung der überlebenden Juden durch viele Polen hin, besonders durch die diejenigen, die während des Krieges deren Häuser übernommen hatten. Dies wird bestätigt durch zahlreiche Berichte und Erinnerungen von Juden über ihre Erfahrungen während der Kriegs- und in den ersten Nachkriegsjahren in Polen.
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In der vorliegenden Untersuchung werde ich die wichtigsten Fragen behandeln, die mit der Problematik der Rückübertragung von Privateigentum in den Jahren 1944–1950 zusammenhängen und die Prozesse der Umsetzung der Rechtsakte durch die Behörden in der Praxis sowie die alltäglichen Erfahrungen der jüdischen Antragsteller, ihre Probleme und Lösungsversuche nachzeichnen. Der Beitrag basiert fast ausschließlich auf Aktenmaterial, das von einzelnen Behörden und Institutionen gebildet wurde. Meine Recherche habe ich ergänzt durch die Lektüre der wichtigsten Rechtsakte (Gesetze, Dekrete und Verordnungen), wie sie im Dziennik Ustaw [Gesetzblatt, Dz. U.] der Jahre 1944 bis 1950 veröffentlicht worden sind sowie durch die Bekanntmachungen der Grodgerichtes in Szczebrzeszyn und Zamość, die im Monitor Polski [Amtsblatt der Republik Polen, MP]) zwischen 1946 und 1950 veröffentlicht wurden. Jede Anzeige enthielt eine Frist, verbunden mit der Information, dass Interessierte bis zu diesem Termin ihre Erbrechte anmelden müssten, um Berücksichtigung zu finden. In einigen Fällen wurden diese Bekanntmachungen zwei oder sogar drei Mal publiziert. Die Veröffentlichung im Monitor Polski war nicht obligatorisch. Wahrscheinlich wurden sie nur in den Fällen getätigt, in denen das Gericht den begründeten Verdacht hatte, dass es mehr erbberechtigte Personen geben könnte, als die Erbantragsteller behaupteten sowie in den Fällen, in denen Zeugen gesucht wurden. Obligatorisch war hingegen das Aushängen der Bekanntmachungen im Gerichtsgebäude, aber davon ist scheinbar nichts ins Archiv überführt worden.
Grundlage der im dritten Teil erörterten Probleme sind die Akten des Präsidiums und Sekretariats sowie der Rechtsabteilung [Wydział Prawny, WP] des Zentralkomitees der Juden in Polen [Centralny Komitet Żydow w Polsce, CKŻP], die im Archiv des Jüdischen Historischen Instituts verwahrt werden. Dort befindet sich auch der Bestand „Organizacje syjonistyczne“ [Zionistische Organisationen], der die Akten von Personen enthält, deren Vermögen (Rückerstattung, Verwaltung und Verkauf) von der Organisation Keren Kayemet LeIsrael [Jüdischer Nationalfond, KKL] betreut wurde.
Eine zusätzliche Recherche habe ich im Archiv der neuen Akten [AAN] durchgeführt, im Bestand Główny Urząd Likwidacyjny w Łodzi [Hauptliquidationsamt mit Sitz in Lodz, GUL].
Rechtsakte, Behörden und Prozeduren
„Das von den Besatzern begangene Unrecht muss schnellstens wiedergutgemacht werden. Das den einzelnen Bürgern, Bauern, Kaufleuten, Handwerkern, kleinen und mittleren Unternehmern, Institutionen und der Kirche von den Deutschen geraubte Eigentum wird den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben. Deutsches Vermögen wird konfisziert. Den auf bestialische Weise von den Besatzern behandelten Juden wird ein Wiederaufbau ihrer Existenz sowie die rechtliche und faktische Gleichstellung zugesichert.
Das Volksvermögen, also große Industrie- und Handelsbetriebe, Banken Transportunternehmen sowie Wälder, die sich heute in den Händen des deutschen Staates sowie einzelner deutscher Kapitalisten befinden, werden von der Vorläufigen Staatsverwaltung übernommen. Im Zuge der Regulierung der Wirtschaftsbeziehungen erfolgt die Rückgabe des Eigentums.“
Diese Deklaration, die aus dem am 22. Juli 1944 verkündeten Manifest des Polnischen Komitees zur Nationalen Befreiung (PKWN) stammt und das Programm für den neu zu errichtenden Staat enthielt, erwies sich schon kurz darauf als falsches Versprechen. Vielmehr wurde fast sofort mit der Enteignung von Privatvermögen (insbesondere solcher mit höherem Wert) begonnen. Schon das Dekret vom 6. September 1944 über die Durchführung einer Agrarreform, einer der ersten Rechtsakte des PKWN, hatte enorme Auswirkungen auf die Besitzverhältnisse, wie sie bis 1939 galten. Ziel der Reform war es, Güter unter 5 ha zu vergrößern sowie viele neue eigenständige Betriebe zu schaffen, wofür u.a. landwirtschaftliche Nutzflächen von über 50 ha (oder 100 ha Gesamtfläche) vorgesehen wurden, die das Eigentum bzw. Teileigentum von physischen und juristischen Personen darstellten. Konfisziert wurden aber auch andere Flächen aus allen möglichen Gründen, darunter auf dem Wege des Gerichtsentscheids zugunsten des Staates von Deutschen oder deutschen Staatsangehörigen, sofern sie nicht als Verfolgte eingestuft wurden, von Personen die in die UdSSR „zurückkehrten“ (vor allem ging es dabei um die ukrainische Bevölkerung) sowie schließlich diejenigen Flächen, die als „verlassener Besitz“ eingestuft wurden und nach einiger Zeit an den Staat fielen. Mit Ausnahme der letztgenannten Fälle ging der Landbesitz zur Realisierung der Reform unverzüglich und ohne Entschädigung an den Staat zur weiteren Verteilung über. Das gleiche Schicksal traf die dazu gehörigen Tiere sowie das Sachinventar des parzellierten Besitzes.
Ein weiterer Rechtsakt, der noch 1944 verkündet wurde, war das Dekret vom 12. Dezember über die Übernahme einiger Wälder durch den Staat. Von der Konfiskation betroffen waren demnach Flächen über 25 ha mit allen darauf befindlichen unbeweglichen und beweglichen Gütern. Ähnlich wie im Falle der landwirtschaftlich genutzten Flächen, wurde die Übernahme sofort in die Grundbücher eingetragen. Eine Verzögerung oder Verhinderung der Umsetzung dieser Dekrete wurde mit drakonischen Strafen geahndet, einschließlich der Todesstrafe! Ein anderer Rechtsakt, der die Staatsform und ihre grundlegenden Strukturen umbaute und bis heute überaus wirksam in seinen Auswirkungen ist, war das Gesetz vom 3. Januar 1946, mit dem wichtige Sparten der Volkswirtschaft vom Staat übernommen wurden, also die Industrie nationalisiert wurde. Von einer Übernahme im Schnellverfahren, d.h. bis Ende 1946, waren alle Unternehmen betroffen, die in 17 Punkten unter dem Buchstaben „A“ von Artikel 3 dieses Gesetzes aufgeführt waren, aber auch Kommunikations- und Telekommunikationsfirmen sowie alle anderen Unternehmen, die über 50 Mitarbeiter in einer Schicht beschäftigten. Gesetzlich eingefroren wurden allen Außenstände der nationalisierten Unternehmen gegenüber physischen und juristischen Personen, die nichtöffentlichen Charakter hatten. Den Besitzern wurden hingegen Entschädigungen in Form von „Wertpapieren“ ausgezahlt, deren Höhe willkürlich von speziellen Kommissionen festgelegt wurde. Die Nationalisierung der Industrie bewirkte, dass Unternehmen, die gleich nach dem Krieg von ihren rechtmäßigen Besitzern wieder in Betrieb genommen worden waren, diesen weggenommen wurden. Auch wenn die Dekrete über die Landwirtschaftsreform und die staatliche Übernahme der Wälder nur in geringem Maße die Juden betrafen – der Großgrundbesitz gehörte vor allem Polen und Deutschen –, so traf die Nationalisierung der Industrie die jüdische Bourgeoisie und den Mittestand der Vorkriegszeit bzw. deren Erben unmittelbar. Im neuen System konnten nur kleine Produzenten und Handwerker tätig werden, die mit der Zeit ironisch „Privatiers“ genannt, mit ständig neuen Vorschriften geknebelt, an den Rand gedrängt und mit Steuerbelastungen und „Kommissionen zum Kampf gegen Spekulation und Missbrauch“ in den Ruin getrieben wurden.
Die Übernahme von Besitz, der Privatpersonen oder der lokalen Selbstverwaltung gehört hatte, durch den Staat bzw. dessen Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer, wurde de facto von vielen unterschiedlichen Verwaltungsentscheidungen und juristischen Regelungen begleitet, unter denen die wichtigste das Dekret vom 2. März 1945 über verlassenes und aufgegebenes Eigentum war. Um die zahlreichen Änderungen und Ergänzungen dieses Dekrets bis 1950 rekonstruieren zu können, muss man sieben Rechtsakte analysieren, die im Dziennik Ustaw veröffentlicht wurden. Die unaufhörliche Novellierung der Rechtsvorschriften betraf im Übrigen die Mehrzahl der Gesetze. Die Systemevolution, die in Richtung einer immer stärkeren Sowjetisierung ging, konnte sich schließlich nicht anders vollziehen, als im Wege einer schrittweisen, aber grundlegenden Umgestaltung der Rechtsgrundlagen in allen Lebensbereichen. Der vollständigste und vereinheitlichte Text des Dekrets trägt das Datum vom 8. März 1946, weshalb ich mich vor allem auf diesen berufen werde. Einer kurzen Erläuterung bedarf jedoch zuvor der Charakter und die Zielrichtung der Novellierung der Rechtsakte über „verlassenes Vermögen“. Die erste und wichtigste Veränderung betraf die Verlängerung der Antragsfrist für die Rückgabe des Besitzrechts, was zweifellos ein Zugeständnis an die Juden war, wovon noch die Rede sein wird. Die zweite Veränderung betraf die verbindliche Bekanntgabe eines Verhandlungstermins mit Entscheidungsverkündung (die Fristen waren sehr kurz und wurden in der Praxis auch umgesetzt); die dritte die Festlegung, wen das Recht auf Vermögensrückgabe im erwähnten Dekret betrifft. Wichtig ist dabei, dass in der novellierten Fassung dieses Recht nicht nur dem Eigentümer zuerkannt wurde, sondern auch dem „Vorkriegsbesitzer“ (zur Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz sowie der Bedeutung des Begriffs „Ersitzung“ siehe unten), wie z.B. Pächtern, Mietern oder einer Person, die ein Gebäude errichtet, erworben bzw. über eine lange Zeit genutzt hat, ohne darüber eine Urkunde zu besitzen bzw. die entsprechenden Eintragungen im Grundbuch durchgeführt zu haben. Solche Fälle kamen z.B. vor, wenn Juden nur untereinander Transaktionen vollzogen hatten bzw. diese nur vom Rabbi anerkannt worden waren. Die oben genannten Veränderungen, die mit dem Dekret vom 8. März 1946 eingeführt worden waren, ermöglichten z.B. den Erwerb eines Eigentumstitels nach Ablauf der Ersitzungsfrist, sofern sich in der Zwischenzeit nicht der rechtmäßige Eigentümer gemeldet hatte. Mit dem selben Dekret wurde der Zeitraum zur Ersitzung von Immobilien durch den Staat um die Hälfte verkürzt, nämlich auf zehn Jahre, gerechnet ab Ende 1945 (Art. 34, § 1a). Ab 1946 galten auch neue Bestimmungen über Gerichtsgebühren (Art. 28 § 1). Sofern der Antragsteller bisher von den Gebühren befreit war, wenn es um Eigentumsrückgabe im vereinfachten Verfahren ging, wurde dies nun dahingehend geändert, dass das Gericht eine Einschreibegebühr von 1/10 des geschätzten Wertes verlangte, bei Widersprüchen sogar 1/20 des Wertes, darüber hinaus noch andere Gerichtsgebühren. Dabei handelte es sich nicht um Bagatellsummen und für viele Personen war diese Bedingung besonders schwer zu erfüllen.
Das zuständige Gericht in den erwähnten Fällen war das Grodgericht, das für den entsprechenden Ort zuständig war, Berufung gegen dessen Entscheidung konnte beim zuständigen Bezirksgericht eingereicht werden. Das Dekret über verlassene und aufgegebene Vermögen blieb bis zum 1. August 1985 in Kraft. Mit Kazimierz Urban, Autor einer Quellenauswahl zum Schicksal des Vorkriegsvermögens der jüdischen Gemeinden, muss hinzugefügt werden, dass die Vermögen der Gemeinden in den auf der Potsdamer Konferenz zu Polen geschlagenen Gebieten des ehemaligen Deutschen Reichs, den sogenannten „wiedergewonnenen Gebieten“, als „verlassen“ oder „ehemals deutsch“ angesehen wurden und damit den Bestimmungen des Dekrets unterlagen: „Die Liquidationsämter, die dieses Vermögen verwalteten, übergaben es unterschiedlichsten Institutionen, Organisationen, Unternehmen etc. Dazu gehörten auch viele jüdische Friedhöfe, Synagogen, Gebetshäuser, ganz zu schweigen von anderen Immobilien.“ Das Problem des Gemeindevermögens muss daher vor einem breiteren Hintergrund gesehen werden, wobei nicht vergessen werden darf, das auch das Vermögen anderer Institutionen nationalisiert wurde, an erster Stelle das der katholischen Kirche.
Verlassenes Vermögen war im Sinne des hier besprochenen Dekrets „alles bewegliche und unbewegliche Vermögen, das sich auf Grund des am 1. September 1939 begonnenen Krieges nicht mehr im Besitz des Eigentümers, seiner Rechtsnachfolger oder von Personen, die diese repräsentieren befindet.“ Somit konnten alle, die Polen vor dem 1. September 1939 aus Furcht vor Ausbruch des Kriegs und den damit verbundenen Konsequenzen oder Repressionen verlassen und ihr Vermögen dabei zurückgelassen hatten, sich nicht auf dieses Dekret berufen. Dasselbe galt auch für Juden, die als deutsche Staatsbürger in den neu zu Polen gekommenen Gebieten gelebt hatten und deren Vermögen das Dritte Reich vor dem 1. September 1939 konfisziert hatte bzw. das zu Spottpreisen aufgekauft worden war, bevor sie in die Emigration getrieben wurden. Als verlassenes Vermögen galt auch nicht dasjenige Vermögen, das nach Beendigung der Kriegshandlungen ohne Probleme wieder in den Besitz des Eigentümers gelangte, also wenn dieser wieder im eigenen Haus wohnen konnte, weil es leer stand oder er die Arbeit des eigenen Betriebs weiterführen konnte, weil dem nichts im Wege stand. Alle gerichtlichen Versuche zur Rückerlangung des Besitzes betreffen also diejenigen Immobilien, die von Dritten zwischen dem 1. Sept. 1939 und 1944/45 besetzt bzw. übernommen worden waren.
Der Gesetzgeber erklärte gleichzeitig alle Verträge für ungültig, die nach dem 1. Sept. 1939 mit Dritten geschlossen wurden, um das Vermögen zu retten, aber auch Verträge, die mit den deutschen Behörden oder deren Vertretern geschlossen wurden. An dieser Stelle kann daher nicht auf die zwischen Juden und Polen in der Okkupationszeit geschlossenen Scheinverträge eingegangen werden, die meistens rückdatiert wurden oder als fiktive Übernahmen wegen „Vorkriegsschulden“ getarnt worden waren, um das Vermögen vor der Zwangsarisierung zu retten. Natürlich musste nach dem Krieg der fiktive Charakter dieser Transaktionen nachgewiesen werden, wofür die Ehrlichkeit beider Seiten eine Bedingung war.
Am 6. Juni 1945 wurde ein Dekret verkündet, das für die Gerichtsentscheidungen, die während der Okkupationszeit auf dem Gebiet der Republik Polen getroffen worden waren, bindend war. Artikel 8, § 1 dieses Dekrets bestimmte demnach, dass „alle Grundbuch- und Registereinträge zu Gunsten des deutschen Staates, seiner öffentlich-rechtlichen Einrichtungen oder seiner Bürger bzw. Personen deutscher Nationalität jederzeit von Amts wegen oder auf Antrag der betroffenen Personen hin zu löschen sind“. Unter § 2 hieß es hingegen, dass „Grundbuch- und Registereinträge zu Gunsten von anderen Personen innerhalb von zwei Jahren nach Kriegsende auf Antrag der interessierten Personen gelöscht werden können, wenn sie auf Grund spezieller Gesetzgebungen gegen polnische Bürger erfolgt waren. Nach diesem Termin musste dies auf dem Klageweg geschehen“. Demnach erfolgte die Löschung der von deutschen Notaren vorgenommenen Eintragungen nicht automatisch und von Amts wegen, obwohl sie schon auf Grund des Nachkriegsrechts ohne gesetzliche Grundlage war und auch dem Notariatsrecht von 1933 widersprach, wonach die Eigentumsübertragung einen notariellen Akt erforderte. In der Praxis hieß dies, dass jeder „Interessierte“ selbst für die Löschung von Einträgen ohne Rechtgrundlage sorgen musste, was verständlich ist. Vor diesem Hintergrund konnte es allerdings zu Gerichtsentscheidungen wie der folgenden kommen, bei der der Bevollmächtigte der Antragstellerin nicht ausreichend die verwickelte Rechtslage kannte, wodurch sich die Eigentümerin in einer Art Rechtsfalle wiederfand. Der Fall betraf eine Immobilie in Zabrze, die Elfriede Freiman gehörte, „palästinensische Staatsbürgerin“, vertreten durch Maksymilian Nesselrot. Das Grodgericht wies den Antrag auf Rückübertragung des Besitzrechts mit folgender Begründung zurück: „Auf Grundlage von Artikel 2 und 20 des Dekrets vom 8. März 1946 [...] hat das Gericht den Antrag verworfen. Begründung: Auf Basis der Grundbücher wurde festgestellt, dass als Besitzer das Deutsche Reich eingetragen ist. Wie aus dem Antrag hervorgeht, hat die Antragstellerin nicht das Besitzrecht, sondern das Eigentumsrecht verloren. Da in Anwendung des Dekrets vom 8. März 1946 [...] lediglich Fälle der Rückübertragung des entzogenen Besitzrechtes verhandelt werden, die im Zusammenhang mit dem am 1. September 1939 begonnen Krieg stehen und die Antragstellerin ihr Eigentumsrecht auf Grund der antijüdischen Gesetze [Unterstreichung im Original; A. S.] verloren hat, musste das Gericht den Antrag ablehnen.“
Es scheint also so, als hätte Elfriede Freiman – vor Einreichung der Klage – beim Grundbuchamt die Löschung des Eintrags zu Gunsten des Deutschen Reiches veranlassen sollen. Die Frage der Rückübertragung von jüdischen Immobilien in den sogenannten Wiedergewonnenen Gebieten erfordert jedoch eine gesonderte Betrachtung, weshalb ich hier nur erwähne, dass sowohl der Verlust von Immobilieneigentum (auf dem Gebiet des Deutschen Reiches nach 1933) wie auch seine Wiedererlangung nicht nur auf Grund der hier besprochenen Rechtsakte erfolgte. Die Rechtslage war in diesen Gebieten besonders kompliziert und uneindeutig, so dass die Auffassungen und Entscheidungen von Ämtern und Gerichten oft völlig widersprüchlich ausfielen. Die Lektüre der Korrespondenz zwischen den Anwälten, die sich mit Restitutionssachen beschäftigten, lässt vermuten, dass sogar oft auf die Antragstellung verzichtet wurde, wenn der Eigentümer sich im Ausland befand oder plante, Polen zu verlassen. In den ehemaligen deutschen Gebieten war der Immobilienmarkt nach der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung praktisch zusammengebrochen und eine Rentabilität von Häusern mit eigener Verwaltung war nicht mehr gegeben. So informierte etwa einer der Anwälte darüber, dass „angesichts des vom Staat massiv betriebenen Verkaufs von verlassenen und aufgegebenen Immobilien [...] zu ungewöhnlich günstigen Kaufbedingungen – der Preis liegt bei 10% des Schätzwertes und ist zahlbar in Raten über 25 Jahre – unsere Objekte gegenwärtig nicht verkäuflich sind.“
Hinzugefügt werden muss der Ordnung halber noch, dass die Immobilien auf den der Sowjetunion zugeschlagenen Gebieten praktisch für immer verloren waren, während der Handel mit Immobilien im polnischen Grenzbereich Beschränkungen unterlag, da ein Erwerb das zusätzliche Einverständnis des Nationalrates der betroffenen Wojewodschaft erforderte.
In Zentralpolen konnte nach Krawczyk hingegen nur „ein geringer Prozentsatz der ehemaligen jüdischen Eigentümer die Bestimmungen [...] über die Rückgabe [und/oder die Löschung von Eintragungen ohne Rechtsgrundlage; A. S.] nutzen, denn die Mehrheit der Juden war im Krieg umgekommen, sofort nach Kriegsende emigriert oder nicht nach Polen zurückgekehrt. In solchen Fällen kann man von einer faktischen Sanktionierung und Verfestigung des Okkupationsunrechts im Recht des neuen polnischen unabhängigen Staates sprechen, insbesondere dann, wenn eine Immobilie ein Grundbuch besaß und die Eigentumsrechte eingetragen worden waren.“ Es lässt sich leicht vorstellen, dass von den deutschen Okkupationsbehörden übernommene Immobilien von Juden nach dem Krieg ohne Rechtsgrundlage als „ehemals deutsch“ eingestuft und als solche auf Basis des neuen Rechts sofort zu Gunsten des Staates konfisziert worden sind. Wie oft dies der Fall war, lässt sich nicht feststellen – mit Sicherheit hat es solche Fälle jedoch gegeben. Das hier in Rede stehende Dekret erhielt die während der Okkupationszeit von polnischen Gerichten getroffenen Entscheidungen aufrecht (die Rechtssprechung an diesen Gerichten funktionierte während des Krieges in begrenztem Umfang), allerdings unter der Bedingung, dass sie nicht auf Okkupationsrecht gründeten oder in einer Zwangssituation der Beteiligten getroffen worden waren. In einem solchem Fall bestand das Recht auf Neuverhandlung des Falls, was jedoch innerhalb eines Jahres [sic!] nach Beendigung des Krieges beantragt werden musste (Art. 11 und 12).
Die Ausführungsbestimmungen des Dekrets vom 8. März 1946, die die Umsetzung seiner Bestimmungen regelte waren in Kapitel II (Art. 7-14) enthalten. Gegründet wurde eine neue Zentralinstitution mit dem Namen Główny Urząd Likwidacyjny [Liquidationshauptamt, GUL], das dem Vorsitzenden des Ministerrates und dem Minister für die Wiedergewonnenen Gebiete. Das GUL ersetzte die bisherige Vorläufige Staatsverwaltung [Tymczasowy Zarząd Państwowy, TZP], die seit März 1945 existierte und dem Schatzminister unterstanden hatte. Das GUL mit Sitz in Lodz funktionierte über die Bezirks-Liquidationsämter, [Okręgowe Urzędy Likwidacyjne, OUL] in den einzelnen Wojewodschaften sowie Regional- bzw. Kreisbüros in den einzelnen Kreisen. Die Aktenüberlieferung des GUL enthält vor allem Korrespondenz mit den Stadtverwaltungen, Beschwerden über einzelne OUL, Protokolle über die Übertragung oder Verpachtung von Unternehmen und Immobilien an staatliche Institutionen oder Privatpersonen, darüber hinaus Rückübertragungen des Besitzrechts (Unternehmen, Gebäude, Mühlen, Maschinen und anderes) sowie Meldungen über Vermögensansprüche polnischer Staatsbürger aus dem Ausland – häufig waren dies Personen jüdischer Herkunft.
Der Kompetenzbereich der OUL umfasste: Absicherung von verlassenen Vermögen, deren Kontrolle und Inventarisierung, Vermietung oder Verpachtung, analoge Schritte im Falle von Vermögen zu unternehmen, das dem Staat zufallen sollten, Verkauf von beweglichen Gütern im Falle der Gefahr ihrer Zerstörung oder unverhältnismäßig hoher Lagerkosten im Verhältnis zu deren Wert. In solchen Situationen wurde die Vorgehensweise durch eine Verordnung des Vorsitzenden des Ministerrates vom 11. Juli 1946 mit dem Titel: „W sprawie zbywania niektórych ruchomości opuszczonych i poniemieckich“ [In Sachen Absatz einiger verlassener und ehemals deutscher Mobilien] geregelt. Das Gesetz über verlassenes Vermögen betraf sowohl Immobilien als auch alle Arten von beweglichen Gütern. In der Praxis entschieden die Gerichte jedoch fast ausschließlich über Immobilien, auch wenn es natürlich Ausnahmen gab. Gerade die Fälle von beweglichen Gütern riefen jedoch ungewöhnlich starke Emotionen hervor.
Obwohl die Juden oft gar nicht erst versuchten, bewegliche Güter zurück zu erhalten, weil sie um ihre Sicherheit fürchteten, finden sich dennoch Akten, die solche Versuche dokumentieren. Es kam sogar vor, dass mit Hilfe der Bürgermiliz [Milicja Obywatelska] auf Grundlage eines Gerichtsbeschlusses Hausdurchsuchungen bei Personen vorgenommen wurden, die im Verdacht standen, sich jüdisches Eigentum angeeignet zu haben:
„Während der Okkupation habe ich 1942 der Bürgerin Ludwika Chrapczańska, wohnhaft in Ożarów, 2 Federbetten und 4 Kopfkissen zur Aufbewahrung übergeben. Die Bürgerin Chrapczyńska verweigert mir die Rückgabe dieses Eigentums [...]. Ich bitte darum, die Sache zu klären, auch wenn ich abwesend sein sollte.“
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Als Beispiel mögen zwei Auszüge aus Erinnerungen von Überlebenden dienen: Nechama Tec: Suche łzy. Opowieść o utraconym dzieciństwie, Warszawa 2005, S. 207-209 [dt. Ausgabe: Eine Art Leben. Eine jüdische Kindheit im besetzten Polen], Hamburg 1998. Die polnische Ausgabe enthält einen Epilog, der wohl einen sehr viel späteren Besuch in der ehemaligen Wohnung in Polen schildert und in der deutschen und amerikanischen Ausgabe nicht enthalten ist, weshalb das folgende Zitat hier übersetzt wird [Anm. des Übersetzers]: „Nachdem ich mich umgeschaut hatte, wurde mir bewusst, dass ich bekannte Dinge sah. Auf dem Tisch lag unsere Tischdecke, das Silber war auch von uns. Ich erkannte immer mehr Sachen, fühlte mich sehr verlegen und spürte den wachsenden Drang, wegzulaufen. [...] Zweifellos hatten sie unsere Sachen übernommen, bevor die Deutschen darauf aufmerksam wurden. Vielleicht hatten sie vergessen oder nie gewusst, dass diese Dinge einst ein untrennbarer Teil unseres Lebens gewesen sind? [...] So viel von unserem Besitz hatte den Besitzer gewechselt, war Teil eines anderen Lebens geworden. Gegenstände sind nicht loyal. Es stellte eine Art Verspottung meines Rechts auf sie dar, so mein Eindruck, dass ich sie hier wieder auffand, so gut angepasst an die neuen Besitzer. Die Dinge befanden sich an ihren Platz und ich war ein Eindringling. Ich erschauderte bei dem Gedanken, dass dies auch so wäre, wenn ich nicht mehr existieren würde. Viele Leute stellen sich den eigenen Tod vor. Würde ich mich auch so fühlen, wenn ich an der eigenen Beerdigung teilnähme?“
Mosze Berger: W tajgach Sybiru [In der sibirischen Taiga], Okulsz 2005, S. 143 f.: „Wir kommen an die Gartentür unseres Hauses. Mit zitternder Hand halte ich die Klinke. Mir wird schwindlig. Ich fühle, dass ich gleich umfalle. Meine Schwester hält mich, sagt etwas, aber ich verstehe es nicht. Ich weiß nicht, wie lange wir dort stehen. Aus dem Haus kommt eine Frau und öffnet die Gartentür. Sie schaut auf uns und fragt, wen wir suchten. Mit gepresster Stimme antworte ich: Wir haben hier gewohnt. Das ist das Haus unserer Eltern. Fela bricht in lautes Weinen aus. Die Frau bittet uns hinein, Als ich die Schwelle überschreite, werden mir die Knie weich. Wir setzen uns an den Tisch, kriegen kein Wort heraus. Die Hausfrau bietet uns Wasser an. Als wir uns in der niederschmetternden Atmosphäre ein wenig gefangen hatten, bitte ich, dass wir die Wohnung anschauen dürfen. Die Frau ist freundlich. In der Küche steht noch der Lehmofen, wo Mutter die Challah und Kuchen zum Schabbat gebacken hat. [...] Wir gingen vom Hof und schauten uns nicht mehr um – hier gab es nichts mehr zu suchen.“
„Vor dem Krieg wohnte ich in Lodz. In der Cegielna-Str. 9 habe ich 5 möblierte Zimmer zurücklassen müssen. Gibt es bei Ihnen eine Abteilung, die diese Möbel abholen kann, sofern sie noch vorhanden sind, und sie auch verkauft? Auch habe ich einem gewissen Ludwik Dziwiński [...] viele Möbel überantwortet. Er schreibt mir aus dem Ausland, dass er diese ebenfalls zurücklassen musste. Ich verfüge über eine genaue Aufstellung der Dinge, die ich zurückließ. Sind Sie mit der Abholung und soweit möglich Rettung des Ganzen aus fremden Händen befasst? Vielleicht können Sie mir einen Advokaten empfehlen.“
„Ich erinnere mich daran, dass hier bei Józef Lasek folgende Gegenstände zurückgelassen wurden, die der Familie Adler gehörten: 3 komplette Federbetten, die ich nicht näher beschreiben kann, ein paar Schaftstiefel von Smyche Adler sowie seine neue braune Kleidung, von der Tante der Familie Adler, einer gewissen Szangla Trinczer, die ebenfalls erschossen wurde, sind dort: ein poliertes Eichenbett, eine grüne Plüschbettdecke. Von der Familie Adler, die sich vor ihrer Erschießung versteckt hielt, wurden einer gewissen Maria Konieczna, Tochter von Jan, wohnhaft in Gniewczyna Łańcuska die folgenden Dinge zur Aufbewahrung übergeben: 2 schwarze Mäntel (ein Sommer-, ein Wintermantel, 1 Mantel, die Farbe erinnere ich nicht, mit Futter, 5 Kleider unterschiedlicher Farbe, darunter ein braunes Wollkleid, 2 dunkelblaue Röcke, ein Paar schwarze Halbschuhe, 1 brauner Wintermantel, zwei dunkelblaue Röcke, 1 schwarze Seidenbluse mit Blumen, eine Tischdecke mit Rosenmuster. Diese Dinge werden sich mit Sicherheit bei Maria Konieczna finden, sofern sie diese Dinge heute noch besitzt.“
Die Liquidationsämter hatten das Recht, ab dem 1. Januar 1948 bewegliche Güter zu verkaufen, die bis dahin in Magazinen aufbewahrt worden waren. Dabei wirkten gesellschaftliche Kommissionen mit, die darüber entschieden, was man wem umsonst abgeben konnte bzw. zu welchem Preis es verkauft wurde. Gutachter schätzten den Wert der Dinge, Vorrang beim Kauf hatten die derzeitigen Besitzer (Nutzer). Um kostenfreie Zuweisung beweglicher Güter, vor allem von Möbeln, konnten sich in erster Linie Repatrianten sowie Neuansiedler unterschiedlicher Kategorien, darunter vom Militär bewerben.
Hinsichtlich der Immobilien hatten die Liquidationsämter in der Praxis nicht das alleinige Verfügungsrecht, sondern gaben entsprechende Kompetenzen an die Gemeinde- bzw. Stadtverwaltungen ab, die wiederum Verwalter und Administratoren bestellten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass nach den Vorschriften alle staatlichen Behörden, juristische und natürliche Personen die Pflicht hatten, den zuständigen Liquidationsämtern verlassenes Vermögen zu melden. Diese Pflicht bestand insbesondere für diejenigen, die während der Besatzung als Zwangsverwalter, kommissarische Verwalter oder Treuhänder solcher Vermögen tätig waren, denn dieser hatten natürlich ein deutlich größeres Wissen in diesem Bereich als andere. Bisher unbeantwortet ist die Frage, ob die Treuhänder aus der Okkupationszeit nach dem Krieg sogleich die Funktion von Administratoren von „verlassenem“ und „ehemals deutschem“ Vermögen übernehmen konnten. In den recherchierten Beständen habe ich keine Verträge mit Verwaltern von verlassenen Vermögen gefunden, dafür aber eine von der TZP erarbeitete Instruktion, in der die Pflichten der Verwalter, sowohl auf regionaler Ebene als auch für einzelne Häuser aufgelistet sind und die wahrscheinlich sogar bis 1951 galt. Der Verwalter sollte demnach u.a.:
– am Hauseingang eine Tafel befestigen mit seinem Namen und seiner Adresse,
– unverzüglich die „Verbindung und Zusammenarbeit“ mit dem Kontrolleur der Immobilienverwaltung des Kreises suchen, dem er unterstand,
– innerhalb des ersten Monats nach Amtsübernahme einen Kassenbericht erstellen sowie eine Beschreibung der Immobilie, eine Liste der vermieteten und leerstehenden Wohnungen, eine Mieterliste, Listen ausstehender Mietzahlungen sowie des Wirtschaftsinventars,
– sofort einen Bericht über den Zustand der Immobilie erstellen, „alle Mängel im Rahmen der geltenden Vorschriften und Instruktionen beseitigen“,
– die beweglichen und unbeweglichen Güter besonders schützen vor Plünderung und Zerstörung; im Falle von Plünderungen sofort Meldung machen,
– Hausmeister für die einzelnen Anwesen ernennen,
– die Immobilien in Zusammenarbeit mit den Mietern und den Hausmeistern in einem guten und sauberen Zustand halten („den Mietern ist klarzumachen, dass der Müll im Rahmen der Möglichkeiten in den Küchenöfen zu verbrennen ist“),
– einen Kassen- sowie ein Inventarbuch anlegen, Listen der bewohnten und unbewohnten Wohnungen führen mit genauen Angaben zu den Bewohnern, ein Meldebuch führen,
– dem vorgesetzten Kontrolleur die Wohnungen melden, die von staatlichen Institutionen, Behörden oder der Armee genutzt werden,
– monatlich die Miete zu kassieren, die „bis auf Widerruf nach den Sätzen vom 1. September 1939 berechnet wird, bei fehlenden Angaben Vorschüsse auf die Miete einziehen und die Miethöhe in einer Kommission erstellen,
– Mietschulden nicht dulden,
– Tätigkeiten zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit und Ordnung entsprechend den amtlichen Preisen bezahlen,
– geplante Investitionsausgaben dem TZP zur Entscheidung vorlegen,
– „Nachweise über alle Einnahmen führen, für Ausgaben über 5 Złoty Quittungen verlangen“,
– Steuern und Abgaben entsprechend der Rechtslage abführen,
– monatlich für jede Immobilie dem Kontrolleur einen Bericht über die Einnahmen und Ausgaben mit Belegen vorlegen,
– alle Verpflichtungen erfüllen und ein Protokoll darüber führen.
Vermögensangelegenheiten wurden auch durch andere Rechtsakte reguliert, woran erinnert werden muss, da das Dekret über verlassenes und aufgegebenes Vermögen nicht in die Eigentumsverhältnisse eingriff. Das Eigentumsrecht wurde dadurch in keiner Weise berührt oder eingeschränkt, mit Ausnahme der Einführung einer verkürzten Ersitzungszeit (wovon noch die Rede sein wird). Die wichtigsten Rechtsakte in Hinsicht auf Vermögensfragen waren das Zivilrecht, das Sachenrecht sowie das Erbrecht vom 8. Oktober 1946, verbunden mit dem Dekret über das Erbverfahren vom 8. November desselben Jahres. Das unmittelbar nach dem Krieg novellierte Personenrecht bestimmte u.a., wer rechtsfähig ist, wen man für vermisst bzw. verstorben erklären kann und auf welche Weise man dies in Abhängigkeit von den Umständen durchführt. So hieß es in Art. 14, § 1: „Wer als Teilnehmer von Kriegshandlungen umgekommen ist, kann nach Ablauf eines Jahres nach Ende Kalenderjahres, in dem die Kriegshandlungen beendet wurden, für tot erklärt werden. Dasselbe gilt für Personen, die sich auf von Kriegshandlungen betroffenen Gebieten aufgehalten haben und vermisst werden, wenn nach den Umständen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ihr Verschwinden im Zusammenhang mit der Lebensgefahr steht, die von diesen Kriegshandlungen ausging.“ Diese Bestimmung, angewandt auf die hier in Rede stehenden Gebiete, in denen die Kriegshandlungen im Juli 1944 beendet waren, ermöglichte einen Antrag auf Todeserklärung nicht früher als Anfang des Jahres 1946. Eine Sterbeurkunde oder eine Todeserklärung war, unabhängig von den Beweisen, auf deren Basis die Gerichte sie ausstellten, unabdingbar für die Durchführung des Nachlassverfahrens. Im Falle der Juden, die ermordet worden waren während der Deportation, bei Erschießungen oder in den Todeslagern konnte natürlich von Sterbeurkunden nicht die Rede sein, weshalb die überlebenden Erben, die entsprechenden Urkunden bzw. Erklärungen bei den Gerichten der Ersten Instanz beantragen mussten. Detailliert regelte diese Fragen ein Dekret vom 29. August 1945. Das Sachenrecht definierte hingegen solche Begriffe wie „Sachen“, „Immobilien“ (diese sind Teile der Erdoberfläche, die zusammen mit den darauf dauerhaft befindlichen Gebäuden und anderen Einrichtungen eine eigenes Eigentumsobjekt darstellen), ihren Teilen, darüber hinaus „Besitz“, dessen Erwerb und Verlust sowie „Ersitzung“. Der zuletzt genannte Begriff wurde wie folgtdefiniert: „Art. 50, § 1: Wer eine Immobilie 20 Jahre lang besitzt, erwirbt diesen Besitz, es sei denn, er hat bei der Übernahme der Immobilie in bösem Glauben gehandelt (Ersitzung). § 2: Demjenigen, der eine Immobilie 30 Jahre lang besitzt, kann man keine Bösgläubigkeit vorwerfen.“ Festzuhalten bleibt also, dass sogar bösgläubiger Besitz zum Erwerb des Besitzrechtes führte und sich nur der dafür erforderliche Zeitraum verlängerte. Diese Bestimmungen standen jedoch im Widerspruch mit den Regelungen des Dekrets über verlassenes und ehemals deutsches Eigentum, das den erforderlichen Zeitraum für eine gutgläubige Ersitzung auf zehn Jahre, für eine bösgläubige auf 20 Jahre verkürzte. Im Sachenrecht wurden zudem die Grundbucheintragungen geregelt, wobei Art. 51 § 1 bestimmte: „Wer rechtlich gültige Grundlage ins Grundbuch als Besitzer eingetragen wurde, erwirbt den Besitz, wenn er seit 10 Jahren eingetragen ist und seit 10 Jahren die Immobilie in Besitz hat.“ Mit anderen Worten: ein nicht rechtzeitig gelöschter Grundbucheintrag aus einer illegalen Transaktion während des Krieges führte nach einer gewissen Zeit zum rechtlichen Anspruch auf den Besitz dieser Immobilie.
Das Sachenrecht regelte in Art. 52 auch den Besitz von beweglichen Gütern (z.B. Möbel, Haushaltsgeräte): „Wer ein bewegliches Gut 3 Jahre lang besitzt, erwirbt das Recht auf diesen, es sei denn, er hat ihn bösgläubig erworben.“ Somit erlangten Güter, die den Juden, sagen wir 1944, weggenommen wurden, bereits 1947 legalen Status. Problematisch ist aber auch, dass der Gesetzgeber nicht eindeutig definierte, was eine bösgläubige oder gutgläubige Handlung ist – im Zweifels- oder Streitfalle entscheidet das Gericht durch Untersuchung der Umstände. Das Bewusstsein, eine Immobilie zu benutzten, die einen anderen Besitzer hat, entscheidet über die Qualifizierung dieser Handlung als bösgläubig. Nachgewiesen oder bewertet werden muss also dieses Bewusstsein, was jedoch nur Auswirkungen auf den Zeitraum bis zum Erwerb des Besitztitels auf dem Wege der Ersitzung hat.
Ein weiterer sehr wichtiger Rechtsakt war das 1946 novellierte Erbrecht. Zweifellos war dabei für die hier behandelten Fragen die Bestimmung über die Eingrenzung der gesetzlich erbberechtigten Personen von entscheidender Bedeutung: „Gesetzliche Erben durch Verwandtschaft sind die Verwandten des Erblassers: hinsichtlich der Nachkommen ohne Einschränkungen, hinsichtlich der Vorfahren nur die Eltern, in der Nebenlinie die Geschwister und deren Nachfahren.“
Erwähnt werden muss auch noch das nach dem Krieg nicht novellierte Schuldrecht (es galt bis 1965). Geregelt wurden darin die Prinzipien des Handels mit Vermögenswerten (Güter und Dienstleistungen) zwischen Subjekten des Zivilrechts. Das Schuldrecht präzisiert u.a. solche Vorgänge wie Verkauf, Gläubigerforderung, Verpachtung, Vermietung, Überlassung – es hat also große Bedeutung für die Gerichtspraxis der hier behandelten Fragen.
Krawczyk listet 17 Rechtsakte auf, auf deren Grundlage Enteignungsentscheidungen getroffen wurden, betont aber, dass der Entzug konkreter Immobilien, beweglicher Güter und Unternehmen auf der Grundlage individueller Verwaltungsentscheidungen erfolgte“. Sämtliche Fragen betreffend Hab und Gut waren mittels Dekreten, Gesetzen, Verordnungen und Entscheidungen der höchsten legislativen und exekutiven Organe der Volksrepublik Polen geregelt worden und standen in unmittelbarem Zusammenhang mit den damals durchgeführten Systemreformen. Die wichtigsten Entscheidungen hinsichtlich der Veränderungen im Eigentumsrecht fielen unter Beteiligung des Präsidenten (Boleslaw Bierut), des Vorsitzenden des Ministerrats (Edward Osóbka-Morawka, Józef Cyrankiewicz), des Ministers für die Wiedergewonnenen Gebiete (Władyslaw Gomułka) und des Schatzministers (nacheinander: Leon Kurowski, Tadeusz Dietrich, Wincenty Jastrzębski, Konstanty Dąbrowski). Wollte man sich vollständig mit der neuen Gesetzgebung zur Steuerung dieser Prozesse vertraut machen, müsste man 120 damals erlassene Rechtsakte berücksichtigen sowie unzählige Ausführungsbestimmungen und Instruktionen.
In der Praxis hatten diejenigen, welche die nötige Zivilcourage aufbrachten, ihre Rechte und ihren Besitz einzufordern, vor allem mit zwei Behördenvertretern zu tun: dem Verwalter des Besitzes, der das Liquidationsamt vertrat und dem Richter des Grodgerichts.
Das Gesetz und das spätere Dekret über verlassenes und ehemals deutsches Eigentum garantierte zwei Wege zur Rückerlangung des Besitzes: im vereinfachten Verfahren der Reprivatisierung durch die Institutionen, die die „Inbesitznahme“ kraft einer Entscheidung des Grodgerichts umsetzten oder auf dem Erbwege, ebenfalls auf Basis einer Entscheidung des Grodgerichts. Die Inbesitznahme bestand nicht nur aus einem Gerichtsurteil, sondern war eine konkrete Amtshandlung von dazu berechtigten Behördenvertretern unter Beteiligung der Personen, denen das Besitzrecht zuerkannt worden war (eventuell deren Bevollmächtigte oder deren Beauftragte). Aus einer von der TZP versandten vorläufigen Instruktion zur Inbesitznahme resultierte, dass ein Vertreter der TZP (später des OUL) die Pflicht hatte, den Verwalter der Immobilie (des Besitzes) unverzüglich über die Entscheidung des Gerichts und den Termin der Inbesitznahme zu benachrichtigen. Ebenso erhielten die Benachrichtigung die Antragsteller, eventuell auch andere im Vollstreckungstitel genannte Personen. Der Verwalter war hingegen verpflichtet, die Rechnungsbücher zu schließen, „die Geschäftslage zu beschreiben und dem Besitzer das Rechnungsmaterial und die Bargeldbeständeoffenzulegen“. Rechtlich festgelegt war, dass eine Abrechnung über Einnahmen (Mieten) und Ausgaben (Hausmeister, Verwaltung, Reparaturen, Abgaben und Steuern) vorzulegen war. Der Besitzer war verpflichtet, vor der Inbesitznahme alle Kosten für die getätigten Investitionen, die nicht durch z.B. Mieteinnahmen gedeckt werden konnten, zu erstatten. Der Übergabeakt war durch ein Protokoll in drei Ausfertigungen zu dokumentieren, das folgende Punkte enthalten sollte:
a) Ort und Zeit der Übergabe,
b) Namen und Adressen der beteiligten Personen und ihre Funktionen,
c) Den Gerichtsbeschluss über den Vollstreckungsbescheid,
d) Nennung der Personen, die durch die Inbesitznahme begünstigt wurden (Gesamtbesitz oder nur Teile),
e) Aufschlüsselung des Besitzes, der übernommen wurde,
f) Genaue Beschreibung des Zustands der Immobilie, der Rechnungsführung, Forderungen und Außenstände, ev. Bargeldvorrat,
g) Anmerkungen der Beteiligten und ihre Unterschriften,
h) Hinweis, das für ev. Abrechnungen ausschließlich die TZP für die Wojewodschaft Lodz zuständig ist (Immobilienabteilung).
i) Der Verwalter hatte zusammen mit dem Protokoll dem „Inbesitznehmenden“ sämtliche Rechnungsunterlagen, Inventare und Bargeldvorräte zu übergeben, was ihm bestätigt werden musste.
Sollten weitere Forderungen aus der Tätigkeit des Verwalters entstehen, die erst später zu Tage traten, mussten diese laut Instruktion auf dem Wege einer Zivilrechtsklage eingefordert werden. Mit der Inbesitznahme war der Verwalter automatisch aus seiner Verantwortung für die Immobilie entlassen. Die drei Protokollexemplare gingen an die TZP (später OUL), den Verwalter und den „Inbesitznehmenden“. Die Instruktion präzisierte in keiner Weise dessenVerpflichtungen gegenüber den Mietern seines Anwesens.
Anträge auf „Inbesitznahme“ mussten bis zum 31. Dezember 1947 gestellt werden, jedoch wurde dieser Termin nach Intervention des Zentralkomitees der Juden in Polen und des Jüdischen Weltkongresses um ein Jahr verlängert. Das vereinfachte Verfahren zur Rückerlangung der Immobilien galt für die rechtmäßigen Besitzer oder deren Erben –Verwandte in direkter Linie (Vor- und Nachfahren), Brüdern und Schwestern sowie Ehepartnern, aber auch jeder Person, die ihres Besitzes verlustig gegangen ist. Nach Ablauf der Ersitzungsfrist von zehn Jahren (Art. 33 des Dekrets vom 8. März 1946) konnte man das Besitzrecht nur durch einen Zivilprozess erlangen. Bis dahin war der Verkauf theoretisch verboten, praktisch wurde ohne Begrenzung mit Immobilien gehandelt, wobei Gegenstand der Transaktionen sehr oft nicht die Immobilie selbst war, sondern das Anrecht auf diese (z.B. durch Erbschaft). Dieses Recht wurde dann schon vom Neubesitzer vor Gericht durchgesetzt. Alle, die das vereinfachte Verfahren nicht betraf, konnten ihre Rechte (Besitz und/oder Eigentum) ausschließlich auf dem Gerichtsweg auf Grundlage der geltenden zivilrechtlichen Regelungen geltend machen. Die Juden, die in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre hastig Polen verließen, verkauften deshalb eben ihre Rechte an Immobilien, denn für ein Rückübertragungsverfahren hatten sie schlicht keine Zeit.
Dieser allgemeine Überblick der wichtigsten Rechtsakte der Nachkriegszeit im Bereich des Zivil- und Eigentumsrechts sollte zeigen, wie schnell und gründlich die Änderungen erfolgten. Nicht besprochen wurden hier die zahlreichen Rechtsakte, die eine Verstaatlichung von Privatvermögen ermöglichten, wobei unterstrichen werden muss, dass Lehre und Praxis des kommunistischen Staates die schnelle Enteignung der Bürger zu Gunsten des Staates vorsahen – ohne Rücksicht darauf, ob das Privatvermögen nun Polen oder Juden gehörte. Schon das Dekret vom 2. März 1945 bestimmte, dass „niemand in den Besitz von Vermögen gelangen darf, das von besonderem Interesse für den Staat ist“ (Art. 24). Über dieses „Interesse“ entschieden in Praxis dann schlicht Parteifunktionäre und Beamte der neuen Nomenklatur. Ein Jahr später wurden das „Interesse des Staates“ dann präzisiert im Gesetz über die Nationalisierung der Industrie, weitere, darauffolgende Rechtsakte ermöglichten die Enteignung von Vermögen, das manchmal über Generationen gebildet worden war.
Die Sicht des Zentralkomitees der Juden in Polen (CKŻP) in Warschau und des Auslands
Das Gestrüpp sich ständig ändernder Vorschriften war nicht leicht zu durchdringen, schon gar nicht für die der Vernichtung entkommenen Juden, von denen sehr viele schon nach wenigen Monaten Polen verließen, zumal sie sich häufig nicht mehr an ihrem Wohnort aufhielten. Auf welche Art sie ihr Hab und Gut zurückerhielten und wie viele von ihnen dies überhaupt versuchten soll im Weiteren untersucht werden. In diesem Kapitel stelle ich die Sicht derFunktionäre und Mitarbeiter des CKŻP vor sowie derjenigen, die entweder gar nicht erst nach Polen zurückkehrten oder das Land vor Erledigung der notwendigen Formalitäten verließen.
Die größte Heimkehrwelle von Bürgern jüdischer Herkunft gab es 1946 als legale und organisierte Repatriierung aus den Tiefen der UdSSR. Sie begann genau am 8. Februar und endete am 31. Juli. Durch diese Transporte gelangten in mehr oder weniger fünf Monaten fast 160 000 Personen nach Polen. Als die ersten Repatrianten anlangten, war bereits das erwähnte novellierte Dekret vom 8. März 1946 in Kraft, das die Entrichtung hoher Gerichtsgebühren vorsah. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Novellierung und dem Beginn der Rückführungsaktion? Tatsächlich scheint es kein Zufall zu sein, betraf das Dekret doch in höchstem Maße die jüdischen Staatsbürger Polens, denn vor allem diese hatten ihre Immobilien verloren. Nach dem Pogrom von Kielce am 4. Juli 1946 verließ die Mehrheit der repatriierten Juden hastig Polen und wenn sie es bis dahin nicht geschafft hatten, ihr Häuser oder Wohnungen zurückzuerhalten und zu verkaufen, dann waren sie von nun an gezwungen, aus dem Ausland ihre Vermögensangelegenheiten über jüdische Organisationen oder private Anwälte zu regeln. Allein schon der Aufenthalt im Ausland erschwerte die Situation in jeglicher Hinsicht – vom Zugang zu den juristisch relevanten Informationen bis hin zu den kostspieligen Prozeduren. Gewiss gab es daher nicht nur einen Fall, in dem ein Antrag auf Vermögenserstattung unbezahlbar war. Die jüdischen Organisationen selbst rieten im Übrigen von solchen Schritten ab. Bezeichnend ist etwa die Antwort der Rechtsabteilung des CKŻP auf eine Anfrage von Frau F. Zibenberg aus Rio de Janeiro: „[...] teilen wir mit, dass es zweifellos nicht lohnt, die sehr mühseligen Schritte zum Antritt der Erbschaft eines Teils des Hauses in der Wielka-Straße 11 [es fehlen Angaben zur Stadt; A. S.] zu unternehmen. Das Haus ist zerstört, es müsste eine ganze Reihe von standesamtlichen Angaben zu Geburten und Todesfällen eingeholt werden, um die Verwandtschaft nachzuweisen. Das Verfahren ist kostspielig und bringt Ihnen praktisch keinerlei Vorteile, das sie als im Ausland lebende Bürgerin die Immobilie nicht verkaufen können, ohne die erzielte Summe auf ein Sperrkonto einzahlen zu müssen. Käufer für dieses Haus gibt es im Übrigen auch nicht, so dass Ihnen ein solches Unterfangen letztlich nichts als Schwierigkeiten einbringen würde.“
Nicht nur die Restitution einer Immobilie, sondern auch der Verkauf in einem Land, das von einem Systemwechsel betroffen war, verursachten also viele Schwierigkeiten, was im Ausland aber wenig bekannt war. Der Brief von Isaak Charin aus Neapel legt darüber beredt Zeugnis ab: „[...] bitte ich Sie, mir mitzuteilen, auf welche Weise und zu welchem Preis man eine Immobilie verkaufen und wie dieses Geld hierher überwiesen werden kann. Eine positive Erledigung der Sache würde mich und meine Familie aus der ungewöhnlich schwierigen finanziellen Lage befreien, in der wir uns gegenwärtig befinden.“
Ebenso typisch ist die Antwort der Rechtsabteilung, die von entsprechenden Versuchen abrät: „Selbst wenn es gelänge, Ihre Immobilie zu verkaufen, dann müsste das Geld auf ein Sperrkonto auf Ihren Namen eingezahlt werden, wodurch keinerlei Möglichkeit besteht, Ihnen die Summe zu überweisen.“
Es würde zweifellos lohnen, einmal zu recherchieren, was mit den Summen geschehen ist, die auf Sperrkonten der Nationalbank eingezahlt worden sind und wie mit dieser Erschwernis der Unmöglichkeit einer Überweisung ins Ausland in der Praxis umgegangen wurde.
Das Interesse von Privatpersonen an der Rückübertragung ihrer Vermögenswerte war enorm, was selbst an der nur fragmentarisch erhaltenen Korrespondenz der Rechtsabteilung des CKŻP zu erkennen ist. Die Handlungsmöglichkeiten dieser Institution waren jedoch gering, weshalb sie sich auf die Erteilung von brieflichen Auskünften und sporadische Interventionen beschränkte. Die Einflussmöglichkeiten des CKŻP auf die Gesetzgebung zu Eigentumsfragen scheinen gering gewesen zu sein, was den Verantwortlichen offenbar klar war, weshalb sie nur sehr wenig in dieser Richtung unternommen haben. Dies änderte sich jedoch 1947, da zum Ende dieses Jahres die Frist zur Antragstellung auf Inbesitznahme im vereinfachten Verfahren ablief. Dies scheint auch im Ausland bekannt gewesen zu sein, weshalb 1947 die ohnehin schon große Menge an Briefen an die Organisation aus allen Teilen der Welt noch einmal anschwoll. Die Korrespondenz stammte sowohl von Einzelpersonen, als auch von Organisationen und Kanzleien. Viele Betroffene hatten offenbar erst spät – etwa aus der (jüdischen) Presse – von der Möglichkeit der Rückerstattung erfahren, kannten aber das Prozedere nicht, konnten keine Adressen vertrauenswürdiger Anwälte finden und fühlten sich ganz einfach hilflos. Wie bereits erwähnt, war die Frist zur Antragstellung schon einmal um ein Jahr verlängert worden. Gleichwohl war es vielen auch bis zu diesem Termin nicht gelungen, einen Antrag zu stellen. In der Korrespondenz der Rechtsabteilung des CKŻP ist die Kopie eines Schreibens des Direktors der Legislativabteilung des Justizministeriums, Stanisław Bednarz, an das Präsidium des Ministerrats vom 29. Oktober 1948 erhalten, die von einem weiteren Versuch zur Verlängerung des Termins zeugt – diesmal jedoch ohne Erfolg. Das wichtigste Argument von Bednarz war der Hinweis auf den besonderen Rechtscharakter („ein speziell konstruierter besitzrechtlicher Schutz“) des vereinfachten Verfahrens der Inbesitznahme, denn dieses konnte auch bei Personen angewendet werden, die keinen Rechtstitel auf das Eigentum besaßen. Ein Zeitraum von dreieinhalb Jahren seit Beendigung der Kriegshandlungen, in dem dieses Recht galt, erschien Bednarz ausreichend lang. Einerseits lässt sich dem schwer widersprechen, andererseits war aus Sicht der Repatrianten dieser Zeitraum nur anderthalb Jahre lang. Bednarz fügte hinzu, dass „durch das Erlöschen dieses speziellen Schutzes die Rechte des Eigentümers an den verlassenen Vermögen durch nichts geschmälert werden. Nach der schon erfolgten Rechtsprechung des Obersten Gerichts kann eine berechtigte Person ihre Rechte an verlassenem Vermögen auf dem normalen Rechtswege zur Feststellung des Eigentumsrechts einfordern, natürlich nur bis zu dem Zeitpunkt des Erlöschens dieser Rechte wie in Artikel 34 des Dekrets bestimmt“. Zur Erinnerung: In diesem Artikel wird festgelegt, dass Selbstverwaltungsinstitutionen und der Fiskus schon nach Ablauf von zehn Jahren (!) verlassenes Vermögen übernehmen dürfen. Bednarz äußerte sich auch zur Kritik an Artikel 31 der neuen Bestimmungen zum Erbrecht vom 8. Oktober 1946, in dem es hieß: „Wenn jemand in einer Erbschaftssache, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Erbrechts eröffnet worden ist, zum gesetzlichen Erben bestimmt worden ist, nach dem neuen Erbrecht aber kein gesetzlicher Erbe ist, verliert er das gesetzliche Erbrecht am ganzen Erbe oder dessen Teilen, wenn er dieses noch nicht angetreten hat oder die Erbschaftssache unter seiner Beteiligung noch nicht eröffnet wurde, es sei denn, er erlangt eine Bestätigung seines Erbrechts in einem Verfahren, das nicht später als zwei Jahre nach Inkrafttreten des Erbrechts eröffnet worden ist.“ Wie bereits erwähnt, grenzte das neue Erbrecht den Kreis der Erbberechtigten sehr ein, wovon jüdische Familien, in denen oft nur entfernte Verwandte die Vernichtung überlebt hatten, besonders betroffen waren, denn diese verloren nun das Erbrecht. Sie erhielten es nur, wenn sie zeitig genug alle geforderten Erbformalitäten erledigen konnten. Der dafür vorgesehene Zeitraum von zwei Jahren war jedoch nicht lang, wenn man bedenkt, dass zunächst alle möglichen vernichteten oder nicht vorhandenen Dokumente auf dem Gerichtsweg beschafft werden mussten, was sehr mühselig und zeitraubend war. Im letzten Satz seines Schreibens unterstrich Bednarz, dass in solchen Fällen die Verlängerung der Zweijahresfrist „ein Rückschritt wäre, der unmöglich erscheint in einer Epoche, in der Polen auf dem Weg zum Sozialismus voran schreitet“. Die Argumentation des Beamten aus dem Justizministerium wirkt hier leicht widersprüchlich, wenn er einerseits als Verteidiger des Eigentumsrechts auftritt, andererseits aber dessen Einforderung durch Personen, die ihr Vermögen verloren haben, praktisch beschränkt.
Eile war also unter diesen Umständen in Rückübertragungsverfahren geboten, denn die Gesetzgebung änderte sich permanent zuungunsten der Eigentümer und ihrer Erben. Schon Ende 1946 war die Mehrheit der überlebenden Juden nicht mehr in Polen und daher auf den Schriftweg angewiesen, weshalb die Rechtsabteilung des CKŻP geradezu mit Briefen bombardiert wurde. Da reelle Hilfe von dieser Seite jedoch nicht geleistet werden konnte, wurden standardisierte Antworten erteilt, die die Antragssteller vom Handeln abhalten sollten. Leiter dieser Rechtsabteilung war bis August 1948, als er selbst Polen verließ, der Rechtsanwalt Ludwik Gutmacher-Kamiński. Hinzu kam, dass die Rückgabe des Vermögens von Privatpersonen nicht im Zentrum des Interesses der Rechtsabteilung stand, sondern vor allem Vermögensfragen, die die jüdischen Gemeinden und Organisationen betrafen. Dennoch wurde stets versucht, wenigstens eine Antwort zu erteilen, die dann meist wie folgt ausfiel: Das CKŻP kann sich nicht unmittelbar mit Ihrer Angelegenheit befassen, denn es betreut keine Fälle von Privatpersonen. Angezeigt ist daher die Übergabe der Sache an einen Rechtsanwalt, der seinen Sitz in dem Ort hat, an dem die Immobilie gelegen ist. Anschließend wurden einige Adressen aus dem Juristenverzeichnis genannt, wobei es sich, sofern möglich, immer um jüdische Anwälte handelte. Diese waren für die Antragsteller glaubwürdiger, gut eingearbeitet ins Thema und hatten Kontakte zu Überlebenden der Shoah, zur örtlichen Bevölkerung – was wichtig war für die Auffindung von Zeugen – und zu anderen mit der Rückübertragung befassten Anwälten. Nicht unwichtig war auch, dass sich einige auf Jiddisch verständigen konnte. Bezeichnend für die Größe des Problems ist ein Brief des erwähnten Abteilungsleiters Gutmacher-Kamiński vom 1. Juli 1948 an das Präsidium des CKŻP. Darin teilt er mit, dass er nun schon zum „14ten Mal (!)“ in Folge auf die Frage des verlassenen Vermögens zurückkommen müsse. Die Flut von Anfragen sei praktisch nicht mehr zu bewältigen, weshalb man sich auf das Versenden eines Vordrucks mit den grundlegenden Informationen zum Thema beschränke. Die Abteilung könne vor allem aus Kostengründen (Gerichts-, Verwaltungs- und Anwaltskosten) und Personalmangel keine Privatantragsteller vertreten. Gutmacher-Kamiński bringt in diesem Zusammenhang auch eine systematische Erledigung der Prozesskostenfrage, insbesondere für Mittellose, ins Spiel. Bereits im Frühling 1948 mit dem Hauptjustiziar des American Joint Distribution Commitee (AJDC, gewöhnlich abgekürzt als Joint) in Paris eine Absprache getroffen, wonach diese Organisation einen Prozesskostenfond für mittellose Personen auflegen sollte. Das Präsidium solle nun diesen Vorschlag umsetzen. Aus der noch vorhanden Korrespondenz zwischen CKŻP und Joint lässt sich schließen, dass tatsächlich in einigen Fällen die Kosten aus dem Rechtshilfefonds des AJDC in Warschau gedeckt werden konnten.
Tatsächlich ist in vielen Briefen vor allem die Rede von den Gerichts- und Anwaltskosten, mehr jedoch noch von der Unmöglichkeit, Geld nach und aus Polen zu überweisen. Grund dafür war das Verbot der Devisenausfuhr ohne Genehmigung der Nationalbank sowie der enorme Unterschied zwischen offiziellem und Schwarzmarktkurs. Der anfängliche offizielle Wechselkurs der Nationalbank lag bei 100 Złoty für 1 Dollar und war somit äußerst ungünstig. Die Devisenabteilung der Nationalbank, hob den Kurs zum 1. Dezember 1947 auf 400 Złoty für 1 Dollar an, während der Kurs des britischen Pfunds auf 1 612 Złoty für 1 Pfund festgelegt wurde.
Wie grotesk sich die Situation vor Ort darstellte, wird aus einem Schreiben zweier Anwälte aus Bielsko an das CKŻP vom 19. April 1947 deutlich, das sich durchaus verallgemeinern lässt: „Uns Anwälten ist es nicht erlaubt, ohne Erlaubnis der Devisenabteilung [die Gerichtskosten; A. S.] auszulegen. Die Devisenabteilung erlaubt dies aber nicht.“ Sie baten deshalb in dem Schreiben, „die nötigen Schritte zu unternehmen, um Beschränkungen und Schwierigkeitenhinsichtlich der jüdischen Vermögen wenigstens abzumildern“. Tatsächlich waren die Juden in den DP-Camps, aber auch viele Vorkriegsemigranten praktisch mittellos, lebten von bescheidenen karitativen Zuwendungen und konnten deshalb die geforderten Kosten nicht aufbringen. Hinzu kam, dass sie sich nur vorübergehend an diesen Orten befanden, auf Visa in außereuropäische Ländern warteten und deshalb auch keine besser bezahlte Arbeit aufnehmen konnten, sofern sie überhaupt eine Arbeit fanden. Viele waren nach dem Aufenthalt im Lager oder Ghetto krank und besaßen zudem keine Sprachkenntnisse. Der Chef des Büros für Entschädigungen beim World Jewish Congress schlug daher in einem Brief an den polnischen Botschafter in Washington, Józef Winiewicz, eine Kostenbefreiung für mittellose Personen vor und argumentierte, dass diese Praxis in vielen europäischen Ländern wie z.B. in Frankreich, Rumänien, Österreich, aber auch in der amerikanischen und französischen Besatzungszone Deutschlands Anwendung finde. Bezeugt werden könne dies schließlich von den polnischen Konsulaten in den Ländern, in denen sich die polnischen Juden aufhalten würden. Er schlug auch vor, in solchen Fällen Rechtsanwälte von Amts wegen zu beauftragen und diese aus den Einnahmen der Immobilien, um dies es ging, zu bezahlen. Ähnliche Forderungen erhoben auch andere Beteiligte, insbesondere die Verpflichtung von amtlich bestellten Anwälten auf Basis des „Armenrechts“. Gleichwohl entschied sich die Rechtsabteilung des CKŻP gegen diese Vorschläge und riet dazu, sich an den AJDC zu wenden mit der Bitte um Übernahme der Kosten.
In den meisten Briefen wurde vor allem die Unkenntnis über das rechtliche Vorgehen, die Begleichung der Kosten und korrekte Beauftragung eines Rechtsvertreters zum Ausdruck gebracht. Die Rechtsabteilung des CKŻP antworte darauf, dass eine Begleichung der Kosten aus den Einnahmen des verlassenen Besitzes auf Grund der Rechtslage in Polen nicht möglich sei. Der beauftragte Anwalt müsse direkt und im Voraus bezahlt werden über die Nationalbank in Warschau, das Außenministerium oder einen „Londonscheck“, im äußersten Notfall durch Bargeld per Brief. Hinsichtlich der anwaltlichen Vollmacht wurden mit der Zeit Vollmachten auf Ludwik Gutmacher-Kamiński angenommen mit dem Recht der Erteilung von Untervollmachten. Diese Vollmachten mussten notariell beglaubigt, ins Polnische übersetzt und von polnischen Konsultaten bestätigt sein. Die Antragsteller mussten darin sämtliche ihnen bekannte Informationen zum Eigentümer, aber auch seinen Erben sowie zur genauen Bezeichnung des Vermögens auflisten. Im Falle einer notwendigen Beibringung von standesamtlichen Urkunden war die Benennung von Zeugen in Polen hilfreich, die vor Gericht aussagen konnten.
Die Rückerlangung des Besitzes kostete nicht wenig – nach meinen Berechnungen betrugen sie 10-25% des Wertes der Immobilien. Sie waren jedoch gering, wenn das vereinfachte Verfahren Anwendung fand, der Antragsteller vor dem 1. September 1939 der Eigentümer und nicht ein Erbe war und persönlich handelte. Das Anwaltshonorar betrug mindestens 20 000 Złoty, hing aber vom Wert der Immobilie ab. Die Anwälte forderten zudem Vorschüsse bis zu mehreren Hundert US-Dollar zur Begleichung anderer Kosten. Zu diesen Kosten gehörten Gerichts- und Stempelgebühren, Erbschaftssteuer (die je nach Verwandtschaftsgrad unterschiedlich ausfiel), Rückzahlungen von notwendig gewordenen Reparaturkosten an die Lokalverwaltungen, aber auch andere Kosten, die unmittelbar mit der Feststellung der notwendigen Fakten vor Ort und dem Auffinden von Zeugen in Verbindung standen. Konkret wird hier ein Anwalt, der seinen Mandanten darüber informiert, dass die Entsendung eines Beauftragten, der vor Ort tätig wird, ca. 4 000 Złoty (ungefähr 10 USD) kostet: 1 000 Złoty pro Tag sowie Reisekosten. Abschriften der benötigten Dokumente kosteten weitere erhebliche Summen, deren Höhe abhängig war von Art und Anzahl der Papiere. Ein Auszug aus dem Grundbuch kostete etwa zwischen 300 und 600 Złoty. Im Ausland lebende Antragsteller mussten darüber hinaus für die notwendigen Notariats- und Übersetzungskosten sowie die Kosten für die Beglaubigung aller Dokumente im Polnischen Konsultat aufkommen. Die genannten Quoten müssen natürlich ins Verhältnis gesetzt werden zur damaligen Kaufkraft sowie dem Schätzwert der Immobilie. Wenn man annimmt, dass eine durchschnittliche Immobilie in einer Kleinstadt (ein Grundstück mit einem Holzhaus mit mehreren Zimmern) mit ca. 200 000 Złoty veranschlagt wurde (500 USD nach dem Kurs der Nationalbank) und diese Summe beim Verkauf auch erzielt wurde (was anhand der offiziellen Dokumente schwer feststellbar ist), dann wären die Kosten für eine Rückerlangung unverhältnismäßig hoch. Hinzu käme, dass die Devisenabteilung der Nationalbank eine Überweisung ins Ausland blockieren würde bzw. den eigenen, für sie ungünstigen, Kurs hätte anwenden müssen. Wenn also der Kontoinhaber sich dennoch sein Geld von diesem Konto hätte auszahlen lassen (es bleibt offen, ob dies möglich war), dann war er zum Umtausch auf dem Schwarzmarkt genötigt, was ihm ca. 166 USD für das Haus eingebracht hätte. Damit lägen die Kosten bei fast 30%.
Aus der erhaltenen Dokumentation resultiert, dass sich einige Organisationen, Kanzleien und Anwälte auf Fragen der Eigentumsrestitution spezialisiert hatten. So wirkte etwa in Israel der oben erwähnte Jüdische Nationalfond über seine Abteilung Jüdische Vermögen in der Diaspora, die von P. J. Jacobi geleitet wurde. In einem Schreiben vom 4. Juli 1948 an die polnische Zentrale der KKL in Lodz (Vertretungen gab es in den größeren Städten) wurde etwa darüber informiert, dass nunmehr bereits die 38. Liste von Anträgen an die polnischen Gerichte erstellt wurde, die 1 821 Positionen enthielt. Auch andere Organisationen beschäftigten sich mit diesem Thema, so z.B. das Central Commitee of Liberated Jews in the Bristish Zone, die Federation of Jews from Poland in the U.S. Occupation Zone in München, das South African Jewish Board of Deputies in Johannesburg, der World Jewish Congress mit Sitz in New York, die Association of Formerly Interned Jews in Italy , die Federacion de Los Israelitas Polacos en El Uruguay, die Jüdische Gemeinde in Stockholm und viele andere, die keine Büros in Polen hatten und auch keine Verfahren an polnischen Gerichten führten, jedoch im Namen ihrer Klienten viele Briefe an das CKŻP schrieben.
Schon rein technisch gesehen, waren die Briefe an die Rechtsabteilung des CKŻP eine Herausforderung, denn sie waren in den unterschiedlichsten Sprachen verfasst, oft handgeschrieben und schwer lesbar. Womit sich die Juristen des CKŻP beschäftigen mussten und welche Probleme die Briefschreiber, die häufig schon vor dem Krieg ins Ausland emigriert waren und deshalb überlebt hatten, aufwarfen, sollen die drei folgenden Beispiele verdeutlichen:
„Sehr geehrte Beamte, ich bitte freundlichst um Auskunft, ob in ihren Unterlagen ein Prof. Messing vermerkt ist und ob sich sein letzter Aufenthaltsort feststellen lässt. Mir scheint, dass ihn in Warschau alle kannten. Sein Vorname lautet Władysław, er wurde in Warschau geboren, ist 50 Jahre alt und telepatischer Hellseher. Mich interessiert dies sehr, da ich seine Nichte bin. Ich stamme aus Ozorków und bin vor 13 Monaten nach Santiago de Chile gekommen. Ich bin völlig allein, Verwandte habe ich nicht mehr, alle sind in deutschen Lagern umgekommen. Man muss sich mit dem Schicksal abfinden, das es so wollte. Für mich wäre es ein Wunder, wenn sich noch ein Verwandter fände, denn ich bin allein und dazu noch im Ausland. Bitte teilen Sie mir auch mit, ob man in Polen Immobilien verkaufen kann. Meine Eltern haben Häuser bei Lodz hinterlassen, auch meine Großeltern. Ich bin die einzige Erbin dieses Vermögens. Bitte informieren Sie mich schnell, wofür ich jetzt schon danke. Hochachtungsvoll, Marta Messingżanka.“
„In Beantwortung Ihres Briefes in der Erbschaftssache Berek Niciński teile ich freundlichst mit, dass ich das Grundbuch der in Frage stehenden Immobilie in Zgierz eingesehen und folgendes festgestellt habe: Die Immobilie gehörte einst Nicińskis Großvater, der lange vor dem Krieg verstorben ist und zahlreiche Nachkommen hinterlassen hat, für die die Erbschaft im Grundbuch vermerkt wurde. Unter anderem wurde auch der Vater unseres Mandaten eingetragen. Berek Niciński selbst hat jedoch sein Erbrecht verkauft, dafür jedoch das Erbrecht einer anderen Erbin gekauft. Das Nachlassverfahren nach dem Tod des Großvaters wurde nicht abgeschlossen, weshalb der Vater des Mandanten als Besitzer eines Teils der Immobilie figuriert, obwohl der Mandant unter Vorbehalt einen anderen Teil von dessen Schwester erworben hat. Die Erbschaftssache wurde bis Ende 1948 nicht abgeschlossen und eingestellt. Sollte eine erneute Eröffnung angestrebt werden, müsste dies nach neuem Recht erfolgen und nicht nur der Großvater, sondern auch alle seine Kinder einbezogen werden. Dazu müssten zunächst alle Sterbeurkunden beigebracht und festgestellt werden, wo sie bei Ausbruch des Krieges wohnten. Ohne diese Angaben ist eine Eröffnung nicht möglich. Für die Feststellung des Todes bzw. der Toderklärung sind zudem Informationen zu Geburtsdatum und -ort sowie Eheschließung der Eltern des Antragstellers nötig. Desgleichen für die erbberechtigten Tanten und Onkel bzw. Zeugen, die Daten und Umstände von deren Tod bezeugen können bzw. deren Tod als wahrscheinlich erscheinen lassen – zwecks Toderklärung. Für die Ermittlung der Grundbuchinformationen und dieses Schreiben berechne ich 2000 Złoty, um deren Überweisung ich freundlichst bitte. Hochachtungsvoll.“
„Mein Großvater Alter Schwarzberg aus Tłuszcz hat ein steinernes Haus in der Kościuszko-Str. 27 hinterlassen. Die Nachbarn hießen Trojanek, Czuk und Dąbrowski. Die hölzerne Bebauung ist abgebrannt, aber das steinerne Gebäude blieb erhalten. In ihm befindet sich ein rituelles Bad. Bitte beschäftigen Sie sich mit der Sache, damit ich mein Erbe erlange, denn ich befinde mich in einer schwierigen Lage. Ich hoffe, dass Sie das erledigen können und danke Ihnen im Voraus. Ich zeichne als Izrael Schwarzberg, Italien.“
Im Folgenden soll es um die Tätigkeit des Jüdischen Nationalfonds (KKL) gehen, dessen Überlieferung leider nur noch sehr bruchstückhaft vorhanden ist. Gleichwohl erlauben die erhaltenen Akten einen Einblick in Umfang und Art der Tätigkeit der Organisation. Das Zentralbüro in Lodz arbeitete mit vielen Rechtsanwälten in allen größeren Städten Polens zusammen, wodurch Fälle aus dem ganzen Land bearbeitet werden konnten. Um erfolgreich tätig werden zu können, musste man schließlich Ämter und Korrespondenzpartner an vielen Orten bedienen können. Am Beginn eines Verfahrens stand jeweils das Ausfüllen eines speziellen Fragebogens durch den Interessenten, wobei sämtliche wichtigen Informationen aufgeführt werden mussten (dadurch findet man darin häufig genealogische Angaben zur Familie, die heute von großem Wert sind). Diese Angaben waren Grundlage für die Bewertung, ob eine Rückübertragung wahrscheinlich war und sich dies für die KKL lohnen würde. Entschied sich der Fond für eine Übernahme wurde in Israel im Beisein eines Notars eine Gesamtvollmacht für den Fond unterzeichnet sowie Individualvollmachten mit dem Recht zur Vergabe von Untervollmachten für jeden Anwalt, der mit der Sache befasst war. Der Notar sorgte darüber hinaus für Abschriften aller vorhandenen Dokumente (standesamtliche Urkunden, Verträge) und nahm die Angaben der Mandanten über ihre Forderungen und das in Polen zurückgelassene Vermögen auf. Die so vorbereiteten Unterlagen wurden beim polnischen Generalkonsul eingereicht, der ihre Authentizität und Übereinstimmung mit dem örtlichen Recht bestätigte. In vielen Akten finden sich Informationsbögen des Fonds, die Auskunft über das Schicksal einer Familie geben sowie Beweise für die Verwandtschaft wie z.B. Briefe oder Suchanzeigen. Aus der Korrespondenz und den Verträgen lässt sich schlussfolgern, dass die Anwaltskosten sowie die Kosten für die Verwaltung der Immobilien durch den Fond auf 10% der aus dem Verkauf des rückübertragenen Vermögens erzielten Summe nach Abzug aller Kosten taxiert wurde, also Minimum 20 000 Złoty. Der Fond zahlte im Namen seiner Klienten die Erbschaftssteuer sowie alle anderen Verpflichtungen. Er besaß auch die Vollmacht, die aus einer Immobilie bis zu ihrem Verkauf erzielten Einkünfte für die Ziele der Organisation zu verwenden. Die Verkaufserlöse trafen auf ein Sperrkonto bei der Handelsbank und durften erst mit Einverständnis der Devisenabteilung der Nationalbank ins Ausland transferiert werden. Der Fond war verpflichtet, der Devisenabteilung genaue Abrechnungen und Rechenschaftsberichte für jedes Quartal vorzulegen. Im Dezember 1949 wurde das Büro in den Liquidationszustand versetzt, ein Jahr später beendete es seine Tätigkeit ganz.
Schon die Lektüre des ersten im Archiv erhaltenen Falls zeigt zwei typische Komplikationen, die ohne Beteiligung und Vermittlung des Fonds sowie seiner Anwälte nur sehr schwer oder gar nicht zu lösen gewesen wären. Die erste betraf die Erbberechtigung des Antragstellers, die vom Gericht angezweifelt werden konnte, wenn das Beweismaterial nicht ausreichend war oder Verdacht weckte. So konnte z.B. im Fall von Smycha H., Sohn von Chaia und Szaia Grün dessen Erbrecht vom Gericht nicht anerkannt werden, denn die Ehe seiner Eltern hatte ausschließlich religiösen Charakter, war also nur vor dem Rabbi geschlossen worden und nicht in den Akten des Standesamts registriert. Im Licht des damals geltenden und gerade novellierten Rechts hatte Smycha H. als „außereheliches“ Kind nicht das Erbrecht auf den Nachlass seines biologischen Vaters. Die Anwälte, die für den Fond arbeiteten korrespondierten deshalb darüber, ob es trotzdem Chancen auf eine positive Erledigung des Falls durch ein polnisches Gericht gebe. Der Fall nahm jedoch – und dies ist die zweite Komplikation – eine völlig neue Wendung, als sich herausstellte, dass das in Frage stehende Vermögen – es handelte sich um das wertvolle Sanatorium „Hanka“ in Bad Krynica – bereits gerichtlich Naftali G. zugesprochen worden war, der damals in Nowy Sącz wohnte. Die Anwälte von H. stellten fest, dass G. die Immobilie bereits zurückerhalten und, notariell bestätigt, für 800 000 Złoty verkauft hatte. Den Rechtsanwälten blieb daher nur übrig, zwischen ihren Mandaten eine Übereinkunft zu erzielen. Nafatali G. war der Neffe des Erblassers und wusste nicht, dass Smycha, der andere Erbe, den Krieg überlebt hatte und in Israel lebte. Er erkannte jedoch dessen Erbberechtigung an und überwies zu seinen Gunsten 280 000 Złoty, also die Hälfte des Verkaufserlöses nach Abzug der Kosten. Diese Kosten, so geht aus den Akten hervor, waren eine Hypothek in Höhe von 150 000 Złoty, die von Naftali G. bezahlt wurde, ebenso wie die Erbschafts- und Verwaltungsgebühren in Höhe von 90 000 Złoty. Beide bezahlten von der verbleibenden Summe 10% an den Fond. Dieses Beispiel zeigt, dass Nachlassverfahren auch eine Möglichkeit waren, nach dem Krieg Verwandte wiederzufinden, von deren Verbleib man nichts wusste und die über die ganze Welt verstreut waren.
Zweifellos waren solche Fälle auch Ursache für Konflikte, nicht nur mit Polen, die die Häuser übernommen hatten, sondern auch mit nahen oder entfernten Verwandten, die nach dem Krieg an ihre Vorkriegswohnstätten zurückkehrten. Dies war auch nicht verwunderlich angesichts der Wohnungsnot, die infolge der großen Kriegszerstörungen herrschte und der allgemeinen Armut. Ob sich solche Situationen häufig ereigneten oder nur sporadisch, wissen wir nicht. In der autobiografischen Erzählung „Der Sieg“ beschreibt Henryk Grynberg den Fall der eigenen Familie, die nach dem Krieg in die Kleinstadt Dobre zurückkehrte, um dort in dem Haus zu wohnen, das seinem Großvater zu einem Viertel gehört hatte: „Nun aber, da wir so lange verschwunden gewesen waren und alle dachten, dass wir nicht mehr leben, hatten sich in den Räumen, die eigentlich uns gehörten, Nusen und Frymka einquartiert, die mit einem Mal – auf welch eigentümliche Weise auch immer – zu entfernten Verwandten meines Großvaters geworden waren. In ihrem eigenen Anteil des Hauses, wo Nusen früher geschlachtet hatte, war ein Milizposten eingezogen, und in den hinteren Räumlichkeiten wohnte der Milizionär Czyżewski mit seiner Familie.
Nusen und Frymka erklärten, dass sie schließlich nicht hatten wissen können, dass Mama und ich noch leben, und jetzt sei es nun einmal, wie es sei, und nicht zu ändern. ‚Wir können ja wohl nicht der Miliz sagen, dass sie ihre Sachen packen sollen, weil wir jetzt Platz brauchen für dich und dein Kind!’ Mama wäre niemals in den Sinn gekommen, mit einem solchen Anliegen an die Miliz heranzutreten. Wie alle Juden aus Dobre hatte sie eine tief sitzende Angst vor jedem nichtjüdischen Vertreter einer Staatsgewalt. Sie wollte lediglich, dass Nusen und seine Frau ein einziges Zimmer abgeben. Die Wohnung war groß genug, wir hätten alle Platz gefunden. ‚Wir brauchen doch wirklich nicht mehr viel – nach allem, was wir durchgemacht haben’, sagte Mama. Aber Nusen und seine Frau wollten nichts hören davon, sie lehnten es ab, dass wir zusammen wohnen. Mama wandte sich Hilfe suchend an die Fryds.“
Ließen sich Konflikte, die zwischen Personen vor Ort entstanden noch lösen (wie es im Falle von Grynbergs Familie dann durch Vermittlung des Milizionärs doch geschah), so war dies im Falle von Personen, die in unterschiedlichen Ländern weit voneinander entfernt lebten ohne die Hilfe von Anwälten praktisch unmöglich. Man fürchtete sich vor diversen „Hochstaplern“ oder „Usurpatoren“, wie sie in den Dokumenten genannt wurden, also vor Personen, die ohne Rücksicht auf die Rechtslage betrügerisch handelten, um schnell und leicht Gewinne zu erzielen.
Krzystof Persak hat diesen Mechanismus zur illegalen Übernahme von „ehemals jüdischen“ Immobilien am Beispiel des Städtchens Jedwabne beschrieben. Grundlage dafür waren die Aussagen der Betrüger in einem Gerichtsprozess, zu dem es auf Grund eines Konflikts zwischen ihnen um eine wertvollere Immobilie gekommen war sowie die Akten des Prozesses gegen Eliasz Trokenheim, den Leiter des Untersuchungsreferates beim Kreisamt für Öffentliche Sicherheit (Urząd Bezpieczeństwa Publicznego, UB) in Łomża, der 1949 für zahlreiche Unterschlagen verurteilt wurde. Es herrscht heute die Überzeugung vor, dass in den 40er Jahren in vielen Orten organisierte Gruppen am Werk waren, die die Unwahrheit bezeugten, um fremdes Eigentum übernehmen zu können. Dieses Problem muss genauer untersucht werden, denn bisher kennen wir das Ausmaß und die Verbreitung dieses Phänomens nicht genau. Zweifellos begünstigten die Lebensumstände der Nachkriegszeit solchen Betrügereien, aber für einen „Erfolg“ mussten auch entsprechende Bedingungen vorhanden sein, wie vernichtete Standesamtsunterlagen aus der Vorkriegszeit oder das Fehlen von Einwohnerlisten einer Stadt, wodurch erst die Notwendigkeit entstand, sich in jedem Einzelfall ausschließlich auf Zeugenaussagen stützen zu müssen. Ein günstiger Umstand war auch die Zugehörigkeit zu einer „Clique“ von Amtspersonen, die gut informiert waren oder deren Position das Ausüben von Druck auf andere z.B. durch Drohungen ermöglichte. Mit Sicherheit verfügte ein UB-Mitarbeiter wie Eliasz Trokenheim über solche „Vorzüge“. Die Rede ist hier also von Machtmissbrauch und Korruption. Wie Persak gezeigt hat, reagierten die örtlichen Behörden nicht auf Hinweise über illegale Transaktionen, sprachen Richter trotz des Bewusstseins der Anfechtbarkeit in sich widersprüchliche Urteile, die jedoch günstig für die Beteiligten waren, und die Betrügereien gingen trotz Entdeckung der Clique durch die örtlichen Sicherheitsbehörden weiter. Offensichtlich fühlten sich die Mitglieder der Bande sicher vor Strafverfolgung. Die Gerichte verurteilten schon in Strafprozessen ungewöhnlich selten wegen Falschaussagen, ganz zu schweigen von Zivilprozessen. Die Hochstapler mussten höchstens mit der Abweisung eines Antrags durch den Richter rechnen; ein Risiko war also nicht vorhanden bzw. war es sehr gering. Die jüdische Gemeinde in Stockholm schrieb im Namen ihrer 6 000 aus Polen stammenden Mitglieder an den Joint in Warschau: „Bei uns melden sich auch Personen, die davon berichten, dass ihr Eigentum in Polen von dazu nicht berechtigten Leuten beansprucht wurde, die sich als Erben ausgaben und nach einem Gerichtsverfahren zu Eigentümern erklärt wurden, um anschließend diese Immobilien in vielen Fällen weiterzuverkaufen. In diesem Zusammenhang möchten wir erfahren, ob es Möglichkeiten für die rechtmäßigen Eigentümer bzw. Erben gibt, an ihr Eigentum zu gelangen und wie man in Zukunft diesem Missbrauch vorbeugen kann. [...] in der Praxis ist es leider für die Betroffenen fast unmöglich, einen Anwalt zu finden, dessen Honorar zu zahlen etc.“
In Vertretung des Joint antwortete die Rechtsabteilung des CKŻP: „Bezüglich der Frage nach der Übernahme von Immobilien durch unberechtigte Personen muss gesagt werden, dass solche Fälle in der Provinz tatsächlich sporadisch vorgekommen sind. Es steht den rechtmäßigen Eigentümern jedoch frei, sogar von den Neubesitzern ihr Eigentum zurückzufordern. Unabhängig von den oben stehenden Informationen teilen wir Ihnen freundlichst mit, dass die Versteigerung von jüdischen Immobilien, die ohne Beteiligung der Eigentümer während der Okkupationszeit stattgefunden haben, durch Klage oder Antrag von einem Gericht für ungültig erklärt werden können. Diese Anträge müssen bis zum 17. Dezember 1946 gestellt werden.“
Zwar hatte Gutmacher-Kamiński hinsichtlich der Ungültigkeitserklärung von Transaktionen während der Okkupationszeit recht, die tatsächlich relativ leicht zu erreichen war, jedoch irrte er hinsichtlich der Möglichkeit zur Rückübertragung von unrechtmäßig erstatteten und bereits verkauften Immobilien. Die Neubesitzer schützte das Gesetz: „Die Rückerlangung von Eigentum durch die rechtmäßigen Erben stieß auf Schwierigkeiten, denn die falschen Erben veräußerten die ‚geerbten‘ Immobilien sofort an Dritte, die wiederum durch die Vorschriften zum Schutz von Käufern in gutem Glauben vor einer Rückforderung geschützt waren (Art. 20 des Sachenrechts und Art. 47, § 2 des Erbrechts von 1946).“
Um Erbschaftsentscheidungen von Gerichten zuvorzukommen, wurden aus dem Ausland juristische Vorbehalte eingesandt, die von polnischen Ämtern anerkannt wurden. Gutmacher- Kamiński riet nicht dazu, Rechtsvorbehalte brieflich einzureichen, denn formal waren alle nichtgerichtlichen Erklärungen ohne Rechtskraft. In der Praxis hatten sie jedoch Einfluss auf die Entscheidungen der OUL und der Stadtverwaltungen, die verlassene Vermögen verwalteten. In der Korrespondenz zwischen dem Liquidationsamt in Zamość und der Stadtverwaltung in Szczebrzeszyn finden sich einige solcher Vorbehalte. Sie sind hinsichtlich der Formulierung fast identisch, was auf mit dem Thema vertraute Juristen als Verfasser hindeutet. So schickten etwa Personen mit Wohnsitz in Israel, die Anspruch auf in Szczebrzeszyn zurückgelassenen Besitz erhoben und vom KKL vertreten wurden, „Anträge auf Sicherung des Erbrechts“ an die Grundbuchabteilung des zuständigen Grodgerichts. Mosze Ziser aus Haifa schrieb an das OUL in Lublin: „Ich erkläre hiermit, dass ich Erbe meiner Mutter Chaia Ziser, geb. Kawersztok bin, die zuletzt in Szczebrzeszyn gewohnt hat und Eigentümerin der Immobilie Targowa-Str. 5 war, einem zweistöckigen Steinhaus. In Kürze übersende ich die notarielle Vollmacht zur Durchführung der Rückübertragung an einen der örtlichen Anwälte. Mit diesem Schreiben bitte ich jedoch, meine Anmeldung schon in den Akten zu vermerken für den Fall, dass unberechtigte Personen ein Erbrecht geltend machen sollten. Gleichzeitig bitte ich um Beaufsichtigung mit dem Ziel, meine Rechte zu wahren.“
Rechtsgrundlage für diese Anträge waren die Art. 8, § 2 des Dekrets über das Erbverfahren vom 8. November 1946: „Das Gericht erlässt von Amts wegen einen Sicherstellungsbeschluss, wenn es die Nachricht erhält, dass der Erbe abwesend oder nicht voll rechtfähig ist, keinen gesetzlichen Vertreter hat oder unbekannt ist.
Am Ende lohnt es darauf hinzuweisen, dass eine bedeutende Anzahl von Antragstellern ihre Bereitschaft bekundete, einen Teil oder sogar den gesamten Verkaufserlös der in Polen zurückerlangten Immobilien an jüdische Organisationen zu spenden, zum Teil auch unmittelbar an das CKŻP. Ob dies unter den Bedingungen, die in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre in Polen herrschten überhaupt möglich war, ist von mir nicht untersucht worden. Es scheint jedoch so, dass solche Bekundungen aufgrund der baldigen Schließung des CKŻP und anderer jüdischer Organisationen in Polen nur noch in wenigen Fällen realisiert werden konnten.
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend muss unterstrichen werden, dass das Kapitel Vermögensfragen praktisch in der zweiten Hälfte der 40er Jahre geschlossen wurde. Die Zäsur bilden das Jahr 1948 sowie der Zeitraum 1950/51. Mit dem Jahr 1948 ging der Zeitraum zu Ende, in dem Vermögen im vereinfachten Verfahren zurückerlangt werden konnte durch „Wiederinbesitznahme“; es ist aber auch das Jahr, in dem ein neues, restriktiveres Erbrecht in Kraft trat. Nach diesem Zeitraum wurden vor Gericht nur noch diejenigen Fälle behandelt, die vorher beantragt worden waren oder die nun von direkten Erben gestellt wurden. Das Jahr 1950 lässt sich als Zäsur betrachten, da einerseits das CKŻP und alle anderen unabhängigen jüdischen Organisationen, Parteien und Institutionen geschlossen wurden sowie die große Emigrationswelle von Juden aus Polen endete, andererseits die Verwaltungs- und Gerichtsreform begann, durch die die bisher für die Rückübertragung zuständigen Gerichte und Ämter abgeschafft wurden. Abgeschafft wurden die Grodgerichte, die durch Kreisgerichte ersetzt wurden; die Liquidationsämter beendeten ihre Tätigkeit am 30. Juni – alle von ihnen geführten Fälle übernahmen die Finanzabteilungen der Nationalräte. Nach 1950 waren Erbschaftsfälle auf Antrag von Juden selten. Außer den juristischen und verwaltungstechnischen Hindernissen gab es, wie ausgeführt, auch rein ökonomische Gründe, die dies verhinderten. Dazu gehörten vor allem die hohen Kosten, die insbesondere für im Ausland lebende Erben entstanden und die einen Verkauf unrentabel machten.
Parallel dazu war die Übernahme von Eigentum durch den Staat und die lokalen Selbstverwaltungsbehörden im vollen Gange, wovon insbesondere die Nationalisierungsbestimmungen für wichtige Zweige der Volkswirtschaft künden. Eine Rückübertragung von für den Staat als wichtig erachteten Immobilien fand in der Praxis nicht statt. Die Willkür der staatlichen Verwaltung ist hier der Schlüssel zum Verständnis, mit welchem System man es zu tun hatte. Gleichwohl wandten sich die Behörden in besonders zweifelhaften Fällen mit Anträgen an die Generalfinanzanwaltschaft, die dann entschied. Ein Beispiel: Mendel Dym hätte das Haus in der Zamojska-Str. 21 (ein zweigeschossiges Steinhaus) nicht zurückerhalten, wenn nicht der Umstand gewesen wäre, dass sich dieses Haus in einem schlechten Zustand befand und die Renovierung erhebliche Mittel verlangte. Anfänglich beantragte die Stadtverwaltung 1949 die Enteignung des Gebäudes, um dort ein Kulturhaus einzurichten und schickte dazu einen Antrag nach Warschau mit der Bitte um eine Einstellungsverfügung des Erbschaftsprozesses von Dym vor dem Grodgericht. Schließlich fand man jedoch ein anderes Gebäude, dessen Anpassung an das Nutzungsziel weniger kostenintensiv erschien. Größere Unternehmen und Fabriken wurden, sofern sie nach dem Krieg noch bestanden, nationalisiert. Die Räume von kleinen Werkstätten, Läden und Bäckereien wurden hingegen nach denselben Bestimmungen wie Wohnungen behandelt und den Eigentümern zurückerstattet oder kommunalisiert. Die Firmen selbst hörten auf zu bestehen.
Das Beispiel Szczebrzeszyn erscheint typisch für das Schicksal von „verlassenem Vermögen“. Davon zeugen sowohl die Forschungsergebnisse von Grzegorz Miernik und Łukasz Krzyżanowski, als auch Adam Kopcikowski. Letzterer stellt fest, dass „die Rückerlangung von im Krieg verlorenen Vermögen zwar mit einem enormen Risiko verbundenwar, es jedoch dennoch relativ vielen Juden gelang, es zurückzuerhalten“. Dieser Befund stimmt auch mit meinem Forschungsergebnis überein. Das Problem der Restitution in den ersten Nachkriegsjahren sollte auch in einem größeren europäischen Kontext betrachtet werden. Die Angaben zur Rechtslage, die in dem Bericht des Chefs der Rechtsabteilung des World Jewish Congres, Dr. Paul Weis, unter dem Titel „Survey of Restitution in Europe“ zusammengestellt worden sind, umfassen 18 Staaten, darunter Polen. Dekrete oder Gesetze zur Eigentumsrückgabe wurden demnach nicht später als 1945 erlassen, mit Ausnahme der Besatzungszonen in Deutschland, wo die entsprechenden Probleme auch 1947 noch in keiner Weise geregelt waren. Die rechtlichen Vorschriften, Prozeduren und Zeiträume, in denen ein vereinfachtes Rückerstattungsverfahren galt, waren ähnlich. Was das östliche Europa (in der Zusammenstellung werden Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien) von den anderen Staaten unterschied, war die Verweigerung der Restitution von zahlreichen Flächen, Wäldern, Gebäuden und Unternehmen auf Grund der Systemtransformation.
Abschließend muss in Bezug auf Polen hinzugefügt werden, dass die Nachkriegsgesetzgebung, die Verfahrensregeln und die amtlich-gerichtliche Praxis keinen ethnischen Charakter hatten, sondern alle Bürger Polens betrafen – ohne Rücksicht auf ihre Herkunft. Sie trafen schmerzlich diejenigen, deren Eigentum enteignet wurde. Denjenigen, die bereits in der Emigration waren oder sich zum Verlassen des Landes anschickten, wurde die Rückgabe besonders erschwert oder gar unmöglich gemacht. Die Lage der jüdischen Bürger Polens zeichnete sich jedoch durch die besondere Tragik der Shoah-Erfahrung aus, deren Nachkriegsauswirkungen sowie das Ausmaß des erlittenen Leids und Verlustes – sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht. Für die Überlebenden der Shoah war die Unmöglichkeit der Rückerlangung ihres Eigentums bzw. die damit verbundenen Schwierigkeiten, ja Gefahren letztlich deutlich fühlbarer und manchmal sogar tragisch in ihren Auswirkungen.
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Viele Häuser und Wohnungen wurden gleich nach dem Krieg von den jüdischen Besitzern oder deren Erben an Polen verkauft, die verbliebenen Immobilien wurden im Laufe der Zeit und durch Ersitzung zu Staats- oder Kommunaleigentum. Einige Immobilien wurden auch zu niedrigen Preisen von den Stadtverwaltungen verkauft und gelangten nach einiger Zeit so wieder in private Hände. Stefan Kozicki merkt mit Bezug auf Szczebrzeszyn dazu an:„Gesellschaftliche Anerkennung erlangt man in Szczebrzeszyn nicht durch den ausgeübten Beruf oder eine Funktion, sondern durch Besitz – den Besitz eines eigenen Mietshauses, eines eigenen Einfamilienhauses, eines Gartens mit gleichmäßigen Reihen von Himbeer- oder Johannisbeersträuchern. [...] In Szczebrzeszyn herrscht Wohnungshunger, der nicht zu stillen ist.“ Diese Beobachtung trifft sicher zu und hat letztlich nicht nur lokalen, sondern universellen Charakter.
Das gleiche Thema griffen – im Anschluss an die Beobachtungen von Kazimierz Wyka – die Autoren der Einleitung des Bandes über die Juden in Wieliczka und Klasno auf. Urszula Żyznowska und Wiesław Żyznowski beschreiben darin am Beispiel zweier Ehepaare die Art und Weise, auf die Wohnungen und Werkstätten von Juden übernommen wurden und welchen Einfluss dies auf das Leben der neuen Besitzer und deren Nachfahren bzw. Erben hatte. Die Beobachtungen der Autoren haben besondere Bedeutungen für die Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte im Polen der Nachkriegszeit. „Es herrscht die Ansicht vor, dass vom Dorf stammende Menschen nach dem Krieg dank der kommunistischen Machthaber in den Städten aufsteigen konnten. Sehr viel seltener wird daran erinnert, dass bei diesem Aufsteigen die Übernahme von verlassenem oder unter Zwang von Juden aufgegebenem Vermögen half. Wären diese in ihren Häusern und Läden geblieben, hätte es keinen Platz für die neuen Nutzer gegeben. [...] Den übernommenen Gütern waren es natürlich egal, wer sie besaß. In der adjektivischen Bezeichnung dieser Güter als ‚ehemals jüdisch’ ist jedoch vor allem die Feststellung enthalten, dass diese nicht mehr den Juden gehören, unabhängig davon, wie rechtskräftig oder moralisch dieser Besitzerwechsel war. Dieses Adjektiv deutet zudem an, dass Besitzerwechsel aufgrund der Nationalität sich in Art und Weise sowie den Konsequenzen von anderen Besitzerwechseln unterscheiden können.“
Die gesetzlich bestimmte Schließung der Grundbücher zum Jahresende 1946 und der Erlass, diese an die Archive abzugeben, war nur nicht nur einer von vielen neuen Rechtsakten der Nachkriegszeit, sondern auch ein symbolischer Akt der Schließung und „Neueröffnung“. In den neu eingerichteten Grundbüchern gab es schließlich zunächst nur leere unbeschriebene Seiten ohne alte Anhänge und Hypotheken und ohne die Vor- und Nachnamen der jüdischen Besitzer der Immobilien, die auf diese Art leicht zu „ehemals jüdischen“ Häusern wurden.
Aus dem Polnischen übersetzt von Matthias Barelkowski, Berlin