Weitere Neuigkeiten


19.11.2024

Geschichte der Sexualität im östlichen Europa

Iris Tabea Bauer (Leipzig) rezensiert den 29. Band des Nordost-Archivs

„Begehren macht Akteur*innen. Praktiken der Subjektivierung im 20. Jahrhundert“ - so der Titel des 29. Bandes des Nordost-Archivs, der 2023 von Dietlind Hüchtker, Claudia Kraft und Katrin Steffen herausgegeben wurde. Ausgehend von einem Verständnis, das Sexualität als kulturelles Konstrukt begreift, untersuchen die Beiträge des Bandes die Geschichte der Sexualität im östlichen Europa als Verflechtungs- und Beziehungsgeschichte. Sie wenden sich damit Praktiken der Subjektivierung in einer Region zu, die im 20. Jahrhundert durch tiefgreifende systemische und oft gewalthafte Transformationsprozesse geprägt wurde. Die Historisierung des sexuellen Begehrens, so der Anspruch des Bandes, soll zu einem differenzierten Verständnis sozialer Beziehungen, individueller Erfahrungen und gesellschaftlicher Ordnungen beitragen.

Iris Tabea Bauer (Institut für Slawistik der Universität Leipzig) hat nun den Band in den „Zapiski Historyczne“ einer eingehende Besprechung unterzogen. Die Rezensentin summiert, dass die Stärke des Bandes in der facettenreichen Darstellung der Praktiken der Ermächtigung/Subjektivierung bestünde. Besonders wertvoll sei die Berücksichtigung des jeweils spezifischen Kontextes, der hierfür Rahmen und Grundlage gewesen sei. In der Zusammenschau der Beiträge ließe sich, so die Rezensentin, eine gewisse Spezifik dieser Prozesse in den Ländern des östlichen Europas greifen, wie etwa die Kontinuierung von Mustern, das Abschwächen von Zäsuren und eine vielfach gelagerte Identitätsstruktur. Die Publikation - so die abschließende Würdigung - liefere einen wichtigen Impuls für die internationale Forschung zum Thema.

18.11.2024

Hip-Hop in Kirgistan und Theoriebildung in den Popmusikstudien

Ein Beitrag von Florian Coppenrath 

Hip-Hop-Musiker in Kirgistans Hauptstadt Bischkek organisieren ihre künstlerische Arbeit selbst, denn es fehlt an Institutionen und öffentlicher Unterstützung. Florian Coppenrath wendet sich in einer Studie diesem Problem zu und beleuchtet die sogenannten Hip-Hop-Leybly. Das sind musikalische Kollektive, die in den späten 2000er Jahren entstanden. Er bedient sich dafür des Konzept der „tuskova". Dahinter verbirgt sich ein Slangbegriffs, der in russischsprachigen kulturellen Gemeinschaften eine auf Treffen basierende Sozialität bezeichnet. Mit diesem Begriff lassen sich, so der Ansatz Coppenraths, die Besonderheiten der sozialen Formationen der Leybly herausarbeiten und ihr innere Struktur analysieren. Der Autor argumentiert darüber hinaus, dass die „tusovka" einen theoretischen Beitrag zu den Popmusikstudien leisten kann, indem sie den Versuch einer „exzentrischen“ Theoriebildung unternimmt.

Der Artikel „The Leybl as Tusovka. Approaching Hip-hop Musical Collectives in Bishkek" ist ein Beitrag zum aktuellen Themenheft, welches die Zeitschrift IASPM Journal (International Association for the study of popular music) der zeitgenössischen postsowjetischen Popmusik und dem Spannungsfeld zwischen Politik und Ästhetik widmet.

01.11.2024

Die Deutschen Kolonien in der Ukraine

Ein Beitrag von Dmytro Myeshkov 

Deutschland und die Ukraine verbindet eine lange Geschichte eines kulturellen Austausches, diplomatischer Beziehungen und der Migration. Ausgehend von dieser Beobachtung hat es sich das Zentrum Liberale Moderne zur Aufgabe gemacht, die verschiedenen Facetten dieser Beziehung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Für dieses Projekt konnte das Zentrum renommierte deutsche und ukrainische Wissenschaftler:innen sowie Zeitzeugen gewinnen. Entstanden ist der von Gelinada Grinchenko, Marieluise Beck, Jan Claas Behrends und Oksana Mikheieva herausgegebene Sammelband „Bruchstücke aus einer gemeinsamen Vergangenheit. Deutsch-ukrainische Geschichten“. In ihm werden, mit einem Fokus auf das 19. und 20. Jahrhundert, in zwanzig Texten wechselseitige Wahrnehmungen und Lebenserfahrungen skizziert, Kultur- und Wissenstransfer nachgespürt und Geschichten von Migration erzählt. Dmytro Myeshkov steuerte zum Band einen Beitrag über „Die deutschen Kolonien in der Ukraine (Ende des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts)“ bei. Darin skizziert er die fast zweihundertjährige Geschichte deutscher Kolonien im nördlichen Schwarzmeergebiet, Wolhynien, Galizien und der Bukowina.

Das Buch ist in der Reihe „Ukrainian Voices“ des ibidem-Verlags erschienen und wurde auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse präsentiert.

25.10.2024

Der Abzug sowjetischer Truppen in der deutschen und russischen Erinnerung

Liliia Zainetdinova ist Fellow des Nordost-Instituts

In diesem Jahr jährt sich der Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland zum dreizigsten Mal. Lilia Zainetdinova, die im Herbst 2024 im Rahmen des Programms „Erinnerungspolitische Kontroversen in den deutsch-russischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts“ Fellow des Nordost-Instituts ist, wendet sich diesem Ereignis zu. In ihrem Forschungsprojekt „Die GSSD und der russische Truppenabzug aus Deutschland. Russische und deutsche Erinnerungskultur im Vergleich“ untersucht sie, wie die Erinnerung an die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) und der Abzug der Westgruppe der Streitkräfte (WGT) in den nationalen Geschichtsdiskursen Deutschlands und Russlands konstruiert wird. Einen zentralen Quellenbestand stellen hierfür Veröffentlichungen und Aktivitäten ehemaliger sowjetischer Soldaten in russischsprachigen Online-Communities aber auch Einträge in Gästebüchern themenrelevanter Ausstellungen in Berlin und Brandenburg dar. Mit Hilfe einer Rahmenanalyse soll herausgearbeitet werden, wie sich die Erinnerung an dieses Ereignis im Kontext aktueller politischer Entwicklungen wandelte und wandelt. Es wird zu zeigen sein, welche Bedeutung die Erinnerungen an den Truppenabzug für die nationalen und lokalen Gemeinschaften in beiden Ländern haben und inwieweit sie das Verständnis der bilateralen Beziehungen beeinflussen.

Lilia Zainetdinova studierte Philosophie. Von September 2022 bis Mai 2024 war sie an der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Fürstenberg/Havel tätig. Gegenwärtig erarbeitet sie Materialien für die Vermittlungsarbeit des Museums Berlin-Karlshorst.

22.10.2024

Weibliche Erfahrung sowjetischer Verbannung

Vera Yarilinia ist Fellow am Nordost-Institut

Anna Guadalupe Lorenz Tirado wurde 1925 in Mexiko geboren. 1938 schickte ihr Vater, ein deutscher Staatsbürger, sie zusammen mit ihren zwei Schwestern nach Berlin, um dort in einem Vorort zu leben und zur Schule zu gehen. Während der Ausgangssperre wurde sie im Sommer 1945 in Berlin von sowjetischen Soldaten unter dem Verdacht, für den britischen Geheimdienst zu spionieren, festgenommen. Sie verbrachte mehrere Jahre in Gefängnissen und Lagern der Sowjetunion und wurde schließlich nach Sibirien verbannt. 1956 wurde sie rehabilitiert und konnte nach Mexiko zurückkehren.

Vera Yarilinia, die im Herbst 2024 im Rahmen des Programms „Erinnerungspolitische Kontroversen in den deutsch-russischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts“ Fellow des Nordost-Instituts ist, geht in ihrem Forschungsprojekt „Der Fall Anita Lorenz Tirado: Weibliche Erfahrung sowjetischer Verbannung und ein vergleichender Ansatz der unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Deutschland und Russland“ dieser Geschichte nach. Die Historikerin kann dafür auf Briefe und Erinnerungen zurückgreifen, in denen Anita Tirado ihre Erfahrungen und Erlebnisse festgehalten hat. Detalliert schildert sie darin das Alltagsleben im ländlichen Sibirien, ihre Beziehungen zu Kollegen und Nachbarn und die Reaktionen der örtlichen Bevölkerung auf Stalins Tod. Scharfsinnig und präzise beobachtet und interpretiert Anita Tirado die lokalen Festtagsrituale und Bräuche. Zugleich aber fehlt jegliche Erwähnung des Krieges oder gar eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Nationalsozialismus in Deutschland. Die Zeugnisse, die Anita Tirado hinterlassen hat, sind wertvolle Quellen. Sie erzählen die Geschichte einer Frau, die lange um ihr Leben, ihre Ehre und Würde kämpfen musste, aber ebenso eine Geschichte selektiven Erinnerns. Vera Yarilinia analysiert in ihrem Projekt diese Erinnerung, verweist auf die Fehlstellen und nimmt das Projekt zum Anlass, sich mit den Besonderheiten der Erinnerungskulturen in Russland und Deutschland auseinanderzusetzen.

Vera Iarilina ist Ausstellungskuratorin mit einem besonderen Interesse an der Vermittlung von Repressionserfahrungen anhand von individuellen Lebensgeschichten. Für ihr gegenwärtiges Projekt arbeitet sie mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten zusammen.

18.10.2024

Erinnerte Geschichte repressierter Deutscher in der Region Perm (1940/50er Jahren)

Robert Latypov ist Fellow am Nordost-Institut

Robert Lapytov ist einer der vier Fellows, die wir in diesem Herbst im Rahmen des Programms „Erinnerungspolitische Kontroversen in den deutsch-russischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts“ am Nordost-Institut begrüßen. In seinem Projekt „Verborgene Vergangenheit. Die erinnerte Geschichte der repressierten Deutschen in der Region Perm in den 1940/50er Jahren“ setzt er sich mit Interviews auseinander, die mit Deutschen aus der Region Perm geführt wurden, die in den 1940er und 1950er Jahren Repressionen ausgesetzt waren. Die Interviews werden wissenschaftlich analysiert und der bisherigen Forschung zur Erinnerungskultur und Erinnerungskonflikten im postsowjetischen Russland in Bezug gesetzt. Das so aufbereitete Material soll in deutscher und russischer Sprache auf der Webseite des Permer Büros der NGO „Memorial" veröffentlicht werden. Auf diese Weise wird der Forschung in einer Zeit, in der Archive in Russland kaum zugänglich sind, ein neuer Quellenbestand zugänglich gemacht.

Robert Latypov ist Historiker sowie Aktivist bürgerschaftlicher Bewegung. Er leitete die Zweigstelle von „Memorial" in Perm und ist Autor zahlreicher Publikationen zum Gedenken an Opfer politischer Rpression.

16.10.2024

Humor und Lachen im Sozialismus - das Beispiel der DDR

Konstantin Kotelnikov ist Fellow am Nordost-Institut

Das Nordost-Institut begrüßt in diesem Herbst vier Fellows im Rahmen des Programms „Erinnerungspolitische Kontroversen in den deutsch-russischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts“. Einer von ihnen ist der Historiker Konstantin Kotelnikow, der am Beispiel der DDR die Rolle von Humor und Lachen im politischen Kontext des sozialistischen Lagers erforscht. Anders als in der bisherigen Forschung zum Thema, versteht er Humor als eine multifunktionale emotionale Praktik. Damit sei es möglich, sich von der Dichotomie abzuwenden, in der Humor entweder „als Waffe gegen die Diktatur" oder als „stabilisierendes Ventil" begriffen wird. Mit seinem Zugang untersucht Konstantin Kotelnikov die Rolle des politischen Humors im Alltag verschiedener sozialer Gruppen ebenso wie die Humorpolitik der SED, ihren historischen Zusammenhang mit der Repressionspolitik der UdSSR und die öffentliche Reaktion auf diese Politik. Als einen zentralen Quellenbestand analysiert er Gerichtsakten. Sie zeigen das Gericht als einen Raum der Konfrontation zwischen den Emotionsgemeinschaften der DDR, und sie offenbaren widersprüchliche Humorinterpretationen. So begriffen liegt das Projekt an einer Schnittstelle von Emotions-, Alltags- und Begriffsgeschichte sowie der Geschichte des Rechts in einer transnationalen Perspektive. Konstantin Kotelnikov bereitet ein Postdoc-Projekt an der Universität Bielefeld vor.

01.10.2024

PD Dr. Kirsten Bönker wird neue Direktorin des Nordost-Instituts

Amtswechsel zum 1. Oktober 2024

Zum 1. Oktober 2024 übernimmt Frau PD Dr. Kirsten Bönker das Amt der Direktorin des Nordost-Instituts Lüneburg (IKGN e.V.).

Der wissenschaftliche Schwerpunkt der Osteuropahistorikerin Kirsten Bönker liegt auf der Kultur­geschichte des Russländischen Reiches des 19. und 20. Jahrhunderts, der Sowjetunion und den Transformationsprozessen der nachsowjetischen Zeit. Sie wurde an der Universität Bielefeld promoviert und habilitierte sich dort 2017 mit einer Arbeit über Fernsehen und politische Kommunikation in der späten Sowjetunion. Nach Gastprofessuren in Frankreich, den USA, Großbritannien und Litauen war sie zuletzt Leiterin der Abteilung für Osteuropäische Geschichte des Historischen Instituts der Universität zu Köln. In der Forschung Kirsten Bönkers nehmen die Geschichte der Kontakte und Partnerschaften zwischen westdeutschen und baltischen Städten seit den 1980er Jahren, die westliche Berichterstattung über die Sowjetunion als Imperium und die Geschichte von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern sowie Displaced Persons aus dem Baltikum einen besonderen Raum ein.

An diese Themen wird sie als Direktorin des Nordost-Instituts anknüpfen und sie in engem Anschluss an das bisherige Forschungsprofil des Instituts weiterentwickeln. Mit Blick auf die Herausforderungen, mit denen sich die liberale Werteordnung aktuell konfrontiert sieht, werden zukünftig Fragen der (Zwangs-) Migration, der politischen Kulturen und der sozio-ökonomischen Transformationen der 1980er und 1990er Jahre in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts gerückt. Es ist geplant, Forschungsprojekte zu Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern und Displaced Persons aus dem Baltikum und Polen aufzunehmen sowie das Thema „Flucht, Vertreibung und Migration“ in transnationaler Perspektive als Verflechtungsgeschichte des Kalten Krieges und der 1990er Jahre zu untersuchen.

30.09.2024

Der Geist von Potsdam. Preußisches Militär als Tradition und Erbe

Ein Sammelband herausgegeben von Agnieszka Pufelska und Philipp Oswalt 

Die aktuellen Verbrechen der russischen Armee in der Ukraine zeigen mit aller Deutlichkeit, wie die historisch gewachsenen, latenten und manifesten Potenziale eines hegemonialen Überlegenheitsanspruchs zur Entgrenzung von Gewalt und zum Krieg führen können. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, nach politisch-ideologischen Prägungen des Militärs zu fragen. Inwiefern stellt die imperiale/koloniale Gewalt eine legitimierende Kontinuität im Denken und Handeln der Soldaten dar?

Der von Agnieszka Pufelska und Philipp Oswalt herausgegebene Band Der Geist von Potsdam. Preußisches Militär als Tradition und Erbe wendet sich diesem Problem mit Blick auf das preußische Militärs zu. In fünf Kapitel: „Kulturen des Militärischen“, „Innergesellschaftliche Militärkonflikte“, „Gewaltakte und Gewaltexzesse“, „(Un-)Geist von Potsdam“ und „Traditionsstolz oder lange Schatten?“ setzen sich die eingeladenen Autorinnen und Autoren mit den personellen und institutionellen Entscheidungen sowie den dahinter stehenden Motivationen und ihren Kontexten auseinander, arbeiten die Funktion und die Ausrichtungen des preußischen Militärs heraus und fragen danach, wie der preußische Staat sein Militär organisierte, welche militärische Pflichten er seinen Einwohnern auferlegte und wie seine ideologische Ausrichtung das Militärsystem prägte.

Neben der gemeinsam mit Philipp Oswalt verfassten Einführung zum Thema „Militärstaat Preußen und der Geist von Potsdam“ beschäftigt sich Agnieszka Pufelska mit dem „Militär im Dienst der Aufklärung: Friedrich II. und seine Expansionspolitik“.

Der Band ist bei De Gruyter Oldenbourg als elektronsiche und gebundene Ausgabe erschienen.

14.09.2024

Postpreußen - Ein Forschungsprojekt

Agnieszka Pufelska am Wissenschaftskolleg zu Berlin

Ab dem 15. September 2024 ist unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Agnieszka Pufelska für fünf Monate Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Ihr dortiges Forschungsprojekt geht von der Beobachtung aus, dass Preußen aufgrund institutioneller Kontinuitäten „als bewusst gewählte historische Bezugsgröße und als unbewusst verinnerlichtes Muster in beiden 1949 gegründeten deutschen Staaten erhalten geblieben" sei. Das somit kontinuierte, weitgehend widerspruchsfreie Preußenbild wird weder der imperial-kolonialen Vergangenheit noch der ethnisch-kulturellen Vielfalt des einstigen Staates gerecht. Ausgehend von der These, dass eine neue Preußen-Renaissance, gar eine „postpreußische Sehnsucht", in der Bundesrepublik zu beobachten sei, wendet sie sich den Fragen zu, welche historischen Kontinuitäten werden durch die ungebrochenen Verbindungslinien hergestellt und wie wird das Ende Preußens heute erzählt? Ziel ist es mit einer postkolonialen Perspektivierung der Forschungsfrage, den Abschied vom tradierten Preußenbild mit einer Fokussierung der kolonialen Dimension preußischer Herrschaft zu verbinden und deutsche Gewaltgeschichte multiperspektivisch zu erzählen.

12.09.2024

„Radicals on the move“. 
A Microhistory of an Ordinary East-Central European German community (1931-1939)

Grzegorz Krzywiec (Warschau) ist Stipendiat 
des Nordost-Instituts

Im Herbst 2024 begrüßen wir Prof. Dr. Grzegorz Krzywiec als Stipendiat am Nordost-Insitut. Er ist Professor am Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau und leitet dort das Forschungsprojekt „Socio-political radicalization of the Polish province during the Great Depression and its consequences. The case of Wielkopolska/Greater Poland against the comparative background (1929-1939)“. Während seines Aufenthaltes am Nordost-Institut untersucht er am Beispiel eines kleinen Landkreises den gesellschaftspolitischen Wandel, den die dort lebende deutsche Gemeinschaft in der Zwischenkriegszeit, insbesondere unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, durchlief: wie erfolgte die Radikalisierung der deutschen Gemeinschaft in der Provinz angesichts der Weltwirtschaftskrise und der angespannten internationalen Lage. Ein besonderer Fokus wird auf den Zeitraum der Machtübernahme der NSDAP und Adolf Hitlers sowie der relativen Stabilität der deutsch-polnischen Beziehungen im Zeitraum 1934-1938 gerichtet. Grzegorz Krzywiec wird sein Projekt am Nordost-Institut im Rahmen eines Colloquiums vorstellen.

12.09.2024

Die Theologische Fakultät in Tartu und die deutschbaltische Kultur in Estland

Johann Nicolai (Potsdam) Stipendiat am Nordost-Institut

Ab Mitte September 2024 begrüßen wir Dr. Johann Nicolai als Stipendiat des Nordost-Instituts in Lüneburg. Er widmet sich hier seinem Forschungsprojekt „Die Bedeutung der Theologischen Fakultät in Tartu für die deutschbaltische Kultur und Geschichte im Kontext der Russifizierungspolitik und ihrer internationalen Verflechtungen“. Die Studie baut auf einer umfassenden Auswertung der Baltica-Bestände der Universitätsbibliothek Tallinn auf, die den „baltischen Märtyrern“ - d.h. den christlichen Opfern zaristisch-russischer und bolschewistischer Gewalt - gewidmet sind. Im Zentrum der Untersuchung stehen das „Baltische Märtyrerbuch“ von Oskar Schabert sowie die Theologische Fakultät der Universität Tartu, an der Schabert studierte und die als einzige Ausbildungsstätte für deutschsprachige protestantische Theologen im Zarenreich eine bedeutende politische Rolle spielte. Sie war, bis zu ihrer Umstrukturierung und Schließung im Zuge der sowjetischen Besetzung 1940, für die religiöse und kulturelle Identität der deutsch-baltischen Bevölkerung prägend. Johann Nicolai wird sein Projekt am Nordost-Institut im Rahmen eines Colloquiums vorstellen.

12.09.2024

Deportationen nationaler Minderheiten nach Kasachstan

Ein Beitrag von Victor Dönninghaus

In seinem Beitrag „Politbüro und Deportationen nationaler Minderheiten nach Kasachstan in den 1930er Jahren“ untersucht Victor Dönninghaus die Deportationen nationaler Minderheiten in der Sowjetunion in den 1930er Jahren. Diese, so die These der Studie, hätten die Massendeportationen, wie sie in der Sowjetunion der 1940er Jahren vorgenommen wurden, überhaupt erst ermöglicht, indem sie den gegen bestimmte ethnische Gruppen gerichteten Terror und damit die Konzeption einer „Feind-Nation“ „legalisierten“ und praktizierten. Bereits Anfang der 1930er Jahre entwickelte sich im Kontext einer allgemeinen Repressionspolitik eine spezifische Haltung gegenüber Angehörigen nationaler Minderheiten, insbesondere nationaler Minderheiten des Westens. Diese Haltung wurde angesichts der im Westen drohenden Kriegsgefahr in den folgenden Jahren konsequent forciert. Die Auswertung der zugänglichen Dokumente der führenden Partei- und Sowjetorgane einschließlich der „Sonderprotokolle“ der Sitzungen des Politbüros erlauben die Annahme, dass es sich bei den nach ethnischen Kriterien durchgeführten Säuberungen im Grenzgebiet nicht um spontane Aktionen des lokalen Machtapparats handelte, der einen Sündenbock suchte, um den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Vielmehr zeichnet sich das Bild zielgerichteter Operationen ab, die auf Initiative der höchsten Parteiführung der UdSSR (des Politbüros) und unter deren Kontrolle geplant und umgesetzt wurden.

Der Untersuchung ist Teil der von Džambul Džumabekov und Marat Ybyrajchan herausgegebenen Bandes "Materialy meždunarodnoj naučno-praktičeskoj konferencii „Istoričeskaja pamjat‘ narodov Kazachstana: istorija i sovremennost‘“ (Karaganda 2024).

12.09.2024

Breschnews Gesundheit und die Mechanismen der Macht

Ein Beitrag von Victor Dönninghaus und Andrej Savin

Die Gesundheit des Generalsekretärs des ZK der KPdSU Leonid Breschnew war für das Funktionieren des Staatsmechanismus der UdSSR von zentraler Bedeutung - so die These von Victor Dönnighaus und Andrej Savin, die sie in ihrer Studie „Leonid Brežnevtin densaulygy memlekettik mechanizmnin ėlementi retinde“ [Leonid Brezhvevs Gesundheit als Bestandteil staatliche Mechanismen] untersuchen. Dank einer Vielzahl von Quellen, vor allem den Aufzeichnungen der Sekretäre des Empfangszimmers von Breschnews sowie den Tagebucheinträgen Breschnews selbst, kann sein Gesundheitszustand über die Jahre seiner Herrschaft hinweg rekonstruiert werden. Die Autoren konnten somit die Leistungsschwankungen und die damit einhergehenden Einschränkungen der Handlungsfähigkeit des Generalsekretärs nachverfolgen. Trotz der Bemühungen Breschnews und den Versuchen der sowjetischen Bürokratie, die „Misserfolge“ und gar das vorübergehende Versagen des Führers zu kompensieren, machten sich Risse im Machtmechanismus der UdSSR, wie er sich seit Mitte der 1970er Jahre herausgebildet hatte, deutlich. Die Notwendigkeit, „hart“ zu arbeiten, wurde für den kranken und schnell altersschwachen Breschnew zu einer persönlichen Tragödie.

Die Untersuchung ist in der Zeitschrift „Vestnik Kazachskogo Nacional’nogo universiteta. Serija istoričeskaja“, Bd. 113 (2024), Nr. 2 erschienen.

11.09.2024

Der „Phosphoritkrieg“ - und die nationale Mobilisierung in der Estnischen SSR

Ein Beitrag von David Feest auf dem Protral „Lernen aus der Geschichte"

Das Festival für Unterhaltungsmusik in Tartu sorgte 1987 für Aufregung. Mit gelben T-Shirts und der Aufschrift „Phosporit - nein danke!" protestierten Teilnehmende gegen Pläne der Moskauer Regierung, den Abbau von Phosphorit in der Estnischen Sowjetrepublik auszubauen. Er wurde für die Produktion von Kunstdünger gebraucht. Der Protest war erfolgreich, die Regierung musste das Projekt auf Eis legen. David Fest skizziert in seinem Beitrag „Der „Phosphoritkrieg“ - Umweltbewegung und nationale Mobilisierung in der Estnischen SSR" für das Portal „Lernen aus der Geschichte" diese Protestbewegung - ihren Beginn in den 1970er Jahren und ihre Dynamisierung in der Zeit der Glasnost, ihre Bedeutung für nationale Solidarisierung in der estnischen Gesellschaft und ihr Potential für die Aktivierung des Protestes der aktuellen Umweltbewegung. Das Portal wird von der „Agentur für Bildung, Geschichte und Politik e.V." mit dem Ziel der Förderung der historisch-politschen Bildung herausgegeben. Der Beitrag von David Feest ist frei zugänglich.

08.08.2024

Geselligkeit in Nordosteuropa

Maris Saagpakk rezensiert die Arbeit von Jörg Hackmann zur Vereinskultur im Baltikum (VOI, Bd. 19)

Der freiwillige Zusammenschluss zu Vereinigungen mit selbstgesetzten, gemeinnützigen Zielen spielte eine zentrale Rolle in der Entstehung demokratischer Gesellschaften. Für das östliche Europa wurde dieser Sachverhalt insbesondere unter dem Leitbegriff der Zivilgesellschaft erörtert. Jörg Hackmann untersucht in seiner Monographie „Geselligkeit in Nordosteuropa. Studien zur Vereinskultur, Zivilgesellschaft und Nationalisierungsprozessen in einer polykulturellen Region (1770–1950)“ dieses gesellschaftliche Phänomen mit einem Fokus auf die einstigen russländischen Ostseeprovinzen, d.h. die Region des heutigen Lettlands und Estlands. Die quellenbasierte Studie, die 2020 in der Reihe „Veröffentlichungen des Nordost-Instituts“ als Band 19 erschien, wurde nun von Maris Saagpakk (Tallinn) für HSoz-Kult rezensiert.

Mit Blick auf die diskursive Macht der Vereine im langen 19. Jahrhundert verweist die Rezensentin auf die Relevanz der Studie. In einem großen historischen Bogen vom 18. bis in das 20. Jahrhundert frage der Autor nach der „Langzeitwirkung“ der Vereinskultur bis auf die Gegenwart. Hackmann, und hier läge das besondere Erkenntnispotential der Untersuchung, stelle das Vereinsleben als ein breitgefächertes soziales und gesellschaftliches Phänomen dar, wobei ebenso die Topographie der Vereinsorganisation und damit die räumliche Dimension des Vergemeinschaftungsprozesses untersucht würde. Mit dem vergleichenden Ansatz, wie er in mit Gegenstand und Aufbau angelegt sei, löse sich Hackmann von der bis dato dominierenden nationalgeschichtlichen Perspektive. Seine Arbeit stellt somit einen „wichtige[n] Versuch einer dynamischen und mehrperspektivischen Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene im baltischen Raum“ dar.

07.08.2024

Lettische Geschichtswissenschaft in Zwischenkriegszeit

Aufsatz von Detlef Henning zu Robert Vipper

Robert Vipper (1859–1954) war vor dem Ersten Weltkrieg Professor für Universalgeschichte an der Moskauer Universität. Nach der Revolution von 1917 fiel Vipper die Anpassung an die Verhältnisse im neuen Sowjetrussland schwer. Nachdem sein Bruder Oskar von den Bolschewisten ermordet worden war, emigierte er 1924 in das demokratische Lettland. In Riga konnte er eine zweite Karriere als Professor für Neuere Geschichte und Hochschullehrer beginnen. Er beeinflusste die erste Generation professioneller lettischer Historiker und mit ihnen die Entwicklung eines nationallettischen historischen Narrativs. Nach der Annexion Lettlands durch die Sowjetunion kehrte Vipper 1941 nach Moskau zurück und nahm bis zu seinem Tode Ämter im stalinistischen Wissenschaftssystem ein. Der russische Kunsthistoriker Boris R. Vipper (1888–1967) ist ein Sohn Robert Vippers.

Detlef Henning (Nordost-Institut) wendet sich in seinem Aufsatz „Robert Vipper und die lettische Geschichtswissenschaft in der Zwischenkriegszeit“ dem russischen Historiker zu. Die Studie ist Teil des Sammelbandes „Die drei Leben eines Historikers. Robert Vipper (1859–1954) in der russischen, lettischen und sowjetischen Geschichtsschreibung“, der von Jan Kusber, Ilgvars Misāns und Maike Sach herausgeben wurde.

05.08.2024

Arveds Švābe - Begründer der lettischen Geschichtswissenschaft

Eintrag von Detlef Henning in der lettischen Nationalenzyklopädie
Arveds Švābe 1924 (Bildquelle: Fair use: https://lv.wikipedia.org/wiki/Arveds_%C5%A0v%C4%81be

Die Nationalenzyklopädie Lettlands, 2014 als Online-Projekt der Nationalbibliothek ins Leben gerufen und seitdem beständig gewachsen, hat Detlef Henning (Nordost-Institut) mit einem Beitrag über Arveds Švābe (1888–1959), einem der Begründer der lettischen nationalen Geschichtswissenschaft nach 1918 und bedeutendster Historiker des Landes während der Zwischenkriegszeit, in die Autorenschaft der Enzyklopädie aufgenommen.

Nach ersten Versuchen vor dem Ersten Weltkrieg, dem großen 21bändigen (unvollendeten) „Lettischen Konversationswörterbuch" (1927–1940) zwischen den Kriegen sowie einer kleinen (3 Bände) und einer großen (12 Bände) lettischen Sowjetenzyklopädie in den 1960er bis 1980er Jahren ist die langfristig angelegte Nationalenzyklopädie gegenwärtig das ambitionierteste Lexikonprojekt des Landes. Die seltene Aufnahme eines nichtlettischen Autors unterstreicht die regionale Fachkompetenz des Nordost-Institut.

Detlef Henning: Arveds Švābe, Lemma in: Nacionālā Enciklopēdija (Nationalenzyklopädie, Lettland), Online.

01.08.2024

Wechsel im Direktorium des Nordost-Instituts

Wir bedanken uns bei Prof. Dr. Joachim Tauber

Das Nordost-Institut (Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa - IKGN e. V.) erlebt 2024 einen personellen Umbruch. Zum 1. August 2024 scheidet unser Direktor, Prof. Dr. Joachim Tauber, im Zusammenhang mit dem Erreichen des Rentenalters aus.

Prof. Joachim Tauber wurde 1989 an der Universität Erlangen-Nürnberg im Fach Geschichte promoviert, war dann Wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte und kam 1990 an das Institut Nordostdeutsches Kulturwerk e. V. nach Lüneburg, wie der Vorgänger des Nordost-Instituts damals hieß. Von 1993 bis 2001 leitete er dort das Nordostdeutsche Archiv. Anschließend begleitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter die Neugründung des Nordost-Instituts, die 2002 mit einer wissenschaftlichen Neuorientierung unter starker Einbeziehung der Beziehungsgeschichte der Deutschen mit ihren nordosteuropäischen Nachbarn einherging. Das neue Nordost-Institut kooperiert seit 2004 als An-Institut mit der Universität Hamburg. 2010 übernahm Joachim Tauber die Leitung des Instituts als Direktor, 2013 habilitierte er sich an der Universität Hamburg für Neuere Geschichte mit einer Arbeit zum jüdischen Arbeitseinsatz in Litauen 1941–1944. Er lehrte regelmäßig an der Universität Hamburg und wurde 2017 zum Professor ernannt. Seit 2020 ist er deutscher Co-Vorsitzender der Deutsch-Russischen Geschichtskommission. Der geographische Schwerpunkt seiner Arbeit ist Litauen, und er hat sich nicht zuletzt um die Beziehungen des IKGN auch zu den anderen baltischen Staaten verdient gemacht.

Kommissarisch wird bis zum 1. Oktober 2024 sein Stellvertreter, Prof. Dr. Victor Dönninghaus, das IKGN leiten. Prof. Dönninghaus wurde 1993 an der Staatlichen Universität Dnipropetrovs’k (heute Dnipro) promoviert. 2006 habilitierte er sich an der Universität Freiburg/Breisgau, wo er 2009 zum Außerplanmäßigen Professor ernannt wurde. Seine wissenschaftlichen Arbeiten befassen sich zentral mit der Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion. Von 2009 bis 2013 war er Stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Moskau, seitdem ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter des IKGN, seit 2014 Stellvertreter des Direktors. 2013 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Staatlichen Technischen Universität Saratov verliehen.

Zum 1. Oktober 2024 erwarten wir unsere neue Direktorin, Frau Privatdozentin Dr. Kirsten Bönker. Frau Privatdozentin Bönker wurde an der Universität Bielefeld Magistra Artium und 2007 mit einer Arbeit über die Lokalgeschichte im Gouvernement Saratov im 19./20. Jahrhundert promoviert. Nach Elternzeiten habilitierte sie sich 2017 an der Universität Bielefeld über die politische Kommunikation in der späten Sowjetunion. Nach Gastprofessuren in Frankreich, den USA und Litauen sowie mehreren Lehrstuhlvertretungen ist sie seit 2021 Leiterin der Abteilung für Osteuropäische Geschichte des Historisches Instituts der Universität zu Köln als Akademische Oberrätin a. Z.

Im Namen des Vorstands danke ich Professor Joachim Tauber für seine langjährige Tätigkeit, die dem IKGN einen würdigen Platz in der deutschen Wissenschaftslandschaft verschafft hat. Die Organisation des Umzugs in ein modernen Anforderungen genügendes Gebäude hat er mit großem Elan und Energieaufwand geleistet. Wir hoffen auf weitere gute Zusammenarbeit, denn Wissenschaftler lassen ja nicht mit der Altersgrenze den Griffel (oder die Computermaus) fallen. Und wir freuen uns auf Frau Privatdozentin Bönker, die neben ihren bisherigen Themen unter anderem vorhat, „Flucht, Vertreibung und Migration als transnationale Verflechtungsgeschichte des Kalten Krieges und der 1990er Jahre“ zu bearbeiten.

 

Prof. Dr. Frank Golczewski
Vorsitzender des Vorstands des IKGN e. V.

12.07.2024

Literatur und Kulturpolitik in Ostpreußen in den Jahren 1933-1945

Neuer Band der Schriftenreihe des Nordost-Instituts, von Magdalena Kardach

Kultur lässt sich, folgt man dem Verständnis der Athropologie, als geistige Wirklichkeit der jeweiligen in Raum und Zeit gegebenen menschlichen Gemeinschaft verstehen. Von diesem Kulturbegriff ausgehend wendet sich Magdalena Kardach in einer umfassenden Studie der ‚ostpreußischen Mentalität‘ zu. Sie fokussiert die Jahre 1933 bis 1945 und untersucht die nationalsozialistische Kulturpolitik, die in Ostpreußen zwischen eben dieser regional ausgeprägten Mentalität und dem politischen Zentrum in Berlin eingespannt war. Bildete sich infolge dessen eine ostpreußische Variante des Nationalsozialismus und der nationalsozialistischen Kulturpolitik aus? Worin liegen die Gründe hierfür? Wodurch ist sie gekennzeichnet? Kardachs Arbeit „Literatur und Kulturpolitik in Ostpreußen in den Jahren 1933-1945. Kulturelle und symbolische Landschaft im Kontext von Zentrum-Peripherie-Beziehungen“ ist als Band 32 in der Schriftenreihe des Nordost-Instituts erschienen und gibt nuancierte Antworten auf diese Fragen. Die Autorin analysiert das bewusste gesellschaftliche prozessuelle Handeln und fragt nach den unbewussten (mentalen) Konstitutionen und Voraussetzungen, die sich darin verwirklichen. Es gelingt ihr dabei, ein neues Licht auf das Verhältnis von autoritärer Ideologie, dem gesellschaftlichen System und der Kultur zu werfen. Der Band ist im Harrassowitz-Verlag erschienen.

26.06.2024

Die Erste Teilung Polens (1772) und die Entstehung Westpreußens

Das neue Nordost-Archiv ist erschienen

Die Erste Teilung Polens 1772 war in mehrfacher Hinsicht ein einschneidendes und bedeutsames Ereignis. Sie beendete zum Einen die eigenständige Geschichte eines Teils der polnischen Krone, des Königlich oder (danach) Polnisch Preußens. Sie erweiterte desweiteren die territorialen und ökonomischen Grundlagen des preußischen Königtums. Schließlich führte sie zu Änderungen in den Regeln des Völkerrechts. Die Erste Teilung Polens erregte in der zeitgenössischen europäischen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit und wurde vielfach verurteilt. Anders als bei bisherigen Eroberungen oder Abtretungen von Gebieten markierte die Teilung einen Bruch mit dem überkommenen politischen System.

In Band 33 (2024) des Nordost-Archivs, herausgegeben von Jürgen Sarnowsky, werden verschiedene Aspekte der preußischen und polnischen Geschichte vor und nach der Ersten Teilung Polens diskutiert. Die Beiträge beleuchten die Auswirkungen auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, wie etwa den polnisch-katholischen Adel. Es werden die Handelsbeziehungen zwischen Polen und Litauen mit dem Königreich Preußen untersucht sowie die Entwicklung der polnischen Wissenschaft und die der preußischen Geschichtspolitik im Zuge und im Effekt der Teilung diskutiert.

Der Band kann beim Verlag bestellt werden bzw. steht dort in Open Access zur Verfügung.

20.06.2024

Vielfalt - Gefahr - Hilfe Holzkirchen in der Ukraine

Ausstellung in Köln und Online

Die historische Holzarchitektur ist ein besonderes Erbe der Ukraine. Sie hat eine hohe identifikatorische Bedeutung für die Menschen im Land und stellt in internationalem Maßstab einen einzigartigen künstlerischen und kulturellen Wert dar. Dieses Erbe ist durch den andauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine sowohl einer akuten wie schleichenden Gefahr der Zerstörung ausgesetzt. Die Ausstellung „Vielfalt - Gefahr - Hilfe. Holzkirchen in der Ukraine“ im Foyer der Universitäts- und Stadtbibliothek in Köln gibt Einblicke in die Vielschichtigkeit dieser besonderen Zeugnisse der Architektur- und Kulturgeschichte der Ukraine, ihrer Erforschung und ihres Schutz, und es werden die Gefahren dargestellt, denen die Holzkirchen aktuell ausgesetzt sind. Die Foyerausstellung wird von einer vertiefenden Online-Ausstellung begleitet und ist bis zum 30. September 2024 in Köln zu sehen.

 

Die Ausstellung will jedoch nicht nur informieren! Sie wirbt um Hilfe für die Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine, die sich unter den immer schwierigeren Bedingungen des Krieges um den Erhalt dieses gleichermaßen wertvollen wie fragilen Erbes bemühen. Mit einen Spendenaufruf von World Heritage Watch e. V. werden Gelder zusammengetragen, die an das Klymenty Sheptytskyj-Museum für Volksarchitektur und ländliches Leben in Lviv gehen werden. Mit den Mitteln werden dort kurzfristig Schulungen für Personen vorbereitet, die unter den Bedingungen des Krieges drängenden Sicherungsarbeiten durchführen müssen. Langfristig soll in Lviv ein Zentrum für Holzrestaurierung entstehen, das als Schnittstelle zwischen der internationalen Fachgemeinschaft und den regionalen und lokalen Akteuren in der Ukraine fungieren wird.

Das Nordost-Institut Lüneburg ist an der Konzipierung und Durchführung der Ausstellungen beteiligt.

06.05.2024

Die militärische Aggression der Russländischen Föderation gegen die Ukraine

Ein Beitrag von Volodymyr V. Holovko in der „Übersetzten Geschichte"

Mit der Onlineplattform „Übersetzte Geschichte“ hat sich das Nordost-Institut zur Aufgabe gestellt, grundlegende und aktuelle Beiträge von Historikerinnen und Historikern aus den Ländern des östlichen Europas in deutscher Übersetzung zur Verfügung zu stellen, sie in der Forschung zu verorten und damit den Dialog transnational zu erleichtern und sachkundiger zu machen. Mit dem soeben veröffentlichten, neuesten Beitrag reagiert das Nordost-Institut auf die aktuelle Situation und historische Auseinandersetzung in der Ukraine, wie sie durch den Angriff Russlands auf das Land provoziert wurde.

Volodymyr V. Holovko, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Ukraine und des Razumkov-Zentrums in Kyiv, stellt in seiner Abhandlung „Die militärische Aggression der Russländischen Föderation gegen die Ukraine“ die Geschichte des Angriffs Russland auf die Ukraine dar - beginnend mit der Annexion der Krim am 20. Februar 2014. Neben einem systematischen Überblick über die wichtigsten Ereignisse entwickelt Holovko eine Periodisierung der Aggression. Er arbeitet die Ziele der russländischen Ukraine-Politik sowie die Reaktion des ukrainischen Staates und der Gesellschaft auf die brutale Einmischung des Nachbarlandes heraus. Gestützt auf eigene Forschungen sowie in Auswertung der Arbeiten ukrainischer Historiker/Historikerinnen und Sozialwissenschaftler/Sozialwissenschaftlerinnen, die seit 2014 entstanden, liefert der Autor zugleich fundierten Einblick, wie vor dem großangelegten Angriff im Februar 2022 der Krieg in der ukrainischen Geschichtsforschung interpretiert wurde.

Holovkos Abhandlung ist ein zentraler Beitrag des ersten Zusatzbandes der Enzyklopädie der Geschichte der Ukraine, die von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine zwischen 2003 und 2013 in zehn Bänden herausgegeben wurde. Ziel des historiografischen Großprojektes war es, ausgehend von neu zugänglichen Quellen und neuen methodischen Ansätzen die Darstellung der Geschichte der Ukraine einer aktualisierenden Revision zu unterziehen. Der 2021 publizierte erste Zusatzband ist der jüngsten, seit 2014 vom Angriff Russlands auf die Ukraine gezeichneten Geschichte des Landes gewidmet. Holovkos Beitrag kommt in diesem Band eine zentrale Rolle zu. Der umfangreiche, von André Böhm und Dmytro Myeshkov aus dem Ukrainischen ins Deutsche übersetzte Text, ist auf der Onlineplattform „Übersetzte Geschichte“ frei zugänglich. Er wird von einer Einführung Dmytro Myeshkovs begleitet.

02.05.2024

Lettische Literatur in Kindlers Literatur Lexikon

Detlef Henning trägt als Autor zum Nachschlagewerk bei

Kindlers Literatur Lexikon (KLL, bzw. Kindlers Neues Literatur Lexikon, KNLL), ist das umfangreichste Werklexikon zur Weltliteratur in deutscher Sprache und seit 1965 in drei Auflagen mit bis zu 20 Bänden und zuletzt Online erschienen. Erfreulich ist, dass es auch Beiträge zu Werken und Autoren kleinerer Nationalliteraturen, darunter der Länder des Baltikums, enthält. Zu den Autoren des Lexikons gehört seit diesem Jahr Detlef Henning, der als Mitarbeiter im Arbeitsbereich Baltikum am Nordost-Institut zur Geschichte Lettlands forscht. Sein erster Beitrag im KNLL widmet sich dem Roman „Homo Novus“ des lettischen Schriftstellers Anšlavs Eglītis (1906-1993). Der Roman, der 1946 in vollständiger und überarbeiteter Form veröffentlicht wurde, liegt seit 2006 in einer deutschen Übersetzung vor und wurde 2018 verfilmt.

22.04.2024

Kant in Olsztyn

Onlinepräsentation von Kant-Beständen aus dem Staatsarchiv Olsztyn

Immanuel Kant (1724-1804), dessen Geburtstag sich am 22. April 2024 zum 300sten Mal jährt, war nie in Allenstein / Olsztyn, dennoch finden sich im dortigen Staatsarchiv zahlreiche Spuren seines beruflichen Lebens. Die schriftlichen Hinterlassenschaften seiner beruflichen Tätigkeit und seines Nachlebens gelangten mit dem Großteil der Akten der Albertus-Universität Königsberg in Folge des Zweiten Weltkrieges in das 1945 polnisch gewordene Olsztyn. So findet sich heute im Olsztyner Staatsarchiv (Archiwum Państwowe w Olsztynie) die umfangreichste Überlieferung zur Königsberger Universitätsgeschichte (fast 700 000 Blatt). Diese Archivalien sind bisher in Deutschland kaum beachtet worden. Dabei bietet kein anderer Bestand auch nur einen annähernd vergleichbaren Reichtum an Dokumenten für die Erforschung der Geschichte der Albertina und somit für die Auseinandersetzung mit Kants Amtstätigkeit an dieser Universität.

Das Nordost-Institut, Lüneburg (IKGN e.V.) hat daher in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv Olsztyn zentrale Beispiele dieser „Kantiana“ digitalisiert und in Teilen transkribiert. Sie werden auf einer eigens für das Projekt „Kant in Olsztyn“ eingerichteten Internetseite präsentiert und mit einer Reihe wissenschaftlicher Texte begleitet, die die Quellen auf unterschiedlichen Ebenen kontextualisieren. Auch wenn im Rahmen des Projektes nur ein Bruchteil des vorhandenen Materials vorgestellt werden kann, eröffnet sich mit dieser Präsentation eine Reihe neuer und interessanter Perspektiven auf das Schaffen und Wirken Immanuel Kants. Das Projekt wird am Nordost-Institut von Agnieszka Pufelska betreut.

15.04.2024

„Von Konkurrenten und Lieblingen"

Rezension des Bandes von Denise von Weymarn-Goldschmidt (Veröffentlichungen des Nordost-Instituts)

In ihrer Studie „Von Konkurrenten und Lieblingen. Geschwisterbeziehungen im deutschbaltischen Adel des 18. und 19. Jahrhunderts“ untersucht Denise von Weymarn-Goldschmidt auf Grundlage autobiografischer Schriften deutschbaltischer Adliger Beziehungen zwischen Geschwistern in ihren unterschiedlichen Konstellationen, beginnend mit Vollgeschwistern über Halbgeschwister und Stiefgeschwister bis hin zu illegitimen Kindern. Die Frage nach dem Unterschied zwischen nominellem und gelebtem Familienverständnis spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Relevanz und die generationellen Konsequenzen häufig großer Altersunterschiede zwischen den Geschwistern. Weitere Themenfelder, die Berücksichtigung finden, sind die Frage nach den Lieblingskindern, das Aufwachsen von Geschwistern in getrennten Haushalten, das gemeinsame Wohnen von erwachsenen Geschwistern und der Umgang mit dem Tod von Geschwistern. Die Arbeit, die als Band 28 in der Reihe Veröffentlichungen des Nordost-Instituts 2022 im Harrassowitz Verlag erschien, wurde nun von Severin Plate (Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) für H/Soz/Kult rezensiert.

06.03.2024

Umbrüche - Aufbrüche/Przełomy - przeobrażenia/Upheavals - New Beginnings

Das Nordost-Institut auf dem 6. Kongreß Polenforschung

Die Geschichte ist eine Geschichte von Brüchen ebenso wie eine Geschichte des Umgangs mit diesen Brüchen, ihrer Beurteilung, ihrer Überwindung aber auch ihres schöpferischen Potentials. Der Sechste Kongress Polenforschung lädt vom 14.-17. März 2024 unter dem Titel „Umbrüche - Aufbrüche/Przełomy - przeobrażenia/Upheavals - New Beginnings“ zur Diskussion dieser Probleme nach Dresden ein. Agnieszka Pufelska ist mit einem Beitrag zu „Fractureless Appropriation in the Fractured Time (Museum Example)“ (Sektion: Presenting History in post-Displacement Regions) und dem Beitrag „Mehr als 'Stalins Stachel'. Der Warschauer Kulturpalast und seine narrative Funktionalisierung“ (Sektion: Polen und die DDR der 1950er Jahre. Urbane Brüche, ihre Materialität und Narration) vertreten.

23.02.2024

Preußen nicht verklären!

Ein Beitrag von Eva Murašov zur Kritik Agnieszka Pufelskas an der aktuellen Preußenrezeption

Eva Murašov nimmt in ihrem Beitrag „Deutsche Gewalt im Osten 'Wir dürfen Preußen nicht verklären'“ vom 21. Februar 2024 im Tagesspiegel den Faden eines Gespräches mit Agnieszka Pufelska über die Erinnerung Preußens im öffentlichen Raum und in Kultureinrichtungen in Berlin und Brandenburg auf. Diese Erinnerung und die Darstellung der preußischen Geschichte sei, so Pufelska, verklärend. Die Gewalt gegen Polen etwa, die das koloniale Agieren Preußens in den östlichen Provinzen erzeugt habe, würde weitgehend ausgeblendet. Das Fehlen einer entsprechend umfassenden und zugleich differenzierten Auseinandersetzung mit der preußischen Geschichte im Humboldt Forum in Berlin, sei ein „Paradebeispiel“ für die einseitige Vermittlung preußischer Geschichte. Im Humboldt Forum, so Murašov, setze eine Reflexion dieser Problematik erst nach und nach ein, nicht zuletzt in Reaktion auf die Kritik Pufelskas. Letztere fordert eine offensive Auseinandersetzung mit der problematischen Geschichte Preußens - auch im öffentlichen Raum - und deren Bertrachtung aus einer europäischen Perspektive.

22.02.2024

"Die fließenden Grenzen des Kolonialismus ..." - Perspektiven (post)kolonialer Ansätze für die Geschichte des nordöstlichen Europas

Tagungsbericht von Melina Hubel

Konzepte der Kolonialismusforschung und der Postcolonial Studies bieten interessante Ansätze, mit denen die Geschichte und deren Darstellung des östlichen Europas, insbesondere des langen 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, einer kritischen Revision unterzogen werden können. Das Nordost-Institut nahm im November vergangenen Jahres diesen aktuellen Faden der Forschung auf und veranstaltete gemeinsam mit dem Herder-Institut, Marburg einen Nachwuchsworkshop und eine Konferenz unter dem Titel "Die fließenden Grenzen des Kolonialismus. Vor- und Nachteile einer postkolonialen Perspektive für die Erforschung der nord- und ostmitteleuropäischen Regionen".

Anhand aktueller Forschungen wurde u.a. diskutiert, welches Erkenntnispotential (post)koloniale Fragestellungen etwa in Abgrenzung zur Imperialismustheorie eröffnen. Dabei wurden historische Prozesse in Konstellationen, die als kolonial begriffen werden können, verstärkt in ihren Wechselbeziehungen der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure befragt, um die Rückwirkung dieser Prozesse auch auf die imperialen/kolonialen Mächte herauszuarbeiten. Die Themen reichten von den Polnischen Teilungen bis hin zum aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine. Der Schwerpunkt lag auf den nordöstlichen Europa.

Melina Hubel hat beiden Veranstaltungen einen Bericht gewidment, der auf H/Soz/Kult zugänglich ist.

09.02.2024

Sicherheitspolitik in Ostmitteleuropa

Vortragsreihe des Nordost-Instituts in der Mediathek

Im Herbst und Winter 2023/2024 lud das Nordost-Institut zu einer Vortragsreihe ein, die sich einem hochaktuellen Thema der Zeitgeschichte widmete. In sechs Beiträgen diskutierten Politikwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen sowie Historiker Fragen der europäischen Sicherheitspolitik, beginnend mit eine Reflexion der Konzepte einer neuen Politik zwischen Rüstung und Abschreckung nach dem Ende des sogenannten Kalten Krieges über die Darstellung und Diskussion der sicherheitspolitischen Lage und Positionierung einzelnen EU-Länder des östlichen Europas bis hin zur brennenden Frage nach den Konsequenzen, die der Krieg Russlands gegen die Ukraine für die Sicherheitslage in Europa und darüber hinaus bedeutet. Ein Teil der Beiträge von Tim Geiger, Kai-Olaf Lang, Ramūnas Misiulis, Frank Golczewski, Nele Ewers-Peters und Bastian Matteo Scianna kann in der Mediathek unserer Homepage, ergänzt um zwei Interviews, die Kai-Olaf Lang und Bastian Matteo Scianna mit dem Radio ZuSa geführt haben, nachgeschaut und nachgehört werden.

08.02.2024

Medien und Menschen und die deutsch-russischen Verflechtungen im 20. Jahrhundert

Neuer Band des Nordost-Archivs (Band 32) erschienen

Internationale Verflechtungen beginnen im Kleinen. Es sind Beziehungen zwischen Menschen, die oft durch Medien vermittelt und mitgestaltet werden. Dies gilt umso mehr für das Medienzeitalter, in dem verbale, visuelle und auditive Medien die interkulturelle Kommunikation und Interaktion prägen sowie Selbst- und Fremdwahrnehmung steuern. Der aktuelle Band der Zeitschrift Nordost-Archiv (Bd. 32) „Medien und Menschen. Forschungen zu deutsch-russischen Verflechtungen im 20. Jahrhundert“, wissenschaftlich betreut und herausgegeben von Florian Coppenrath und Oxana Nagornaja, betrachtet aus dieser Perspektive die Verflechtungsgeschichten des „deutsch-russischen Jahrhunderts“. Das Themenfeld reicht dabei von der Literatur über die Medien der Propaganda bis hin zur Kriegsgräberfürsorge. Die Beiträge geben Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte, die sich den Gegenständen auf der Grundlage empirischer Untersuchungen und im Anschluss an aktuelle methodische Ansätze - etwa der Biografie- und Medienforschung - nähern.

Seit 2022 erscheint das Jahrbuch des Nordost-Instituts im Franz Steiner Verlag - jeweils als gedruckter Band und als E-Book, letzteres im Open-Access-Verfahren.

07.02.2024

Der Bankier, der Himmler bestach

Ein Beitrag von David Feest zum estländischen Bankier Klaus Scheel 

Am 23. Juni 1940 erreichte ein Mann unter merkwürdigen Umständen den Hafen der deutschen Hafenstadt Kiel. Statt mit einer Passagierfähre reiste er mit einem Frachtschiff, und ein leerer Wassertank diente ihm als Kabine. Der Name des Mannes war Klaus Scheel. Er war 50 Jahre alt und einer der reichsten Männer in den baltischen Staaten. Als Vorsitzender der Bank „Georg Scheel & Co" hatte er vor der Errichtung einer sowjetischen Marionettenregierung nur zwei Tage zuvor einige der wichtigsten Industrieunternehmen in Estland kontrolliert. Das Ziel seiner Reise war Schweden, doch die Nazis verweigerten ihm die Ausreise aus Deutschland.

David Feest schildert in seinem Beitrag „Klaus Scheel war ein estnischer Patriot, der gezwungen war, Himmler zu bestechen" in der estnischen Zeitung "Postimees" (3. Februar 2024, Printausgabe) die Position, die der deutschbaltische Bankier in Staat und Gesellschaft der Estnischen Republik einnahm. Dabei geht es besonders um seine Netzwerke, Loyalitäten und Modi der Zugehörigkeit.

16.01.2024

Begegnungen nach Plan

Gemeinsames Forschungsprojekt des Nordost-Instituts

Der Begriff „Kalter Krieg“ bezeichnet eine Ära der Trennung und des Konfliktes. Zugleich jedoch ist damit eine Zeit angesprochen, in der sich immer mehr Menschen aufmachten, andere Länder zu bereisen und zu erkunden. Tourismus gab es so auch über den „Eisernen Vorhang“ hinweg - freilich vor allem aus den westlichen Ländern in die sozialistischen Staaten, seltener in die umgekehrte Richtung. Das gemeinsame Forschungsprojekt der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Nordost-Instituts, „Begegnungen nach Plan“, wendet sich diesem West-Ost-Tourismus zwischen 1945 und 1991 zu. Das Projekt gliedert sich in einzelne Studien. In diesen werden entlang einer archivalischen oder gedruckten Quelle - Reiseberichte, KGB-Akten, Reiseführer und mehr - zunächst in essayistischer Form Problemlagen skizziert und sodann in einer wissenschaftlichen Abhandlung vertieft. Die Studien sind auf der Homepage des Nordost-Instituts zugänglich und werden sukzessive erweitert.

05.12.2023

Eingliederung deutscher Zwangsumsiedler in die kasachische Gesellschaft

Ein neuer Beitrag in der Rubrik „Übersetzte Geschichte“

Mit dem Projekt „Übersetzte Geschichte“ hat sich das Nordost-Institut zur Aufgabe gemacht, Fachtexte aus ost- und nordosteuropäischen Ländern in deutscher Übersetzung bereitzustellen und in ihrem Forschungskontext zu verorten. Mit dem neuesten Beitrag wird die Studie von Julija Podoprigora „Probleme der Eingliederung der deutschen Zwangsumsiedler in die kasachische Gesellschaft (Versorgung mit Lebensmitteln, Bereitstellung von Wohnraum, Integration in die Arbeitsprozesse)“ einem deutsprachigen Publikum zur Verfügung gestellt.

Die Autorin zeichnet darin die Lebensituation der Deutschen in der Kasachischen SSR nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion 1941 nach. Durch die Deportation von Deutschen aus anderen Teilen des Landes kamen zu den bereits vor Ausbruch des Krieges dauerhaft in der Kasachischen SSR lebenden Deutschen (über 92 000 Personen) bis Anfang Februar 1942 über 400 000 deportierte Deutsche hinzu. Das führte zu einem katastrophalen Mangel an Lebensmitteln, zu Hunger und zahlreichen durch Auszehrung bedingten Todesfällen vor allem unter Kindern und Jugendlichen. Julija Podoprigora stellt fest, dass die zentralen und regionalen Behörden vor dem Hintergrund des Krieges und der in der Republik herrschenden ökonomischen Schwierigkeiten nicht in der Lage waren, die Umsiedler für ihr Getreide, Vieh und sonstigen Besitz, den sie an den bisherigen Siedlungsorten zurücklassen mussten, zu entschädigen. Die in den Jahren 1942 bis 1946 vollzogene Mobilisierung der gesamten arbeitsfähigen deutschen Bevölkerung zur Arbeitsarmee sollte - so die Autorin - nicht nur dem Zwangsarbeitssystem in der Kasachischen SSR neue Arbeitskräfte zuführen, sondern auch die sozialen Spannungen, die an den neuen Siedlungsorten entstanden waren, abbauen.

Die Studie von Julija Podoprigora wird mit einem Beitrag von Victor Dönninghaus eingeleitet. Beide Beiträge sind auf unserer Homepage frei zugänglich.