Umgang mit jüdischem und deutschem Eigentum und Kulturerbe im Nachkriegspolen
4. Einleitende Bemerkungen
von Matthias Barelkowski
Die Eigentumsfrage als juristisches und politisches Dauerproblem. Zum Umgang mit deutschem und jüdischem Eigentum in Polen nach 1945
von Matthias Barelkowski u. Claudia Kraft
Im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs musste Polen als Staat praktisch neu erfunden werden. Der sich unter kommunistischer Führung neu konstituierende Satellitenstaat der Sowjetunion wurde dabei schnell mit der Frage konfrontiert, wie mit dem Eigentum der ermordeten Juden und dem der vertriebenen Deutschen umgegangen werden sollte. Der vorliegende Aufsatz untersucht die gesetzgeberischen Lösungsversuche, insbesondere der ersten Nachkriegsjahre, stellt sie der häufig von Chaos, „Goldgräberstimmung“, Unvermögen und Überforderung geprägten Rechtspraxis der zuständigen Behörden gegenüber und zieht schließlich eine Verbindungslinie zu den nach dem Umbruch von 1990 wiederauftauchenden Eigentumsproblemen im Zuge des Reprivatisierungsprozesses. Ausgewertet wurden dafür erstmalig die Überlieferungen des Hauptamtes für Liquidation (Główny Urząd Likwidacyjny) als auch die des Gebietsliquidationsamtes in Breslau (Okręgowy Urząd Likwidacyjny we Wrocławiu). Einbezogen wird aber auch die Erinnerungsliteratur an die Kriegs- und Nachkriegsjahre, in der das Thema Eigentum immer wieder auftaucht und über die Generationsgrenzen hinweg verhandelt wird.
Der hier vorgestellte Aufsatz von Matthias Barelkowski und Claudia Kraft spiegelt den Forschungsstand von 2013 wider und wurde zuerst in der französischen Zeitschrift „Revue d’histoire moderne contemporaine“ veröffentlicht. In der Zeit danach wurden gerade im besonders von der Reprivatisierung betroffenen Warschau neue Korruptionsskandale aufgedeckt, in die Notare, sogenannte Kuratoren, also Bevollmächtigte der Erben, und wichtige Entscheidungsträger der Stadtverwaltung verwickelt waren und bei denen es stets um die billige, letztlich kriminelle, Übernahme von teuren innerstädtischen Grundstücken unter Ausnutzung der unklaren Rechtslage ging. Erst im September 2016 trat schließlich in Polen eine Regelung in Kraft, die als „Kleines Reprivatisierungsgesetz“ bezeichnet wird. Sie soll dem Missbrauch einen Riegel vorschieben und betroffene Bürgerinnen und Bürger sowie öffentliche Einrichtungen vor „wilder Privatisierung“ schützen.
Auch jenseits der rein juristischen Regelungen findet erst in den letzten Jahren eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Eigentumsverschiebungen und deren psychosoziale Folgen statt. Ein Meilenstein bildet dabei sicher das 2014 erschienene Werk „Prześniona rewolucja“ von Andrzej Leder, das 2019 unter dem Titel: „Polen im Wachtraum. Die Revolution 1939–1956 und ihre Folgen“ auch auf Deutsch erschien. Mit „Wachtraum“ ist dabei vor allem die fehlende Aufarbeitung der gesellschaftspolitischen Umwälzungen in Folge des Krieges im Subjektbereich gemeint, also das Ausbleiben von Reflexion über die eigene Rolle und die erlebten Veränderungen bei den polnischen Akteurinnen und Akteuren. Ein zentrales Moment bilden dabei nach Leder die Eigentumsverschiebungen, insbesondere in Folge der Shoah. „Die Übernahme jüdischen Eigentums durch die polnische Bevölkerung wahrzunehmen und sie anzuerkennen ist in ähnlicher Weise frappierend wie die logische Offensichtlichkeit dieser Tatsache. [...] Ein solcher Wandel im Bereich der Eigentumsverhältnisse ist ein revolutionärer Wandel.“
Der hier vorgelegte Aufsatz möchte jenseits dieser theoretisch-psychologischen Interpretationsansätze, die in Polen bis heute breit diskutiert werden, einen Beitrag leisten zur bisher stark vernachlässigten quellenbasierten rechts- und kulturgeschichtlichen Forschung zu Eigentumsfragen im Polen der Nachkriegszeit. Er versteht sich dabei vor allem als Problemaufriss und schließt insofern an die anderen im Modul präsentierten Texte an. Es geht dabei jedoch nicht um Schuldzuweisungen oder die Unterstützung von Reprivatisierungsforderungen, sondern vielmehr um eine möglichst konkrete und sachliche Beschreibung des schwierigen Umgangs mit Eigentumsfragen nach einem für Polen nicht nur materiell verheerenden Krieg.
4.1 Die Eigentumsfrage als juristisches und politisches Dauerproblem.
Zum Umgang mit deutschem und jüdischem Eigentum
in Polen nach 1945
1. Einleitung, Forschungsstand
Polen ist das Land in Europa, das durch die massenhaften gewaltsamen Bevölkerungsverschiebungen in und nach dem Zweiten Weltkrieg wohl am nachhaltigsten geprägt worden ist. Die nationalsozialistische wie auch die sowjetische Besatzungspolitik während des Krieges setzten eine Kette von Umsiedlungen, Vertreibungen und Deportationen in Gang, denen sich nach Kriegsende die Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung aus dem polnischen Vorkriegsterritorium sowie aus den nun an den polnischen Staat gefallenen deutschen Ostgebieten anschloss. Die massenhaften Bevölkerungsverschiebungen standen in engem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen der Jahre 1939–1945. Die Aufteilung des östlichen Europas in zwei Interessensphären zwischen den beiden totalitären Regimen des Nationalsozialismus und des Stalinismus durch das geheime Zusatzprotokoll des „Hitler-Stalin-Pakts“ war vor allem für den nach dem Ersten Weltkrieg wiederentstandenen polnischen Staat ausgesprochen folgen- und verlustreich. Sowohl im deutschen wie im sowjetischen Machtbereich waren Vertreibungen, Deportationen und auch gezielte Vernichtungspolitik ein Charakteristikum der jeweiligen Besatzungsherrschaft. Im sowjetischen Machtbereich wurden in den Jahren 1939–1941 ca. 325 000 polnische Staatsbürger (jüdische wie katholische) ihrer Heimat beraubt und in die Sowjetunion deportiert. Dabei überschnitten sich häufig politische, soziale und ethnische Kriterien, die der Verfolgung zugrunde gelegt wurden. Die sowjetische Annexion der polnischen Ostgebiete wies eine Synchronität von Sowjetisierung und Nationalisierung auf, die bereits vor Kriegsbeginn bei den Deportationen polnischer Sowjetbürger im Zuge der Kollektivierung der frühen 1930er Jahre sowie im Anschluss an den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt des Jahres 1934 sichtbar geworden war.
Die nationalsozialistische Besatzungspolitik war in erster Linie durch die rassistische Segregation der Bevölkerung geprägt. In deren Folge wurden ca. 3 Mio. jüdische Polen ermordet, nur ca. 10% der polnischen Juden überlebten den nationalsozialistischen Völkermord. Aus den an das Deutsche Reich angegliederten Territorien des polnischen Staates wurde massenhaft polnische Bevölkerung vertrieben, allein aus dem Warthegau ca. 365 000 Menschen in das Generalgouvernement. Dieser als „Nebenland“ des Reiches deklarierte Raum, der zunächst der Aufnahme der in den neuen Reichsgebieten „unerwünschten“ Menschen gedient hatte, wurde nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion zum Schauplatz des megalomanen Siedlungsprojekts mit der Bezeichnung „Generalplan Ost“. In dessen Zuge sollte die Siedlungsstruktur Osteuropas auf rassistischer Grundlage dauerhaft umgestaltet und die „deutsche Siedlungsgrenze“ um 1 000 km nach Osten verschoben werden. Der Tod von Millionen als „slawische Untermenschen“ deklarierter Personen wurde dabei billigend in Kauf genommen werden. Allein im Generalgouvernement bedeuteten diese Planungen für ca. 110 000 Menschen die Deportation aus ihrer angestammten Heimat. Vertreibungen waren jedoch nicht nur Bestandteil der planmäßig betriebenen nationalsozialistischen Lebensraumpolitik, sondern wurden auch als Vergeltungsmaßnahmen eingesetzt, etwa als nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes im Herbst 1944 mehrere hunderttausend Einwohner aus der Stadt deportiert wurden. Eine weitere Folge des Hitler-Stalin-Paktes war die Umsiedlung von ca. einer halben Million Deutscher, die durch die im Pakt vorgenommene Aufteilung Osteuropas in eine deutsche und eine sowjetische Interessensphäre aus letzterer vor allem im Reichsgau Wartheland angesiedelt werden sollten. Mit zunehmender Dauer des Krieges wurde es für die deutschen Behörden in den annektierten Gebieten immer schwieriger „unerwünschte“ Bevölkerung einfach nach Osten zu deportieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde das Instrument der Deutschen Volksliste (DVL) eingesetzt, mittels derer „eindeutschungsfähige“ slawischstämmige Bevölkerung identifiziert werden sollte. Bis zum Kriegsende waren ca. 2,9 Mio. Menschen in eine der vier Gruppen der DVL entweder durch die Besatzer kategorisiert worden oder hatten sich „freiwillig“ dort eingetragen, nicht selten um ihre Lebensbedingungen bzw. Überlebenschancen unter deutscher Besatzung zu verbessern. Gerade diese Gruppe geriet nach Kriegsende ins Visier der neuen polnischen Behörden, die ihrerseits nach einem ethnisch homogenen polnischen Staat strebten und die Unterzeichner der DVL mit Misstrauen betrachteten.
Bereits während des Krieges hatte sich herauskristallisiert, dass Stalin als wichtige Stütze der alliierten Kriegskoalition nicht bereit sein würde, die ihm durch den Hitler-Stalin-Pakt zugefallenen Gebiete im Zuge der territorialen Neuordnung Europas in der Nachkriegszeit wieder abzugeben. Als Kompensation für die riesigen Gebietsverluste des polnischen Staates rückten die deutschen Ostgebiete in den Blick. Schon auf den Kriegskonferenzen der Anti-Hitler-Koalition wurde die neue polnische Westgrenze an der Oder und der (Lausitzer) Neiße festgelegt. Obwohl Polen der siegreichen Koalition angehörte, wurde es somit zum Spielball der Alliierten im Rahmen der geopolitischen Neuordnung Europas. Die Westverschiebung Polens bedeutete daneben den unwiederbringlichen Heimat- und Eigentumsverlust für die deutsche Bevölkerung, die bislang im polnischen Staat gelebt hatte bzw. im Zuge der genannten geopolitischen Neuregelung bei Kriegsende unter polnische Herrschaft gekommen war. Auch wenn seit dem Winter 1944/45 viele Deutsche vor der rasch heranrückenden Roten Armee geflohen waren, hielten sich bei Kriegsende noch immer ca. 4,5 Mio. Deutsche im neuen polnischen Staatsgebiet auf. Diese wurden in mehreren Wellen seit dem Sommer 1945 zunächst im Zuge der durch das polnische Militär durchgeführten „wilder Vertreibungen“ verdrängt (ca. 300-400 000 in den Monaten Juni und Juli 1945). Schon bevor im Februar 1946 die auf der Konferenz von Potsdam beschlossene organisierte Aussiedlung der Deutschen begann, hatten aufgrund der sich rapide verschlechternden Lebensbedingungen bis Ende 1945 ca. 900 000 Deutsche das Land verlassen. Von Februar 1946 bis November 1947 wurde schließlich die Mehrzahl (ca. 3,3 Mio.) der noch anwesenden Deutschen ausgesiedelt, in den Jahren bis 1950 folgte ihnen nochmals eine Gruppe von ca. 137 000 Deutschen.
Doch nicht nur die deutsche Bevölkerung wurde durch die territoriale Neuordnung in Mitleidenschaft gezogen. Durch den Verlust der polnischen Ostgebiete, die nun dauerhaft den litauischen, weißrussischen ukrainischen Sowjetrepubliken angegliedert wurden, wurde die im ehemaligen Ostpolen ansässige Bevölkerung auch nach Kriegsende zum Opfer staatlich verordneter Migrationspolitik. In den zwischen der neuen prokommunistischen polnischen Regierung – dem „Polnischen Komitee zur Nationalen Befreiung (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN), das seit Mitte 1944 in den von der Roten Armee „befreiten“ Gebiete Polens sukzessive die Kontrolle übernommen hatte – und den politischen Führungen der drei genannten Sowjetrepubliken bereits im Herbst 1944 abgeschlossenen „Evakuierungsverträgen“ wurde vereinbart, dass die polnische Bevölkerung, die durch den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 bis 1941 und dann seit 1944 erneut unter sowjetische Herrschaft gekommen war, in das neue polnische Staatsgebiet übersiedeln sollte, während dort lebende polnische Staatsbürger litauischer, weißrussischer und ukrainischer Nationalität aufgefordert wurden, sich in ihre jeweils ko-nationalen Sowjetrepubliken zu begeben. Ähnlich wie im Falle der deutschen Bevölkerung, die in Teilen bereits vor der heranrückenden Front geflohen war, bevor die organisierten Vertreibungs- und Zwangsaussiedlungsmaßnahmen einsetzten, gingen auch im Falle der ostpolnischen Bevölkerung Flucht und Vertreibung ineinander über. Seit dem Ausbruch des polnisch-ukrainischen Bürgerkrieges im Jahr 1943 waren bereits ca. 300 000 Polen aus den umkämpften polnisch-ukrainischen Gebieten östlich des Bugs geflohen. Im Rahmen der drei „Evakuierungsverträge“ wurden seit Ende 1944 ca. 1,5 Mio. Polen in den nach Westen verschobenen Staat „repatriiert“, wie es euphemistisch hieß. Zwar wurde diesen Menschen die Mitnahme von ein bis zwei Tonnen Gepäck sowie der Anspruch auf Entschädigung für zurückgelassene Immobilien zugesichert, doch unterschied sich die chaotische Nachkriegsrealität eklatant von den vertraglichen Regelungen.
Die Geschichte dieser massenhaften Bevölkerungsverschiebungen ist inzwischen – gerade auch vor dem Hintergrund der Synchronität der deutschen und sowjetischen Verbrechen sowie in der diachronen Perspektive, die das Kriegsende im Jahr 1945 nicht als trennende Zäsur begreift – gut untersucht. Nicht zuletzt auch die Zwangsaussiedlungen der deutschen Bevölkerung aus Polen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die derjenigen Polen, die aus den im Anschluss an den Hitler-Stalin Pakt an die Sowjetuniongefallenen polnischen Ostgebieten flohen bzw. „repatriiert“ wurden, sind seit dem politischen Umbruch des Jahres 1989 zu einem häufigen Sujet vor allem polnischer und deutscher Wissenschaftler geworden und mittlerweile durch umfangreiche Quellensammlungen gut dokumentiert. Neben den auf das polnische Kriegs- und Nachkriegsterritorium bezogenen Werken liegen nun auch erste Synthesen vor, die die Prozesse der „ethnischen Säuberungen“ im und in Anschluss an den Zweiten Weltkrieg in größere europa- bzw. globalgeschichtliche Zusammenhänge einordnen bzw. enzyklopädische Werke, mit denen eine faktografische Bestandsaufnahme aller europäischer Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert angestrebt wird. Diesen Publikationen gemeinsam ist, dass sie mit einer Perspektive auf das 20. Jahrhundert als dem „Jahrhundert der Vertreibungen“ sehr stark auf den Zusammenhang von moderner Nationalstaatsbildung seit dem 19. Jahrhundert und Praktiken ethnischer Homogenisierung verweisen, die durch die zunehmende Interventionstätigkeit des modernen Staates immer umfassender wurden. Die enge zeitliche Nähe von Zwangsaussiedlungen und Systemtransformation im mittleren und östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ruft jedoch noch weitere Forschungsfragen hervor, die bisher weniger bis gar nicht beachtet wurden, wie etwa die Fragen inwieweit der demografische Wandel und das zur Verfügung stehende Eigentum die Systemtransformation erleichterten und inwieweit die Verteilung von „fremdem“ Eigentum (das ja zum Teil von ehemals polnischen Staatsbürgern stammte) den Charakter der neuen volksdemokratischen Staaten formte.
Wagt man einen synthetischen Blick auf das Thema Vertreibung, dann ist sicher Philipp Ther zuzustimmen, der in seinem Werk zu den „ethnischen Säuberungen“ darauf hingewiesen hat, wie eng Zwangsmigration und revolutionärer Systemwechsel miteinander zusammenhängen: „Die Fragmentierung und die geringe Verwurzelung der Nachkriegsgesellschaft in den ethnisch gesäuberten Gebieten machte diese zu einem Experimentierfeld für den Aufbau der kommunistischen Diktatur, die Kollektivierung, die Verstaatlichung des Kleingewerbes und des Handels. Dies war nicht zuletzt deshalb möglich, weil die Ansiedler meist über keine Eigentumstitel für das übertragene Land, Gewerbebetriebe und die von ihnen bewohnten Wohnungen und Häuser verfügten. Die „Entdeutschung“ erleichterte die Etablierung der Diktatur auch auf politischer Ebene.“
Marcin Zaremba hat herausgearbeitet, wie sehr die neuen kommunistischen Eliten nach dem Zweiten Weltkrieg auf einen primitiven, xenophoben Nationalismus setzten, um ihre Legitimation innerhalb der polnischen Bevölkerung zu stärken. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass diese Strategie scheiterte, da die kommunistische Staatsführung und ihre Administration bis zum Ende der Volksrepublik Polen als „fremd“ wahrgenommen wurde. Genauere Untersuchungen, wie sich nationale und soziale Legitimationsmuster in der Nachkriegszeit verschränkten, stehen allerdings noch aus. Gerade mit regional- bzw. lokalgeschichtlichen Untersuchungen könnte hier sicher ein genaueres Bild gezeichnet werden, in dem deutlich wird, dass soziale und nationale Argumentationslinien sich häufig überschnitten.
Während – wie oben skizziert – der Forschungsstand zum Thema Zwangsmigrationen und demografischer Wandel durchaus als gut beschrieben werden kann, gibt es bislang kaum Detailstudien zur Frage, wie gerade vor dem Hintergrund sozialer und ethnischer Homogenisierung mit dem Eigentum von als national bzw. sozial als „fremd“ deklarierten Gruppen umgegangen wurde, das heißt wie konkret Akte des Eigentumsentzugs und vor allem der Umverteilung im Prozess der Integration und Desintegration der „neuen“ Gesellschaft abliefen. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, inwieweit die neuen polnischen Machthaber Diskurse der nationalen bzw. sozialen Revolution als Legitimationsressource nutzten, sondern auch wie die Bevölkerung auf das so gezeichnete Bild einer neuen nationalen Gemeinschaft reagierte und sich das Verständnis von Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft wandelte. Damit könnte die sehr häufig noch dominierende Sichtweise aufgebrochen werden, dass eine neue, von der polnischen Bevölkerung als „fremd“ empfundene politische Führung jener ihre politischen Vorstellungen aufgezwungen habe.
Am Beispiel des Umgangs mit Eigentum in Nachkriegspolen kann – so unsere Annahme – die Prozesshaftigkeit des Entstehens der neuen Ordnung genauer beschrieben und die Wechselwirkungen zwischen den Erwartungen von Regierenden und Regierten besser in den Blick genommen werden.
Aus der bundesrepublikanischen Perspektive spielten die Enteignungen der ehemals deutschen Staatsbürger im Gesamtkomplex der als unrechtmäßig erachteten „Vertreibung“ durchaus eine Rolle und es erfolgte bereits relativ früh eine Bestandsaufnahme der zentralen Gesetzesvorgaben; gerade im Umfeld westdeutscher Vertriebenenorganisationen blieb das Thema relevant und vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen Neuordnung in Polen seit 1989 sowie des nahenden EU-Beitritts verstärkte sich dieses Interesse erneut zu Beginn des 21. Jahrhunderts, stellten doch im Sozialismus wertlos gewesene Immobilien nun ein großes Vermögen dar. All diese Publikationen stellen aber auf den Eigentumsentzug ab, der offensichtlich in der Wahrnehmung sehr vieler Polen und Deutscher als größtes Sakrileg empfunden wurde, setzen sich jedoch kaum mit dem ambivalenten Prozess der Neuverteilung auseinander.
Einen ersten Blick hierauf aus rechtsgeschichtlicher Perspektive, in dem vor allem Kontinuitäten und Wandel beim Vergleich der beiden Nachkriegszeiten betont werden, haben Dieter Gosewinkel und Stefan Meyer präsentiert, wobei es ihnen vor allem um den Zusammenhang von Staatsangehörigkeit und Eigentumsentzug geht. In der von Włodzimierz Borodziej und Hans Lemberg herausgegebenen Quellensammlung zur Zwangsaussiedlung der Deutschen wird das Thema der Neuverteilung von enteignetem Eigentum ebenfalls nichts umfassend und systematisch behandelt, da die Edition auf den Prozess der Zwangsaussiedlung und nicht auf den Aufbau einer neuen Gesellschaft fokussiert ist. Allerdings liefern die hier publizierten Dokumente immer dann wichtige Anhaltspunkte für die sich wandelnden Kriterien der Umverteilung, wenn nicht eindeutig zu klassifizierende Gruppen als mögliche Leidtragende bzw. Nutznießer des Prozesses im Fokus stehen, etwa die im Duktus der Zeit als „Autochthone“ bezeichneten ehemals deutschen Staatsangehörigen, die wie die Oberschlesier oder die Masuren als der polnischen Nation zugehörig betrachtet wurden oder die „Volksdeutschen“, die als polnische Staatsbürger im Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Germanisierungspolitik die sogenannte „Deutsche Volksliste“ unterzeichnet hatten.
Gerade vor dem Hintergrund der sich hier offenbarenden regionalen Unterschiede wird die Bedeutung eigentumsrechtlicher Fragen für die Ausgestaltung des neuen sozialistischen Staates sichtbar, denn die politische Praxis der regionalen und lokalen Behörden wich nicht nur häufig stark von den zentralen Vorgaben ab, sondern es lassen sich auch zwischen den einzelnen Regionen signifikante Unterschiede hinsichtlich der Kriterien herausarbeiten, nach denen die Umverteilungsprozesse gesteuert wurden.
So entwickelte sich insbesondere das reiche Niederschlesien mit Breslau als Mittelpunkt in der Zeit des Bevölkerungstransfers, der massenhaft dort anwesenden sowjetischen Truppen sowie einer praktisch kaum oder schlecht funktionierenden Staatsverwaltung zunächst zu einer Art „Wilder Westen“ Polens, mit einem riesigen Schwarzmarkt und einer völlig unregulierten Besitzaneignung sowohl von Privat- als auch von ehemals staatlichem deutschen Eigentum.
Sehr plastisch schildert das etwa Joanna Konopińska, die als junge Studentin Ende März 1945 aus Posen nach Breslau kam und deren Tagebücher einen guten Eindruck jener Zeit vermitteln. Unter dem 12. November 1945 notiert sie:
„Angeblich redet man in Zentralpolen davon, dass die Westgebiete mit Leuten aus den gesellschaftlichen Randschichten besiedelt werden sollen, verschiedenen Nichtstuern, Dieben, dem sogenannten Abschaum, dessen sich die anderen Regionen des Landes entledigen wollen. [...] Ohnehin ist schon viel Bodensatz hierher gekommen, aber dass man aus den neuen Gebieten eine Strafkolonie machen will, ist empörend! Fakt ist, dass man in Zentralpolen insbesondere Niederschlesien als „Wilden Westen“, „Mexiko“ u.ä. bezeichnet. Und diese Bezeichnungen sind – leider – gerechtfertigt.” Möglicherweise waren diese Gerüchte zur bevölkerungspolitischen Abwertung notwendig, um die Funktion Niederschlesiens als staatliches „Ersatzteillager“ für den Wiederaufbau des zerstörten Warschau zu rechtfertigen. Ob diese Gerüchte auch mit dem Umstand zu tun hatten, dass viele überlebende und repatriierte polnische Juden von der Regierung in Niederschlesien angesiedelt wurden, das so zu einer Art Mittelpunkt des jüdischen Lebens in Polen wurde, bleibt offen.
Aber auch in den altpolnischen Gebieten kam es – insbesondere auf Grund des zahlreichen verlassenen jüdischen Eigentums – zu erheblichen Problemen, da die (wenigen) zurückkehrenden Juden in ihren ehemaligen Häusern und Wohnungen auf neue Bewohner trafen und in diesem Zusammenhang – nicht zuletzt durch die Verrohung des Krieges – zahlreiche Gewaltexzesse stattfanden. Dieses lange tabuisierte Thema wurde erst nach 1989 Gegenstand der Forschung und hat seitdem in Polen immer wieder heftige politisch-historische Debatten ausgelöst, die ihrerseits aber auch die weitere Forschung dazu vorantrieben.
Auch jenseits der wissenschaftlich-intellektuellen Debatten fand dieses Thema seit den 1980er Jahren Beachtung. Einem größeren internationalen Publikum dürfte etwa die Verschränkung der Themen Holocaust, Eigentum, jüdische Emigration aus Polen nach 1945 exemplarisch durch Art Spiegelmans berühmte Comicserie „Maus. Die Geschichte eines Überlebenden“ vor Augen geführt worden sein. Der überlebende Wladek Spiegelman trifft darin im D.P. Camp Belsen kurz nach dem Krieg auf der Suche nach seiner Frau Anja auf zwei Freunde aus Sosnowitz, die gerade aus Polen geflohen sind. Sie berichten ihm von einem gemeinsamen Bekannten, der aus dem Lager kommend das Haus seiner Familie und die große Bäckerei zurückhaben will. Daraufhin wird er von den nun dort lebenden und arbeitenden Polen – diese werden im Comic als Schweine dargestellt! – geschlagen und erhängt. Anschließend entwickelt sich folgender Dialog: Spiegelman: „Schluss! [...] Ich will nichts mehr hören! Sagt mir nur, ob ihr irgendwas von Anja gehört habt.“ Gesprächspartnerin: „Ich habe sie gesehen! Sie hat nicht versucht, ihren Besitz zurückzufordern. Die Polen lassen sie in Frieden.“
Dieses literarische Beispiel lässt sich sicher kontrovers diskutieren – gleichwohl sind die darin aufscheinenden Konflikte bis heute nicht gelöst, was u.a. in den derzeit andauernden heftigen Debatten über die Reprivatisierung von Immobilien zum Ausdruck kommt.
Ziel unseres Aufsatzes ist es, die oben schlaglichtartig beleuchteten Probleme auf der Basis neuer Quellenauswertungen zu untersuchen, die häufig paradoxen Lösungsansätze der neuen Machthaber hinsichtlich des Umgangs mit Eigentum im Kontext von angestrebter sozialer Gleichheit und nationaler Homogenisierung näher zu analysieren und auf deren heutige Auswirkungen zu verweisen.
Im Folgenden soll dazu zunächst ein grober Überblick über die Gesetzgebung zu Enteignung und Rückgabe in Bezug auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gegeben werden, um anschließend an Hand ausgesuchter Bespiele zu untersuchen, wie diese Gesetze in der Praxis funktionierten, welche Institutionen dazu geschaffen wurden und wie diese mit den zahlreichen Grauzonen und Ambivalenzen innerhalb eines gerade neu entstehenden, ungeübten und daher ineffektiven Staatsapparates, der zudem unter politischem Druck stand, umgingen.
Als Beispiele werden – auf Basis vor allem der Überlieferungen des Hauptliquidationsamtes in Łódź, die sich heute im Archiwum Akt Nowych (AAN) in Warschau befindet sowie der Überlieferung des Gebietsliquidationsamtes in Breslau im Archiwum Państwowe (AP) Wrocław – der Umgang mit privaten Immobilien, beweglichem Privateigentum, kleineren Betrieben und dem Eigentum von Religionsgemeinschaften vor allem in Breslau, aber auch in anderen Städten der „wiedergewonnenen Gebiete“ betrachtet. Zur Kontrastierung und Verdeutlichung der unterschiedlichen Probleme der erwähnten Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Teilen des neu bzw. wieder entstehenden polnischen Staats werden zudem Beispiele aus anderen Städten des Landes herangezogen, die bereits vor 1939 zu Polen gehörten.
Nicht untersucht wurde, da das den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde, der Umgang mit großen Industriebetrieben sowie landwirtschaftlichem Grund und Boden.
Insgesamt kann es sich jedoch nur um einen ersten Überblick handeln, da für eine umfassende Betrachtung des Eigentumsproblems und seiner Folgen bis heute die Auswertung zahlreicher anderer Quellen notwendig wäre. Zu nennen sind hier etwa die Überlieferungen der Grod-Gerichte (sądy grodzkie) zu zivilrechtlichen Auseinandersetzungen über Immobilienbesitz, aber auch die Überlieferungen der Nationalräte auf Stadt- und Kreisebene, bei denen häufig Kommissionen zur Kontrolle der Eigentumssicherung und -umverteilung existierten sowie die Akten des Staatlichen Repatriierungsamtes (Państwowy Urząd Repatriacyjny).
2. Der gesetzliche und institutionelle Rahmen
Wie oben geschildert war die Realität in Polen bei Kriegsende in extremem Ausmaße durch gewaltsame Bevölkerungsverschiebungen und durch radikale neue Grenzziehungen im Westen wie im Osten des Landes gekennzeichnet. Neben der Pauperisierung und Traumatisierung, die die Erfahrungen von sechs Jahren Besatzungsherrschaft unter zum Teil mehrfach wechselnden Regimen bei der Bevölkerung hinterlassen hatten, stellten die weiterhin anhaltenden Migrationsbewegungen die um die politische Vorherrschaft ringenden polnischen Kommunisten vor schwierige Herausforderungen. Neben der angestrebten politischen Umgestaltung in einem gesellschaftlichen Milieu, das gerade dort, wo man Erfahrungen mit dem „sowjetischen Modell“ gemacht hatte, oftmals ausgesprochen antikommunistisch eingestellt war, galt es, nicht nur die Migrationsströme logistisch zu bewältigen, sondern auch möglichst rasch eine Klassifizierung vorzunehmen, wer dem zu schaffenden neuen sozialistischen Staatsvolk angehören sollte und wer nicht. Gerade die Eigentumsfrage eignete sich hier besonders, um die in den Augen der Kommunisten notwendigen In- und Exklusionsprozesse auf eine materielle Basis zu stellen. Die in der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) zusammengeschlossenen Kommunisten und Sozialdemokraten sahen sich dabei gleich vor mehrere Herausforderungen gestellt. So war ihr gesellschaftlicher Führungsanspruch in der Nachkriegszeit zunächst mehr Postulat denn Realität. Gerade in der traditionell starken Bauernpartei erwuchs ihnen bis zu deren Ausschaltung im Jahr 1947 eine ernsthafte Konkurrenz. Die Kopplung von sozialer und nationaler Revolution bot sich in dieser Auseinandersetzung an, war doch das Eigentum der auszusiedelnden bzw. bereits geflohenen Deutschen ein Pfund, mit dem man auch gegenüber traditionell eher antikommunistischen Strömungen in der noch immer mehrheitlich bäuerlich geprägten Gesellschaft wuchern konnte, denn damit stand ein umfangreicher Fundus zur sozialen Umverteilung zur Verfügung. Auch die Schaffung eines ethnisch homogenen polnischen Nationalstaats, eine Maxime, die die kommunistische Führung vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Instrumentalisierung von Minderheitenproblemen im Vorkriegspolen durch das nationalsozialistische Deutschland formulierte, erwies sich als ausgesprochen schwieriges Unterfangen. Am Beispiel des Umgangs mit dem Eigentum gerade der nicht eindeutig zuzuordnenden Bevölkerungsgruppen zeigte sich deshalb, wie eng politische Systemtransformation und demografische Neuordnung in Nachkriegspolen zusammenhingen.
Das in Lublin unter sowjetischer Kontrolle geschaffene Polnische Komitee der Nationalen Befreiung, das als polnische Exekutive auf den durch die nach Westen vorrückende Rote Armee befreiten (ehemals deutsch besetzten) Gebieten in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1944 wirkte, erließ im Juli 1944 ein Manifest, das als Anhang zum Gesetz Nr. 1 in das wiederbegründete Gesetzblatt der (Volks)Republik Polen (Dziennik Ustaw RP) einging. Auch zur Eigentumsfrage wurden hier bereits Ausführungen gemacht: „Das den einzelnen Bürgern, Bauern, Kaufleuten, Handwerkern, kleinen und mittleren Unternehmern, Institutionen und der Kirche von den Deutschen geraubte Eigentum wird den rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben. Deutsches Vermögen wird konfisziert. Den auf bestialische Weise von den Besatzern behandelten Juden wird ein Wiederaufbau ihrer Existenz sowie die rechtliche und faktische Gleichstellung zugesichert.“
Konkreter wurden diese Absichterklärungen knapp ein Jahr später mit den Gesetzen „Über die Ausschaltung feindlicher Elemente aus der polnischen Gesellschaft“ und „Über die verlassenen (opuszczony) und aufgegebenen (porzucony) Vermögen“ vom 6. Mai 1945. „Ausgeschaltet“ und enteignet werden sollte mit dem ersten Gesetz die deutsche Bevölkerung der neuen Westgebiete, deren Vermögen dem Einzug unterlag, sowie staatliches deutsches Vermögen, aber auch die sogenannten Volksdeutschen, die von den NS-Behörden in sogenannten Volkslisten (1-4) erfasst und klassifiziert worden waren und deren Vermögen ebenfalls der Konfiskation unterlag. Allerdings bestand für Bürger der Republik Polen in den Grenzen vom 31. August 1939, die als Volksdeutsche der Kategorien 2 bis 4 registriert waren, die Möglichkeit, sich auf dem Gerichtswege zu rehabilitieren und das entzogene Vermögen zurückerstattet zu bekommen. Diese Vermögen wurden im zweiten Gesetz zunächst als porzucony (aufgegeben) bezeichnet, was jedoch nur bedingt zutraf, da sich viele Deutsche ja noch innerhalb der neuen polnischen Grenzen an ihren angestammten Wohnorten befanden. Die zweite Vermögensgruppe in diesem Gesetz wurde als „verlassenes Vermögen“ (majątek opuszczony) bezeichnet, das sich im Zusammenhang mit dem Krieg nicht mehr im Besitz der ursprünglichen Besitzer mit polnischer Staatsangehörigkeit befand und das nunmehr ihm bzw. seinen Rechtsnachfolgern (Erben) oder Bevollmächtigten zurückgegeben werden sollte. Verantwortlich war zunächst das Hauptamt der Vorläufigen Staatsverwaltung (Główny Urząd Tymczasowego Zarządu Państwowego. GU TZP), an das mit dem Gesetz vom 23. Juli 1945 auch juristische Personen (Gemeinden, Vereine, karitative Organisationen etc.) herantreten konnten mit der Bitte um Übergabe von Vermögen aus beiden Gruppen zur Nutzung. Bereits am 8. März 1946 wurde ein neues umfassenderes Gesetz erlassen, das Konfiskation und Rückgabe neu regelte und nun die Begriffe „vormals deutsches Vermögen“ (majątek poniemiecki) und verlassenes Vermögen“ (majątek opuszczony) verwendete. Diese Begrifflichkeiten scheinen bei näherer Betrachtung sehr widersprüchlich, denn „vormals deutsches Vermögen“ war ja einerseits nach der Vertreibung der Deutschen ebenfalls „verlassenenes Vermögen“, was insbesondere auf die neuen polnischen Westgebiete zutraf, in denen repatriierte Polen aus dem Osten an Stelle der nach und nach abtransportierten Deutschen angesiedelt wurden.
Andererseits traf der Begriff „verlassenes Vermögen“ insbesondere auf das Eigentum von Juden zu, die durch den Holocaust zu der mit Abstand am stärksten an Leib, Leben und Eigentum geschädigten Bevölkerungsgruppe geworden waren. Sämtliches jüdisches mobiles und immobiles Eigentum war während der Okkupation von den deutschen Behörden konfisziert worden, war aber auch in die Hände polnischer Privatpersonen bzw. nach dem Ende der deutschen Okkupation in die Hände der neuen polnischen Staatsverwaltung gelangt.
Im Volksmund und auch im Schriftverkehr niederer Institutionen war deshalb direkter von „vormals jüdischem Eigentum“ (majątek pożydowski) die Rede, was mit dem Begriff „poniemiecki“ wesentlich besser korrespondierte, da damit beide Vermögensgruppen ethnisch definiert waren. Dariusz Stoła stellt dazu fest: „Diese Begriffe übermittelten wohlgemerkt außer der Information, dass besagte Sache bereits nicht (mehr) jüdisch bzw. deutsch ist, explizit Angaben über die Nationalität des vormaligen Eigentümers. Implizit wusste jeder mit dem historischen Kontext vertraute Pole, dass jener Eigentümer die Sache in Folge des Zweiten Weltkriegs verloren hatte.“
Wie oben gezeigt wurde zwar der ethnische Terminus „vormals deutsch“ im Eigentumsgesetz von 1946 verwendet, nicht aber die Bezeichnung „vormals jüdisch“, sondern das neutrale „verlassenes Eigentum“. Dies führte in der Konsequenz zu erheblichen Klassifikationsproblemen, denn „verlassen“ traf, wie oben ausgeführt, auf beide Vermögensgruppen gleichermaßen zu.
Hinzu kam, dass das Dekret weitere Hürden für eine Rückgabe aufbaute, die gerade für die wenigen jüdischen Überlebenden kaum zu überwinden waren. So gab das Dekret den Vorkriegsbesitzern bzw. deren Erben – Ehegatten, Geschwistern sowie Verwandten in absteigender und aufsteigender Linie (Großeltern, Eltern, Kindern und Enkeln) – zwar die Möglichkeit, auf Antrag den ehemaligen Besitz (d.h. die praktische Verfügung, nicht jedoch den Eigentumstitel!) wieder zu erlangen. Den entfernteren Verwandten blieb jedoch nur, auf zivilrechtlichem Wege ihre Erbansprüche geltend zu machen, was auf Grund der äußerst schwierigen Nachkriegssituation nur schwer durchzuführen war. Dies traf vor allem die wenigen überlebenden Juden, die durch den Tod ganzer Familien und den Totalverlust des Eigentums die größten Probleme hatten, die nötigen Nachweise beizubringen. Als Frist für die Antragstellung wurde zudem – zunächst – äußerst knapp der 31. Dezember 1947 festgelegt. Diese Frist wurde dann – wahrscheinlich nicht zuletzt auf Bitten des World Jewish Congress – bis zum 31. Dezember 1948 verlängert.
Dass diese Erschwernisse politisch durchaus gewollt waren, lässt sich nachweisen. Stola merkt dazu an: „Die Autoren der Dekrete verhehlten nicht, dass die Beschränkung unter anderem mit Blick auf das Hab und Gut der ermordeten Juden eingeführt worden war. Vor dem Landesnationalrat (Krajowa Rada Narodowa, KRN), einem von den Kommunisten ernannten Legislativsubstitut, wurde diese Beschränkung damit begründet, dass es sonst zur Konzentration riesiger Vermögen in den Händen einiger weniger Personen kommen könnte. Eine derartige Konzentration wäre, so behaupteten die Befürworter der Beschränkungen, erstens nicht gerecht und wirtschaftlich unproduktiv und zweitens würde ein Anwachsen des Antisemitismus drohen.“
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die rechtshistorische Forschung zur Eigentumsfrage diesen Kontext bis heute ignoriert. Die einzige umfassende polnische Darstellung zu diesem Thema, die die Zeit von 1944 bis 1981 umfasst, erwähnt das Problem des jüdischen Eigentums im Zusammenhang mit den Dekreten mit keinem Wort explizit. Neutral weist die Autorin Anna Machnikowska jedoch auf die deutliche juristische Verschlechterung hin, die das Dekret vom 8. März 1946 gegenüber dem Gesetz vom 6. Mai 1945 gerade hinsichtlich der „verlassenen Vermögen“ mit sich brachte. Neben dem Umstand, dass die Anwesenheit dritter Personen keine Bedeutung mehr hatte, war eine eventuelle positive Gerichtsentscheidung auch nicht mehr sofort ausführbar: „[...] u.a. in einer Situation, in der das Vermögen verpachtet oder vermietet worden war sowie im Falle der Übernahme der Verwaltung durch den Staat oder staatliche juristische Personen, aber auch im Falle von durch diese Institutionen getätigter Investitionen. Der Gesetzgeber verschwieg auch die bisher geltende Verpflichtung zur Hilfe für diejenigen Personen, die eine positive Entscheidung für sich bekommen hatten.“
Hinsichtlich der Eigentumsformen müssen weiterhin die Kategorien Immobilien und Mobilien unterschieden werden, die sich wiederum im Besitz natürlicher (Privatpersonen) als auch juristischer Personen (Staat, Parteien, Organisationen, Gesellschaften) befinden konnten.
Die beschriebenen Vermögenskategorien „vormals deutsch“ und „verlassen“ mussten nun diesen Eigentumsformen zugeordnet und mit politischen Vorgaben wie der Nationalisierung von Großgrundbesitz, Schlüsselindustrien und Betrieben mit über 50 Beschäftigten in Übereinstimmung gebracht werden. Definiert werden musste vor allem, welches Vermögen als „vormals deutsch“ und welches als „verlassen“ galt. Definiert werden musste zudem, welche natürlichen und juristischen Personen als deutsch zu gelten hatten. Unterschieden wurde hier in Übernahme deutscher Definitionen zwischen Reichsdeutschenund den sogenannten Volksdeutschen, die bis zum 1. September 1939 polnische Staatsbürger waren. Wurde reichsdeutsches Vermögen umstandslos enteignet und als „vormals deutsch“ definiert, gestaltete sich die Situation für das volksdeutsche Eigentum differenzierter. Für Volksdeutsche der Listen 2 bis 4 sah das Gesetz vom 6. Mai 1945 (Nr. 96) immerhin die Möglichkeit der Rehabilitation und bei deren Erfolg die Rückerstattung des zuvor konfiszierten Vermögens vor.
Für die praktische Umsetzung der Bestimmungen und Definitionen wurden in dem Gesetz vom 8. März 1946 die Liquidationsämter geschaffen, untergliedert zunächst in ein zentrales Amt (Główny Urząd Likwidacyjny, GUL) mit Sitz in Łódź und diesem untergeordnete Gebietsämter (Okręgowe Urzędy Likwidacyjne, OUL) mit Filialen (Obwodowe Urzędy Likwidacyjne). Bereits in der Zeit der II. Republik (1918–1939) existierte ein Amt gleichen Namens, das die sich aus der Wiedererrichtung des polnischen Staates in neuen Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg ergebenden Eigentumsfragen klären sollte. Inwieweit hier eine bewusste Anknüpfung an die Erfahrungen und Traditionen dieses Amtes beabsichtigt war, lässt sich nicht sagen.
Schon im November und Dezember 1948 wurde die Institution per Gesetz bzw. Verordnung organisatorisch umstrukturiert. Das GUL wurde abgeschafft, seine Kompetenzen auf die OUL übertragen und zusätzlich Bezirksämter (Rejonowe Urzędy Likwidacyjne, RUL) gebildet, die von Filialen unterstützt wurden. Die RUL bildeten in Streitfällen die erste Instanz, die OUL die zweite, mithin ging die bisherige Kompetenz der Gerichte auf die Liquidationsämter über. Oberste Berufungsinstanz waren das Schatzministerium und das Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete, dem die dortigen OUL unterstanden. Die OUL sollten vor allem als Ansprechpartner für Rückforderungen – vor allem aus dem Ausland – und Beschwerden dienen sowie die Verwaltung und Instandhaltung des konfiszierten bzw. herrenlosen Vermögens (Immobilien) überwachen. Eine weitere wichtige Aufgabe war die Erfassung, Schätzung und schließlich der Verkauf der beweglichen Vermögenswerte. Aufgelöst wurden die Liquidationsämter durch Beschluss des Ministerrates im März 1951. Dies fügt sich ein in eine generelle Umgestaltung der Staatsverwaltung um 1950, mit der die ausführenden Organe der lokalen Selbstverwaltung aufgelöst wurden, ihr Vermögen dem Staat anheimfiel und ihre Aufgaben von den Nationalräten (Rady Narodowe) der verschiedenen Verwaltungsebenen (Gemeinde, Kreis, Stadt) übernommen wurden. Aufgelöst wurde auch eine weitere Sonderverwaltung, nämlich das Staatliche Repatriierungsamtes (Państwowy Urząd Repatriacyjny), das mit der Betreuung der „Umsiedler“ beschäftigt war. Inwieweit hier eine Art Muster vorliegt, wonach in der Phase des Stalinismus eine Vereinheitlichung aller Verwaltungen unter dem Dach der von der PVAP kontrollierten Nationalräte erfolgte und was dies für die Verwaltungstätigkeit in der Praxis bedeutete, bleibt eine zu klärende Forschungsfrage.
Zeit ihres Bestehens hatten die Liquidationsämter mit Personal- und Qualifikationsproblemen zu kämpfen, da von vornherein klar war, dass die Ämter nur befristet bestehen würden, die Karriereaussichten somit unsicher waren und die Behörde in der Bevölkerung äußerst schlecht angesehen war. Deutlich wird das etwa in einem Tätigkeitsbericht für den Zeitraum Juli 1946 bis Mai 1947 des OUL-Wrocław, das zuständig für ganz Niederschlesien war und innerhalb Polens wahrscheinlich die größten Vermögenswerte zu verwalten hatte, was u.a. an den Summen aus dem Verkauf des mobilen Vermögens abzulesen ist. Im OUL Wrocław und seinen 35 Filialen (Obwodowe Urzędy) waren am 31. Mai 1947 demnach 1 126 Mitarbeiter tätig. Im Berichtszeitraum wurden 1 109 Mitarbeiter eingestellt und 798 entlassen, was die enorme Fluktuation aufzeigt. Beklagt wurde zudem die geringe Qualifikation auch der leitenden Mitarbeiter, von denen in der Wrocławer Zentrale 11 ersetzt wurden, während in den Filialen 20 neu eingesetzt, 10 suspendiert, 11 verhaftet, 18 versetzt und 18 entlassen wurden. Um dem schlechten Ansehen in der Bevölkerung entgegen zu wirken, wurden insgesamt 70 Mitarbeiter den Justiz- und Sicherheitsorganen überstellt, aber nur 2 tatsächlich verurteilt. Im Bericht wird in diesem Zusammenhang stolz vermerkt, dass sich die Vorwürfe der Bevölkerung zu 96% als haltlos erwiesen hätten. Gleichwohl deuten allein diese Zahlen an, dass von einer geregelten und qualifizierten Arbeit in einem der wichtigsten OUL nicht die Rede sein konnte. Hinzu kamen Raum- und Sicherheitsprobleme, wie sie in den ersten Nachkriegsjahren an der Tagesordnung waren. So ist in den Akten etwa von Verdrängungen durch die Truppen der Roten Armee die Rede, die in Liegnitz ihr Hauptquartier in Polen aufschlugen, aber auch von Überfällen auf die Kassen der Ämter, Lagerräume u.ä.
Insgesamt mussten die Ämter mit zahlreichen Behörden zusammenarbeiten, um die Sicherung und Verwaltung der übernommenen Vermögenswerte – Betriebe, Werkstätten, Immobilien, und Mobilien – zu organisieren, Immobilien an die vormaligen Besitzer oder deren Bevollmächtigte zurückzugeben bzw. an Repatrianten zu übergeben – inklusive Abrechnung für die bisherige Verwaltung –, den Verkauf des mobilen Eigentums zu organisieren und durchzuführen, auf Anfragen aus dem Ausland zu reagieren, Sachverhalte zu recherchieren und den häufig widersprüchlichen Vorgaben ihrer vorgesetzten Ministerien gerecht zu werden, was wahrscheinlich auch besser qualifizierte Mitarbeiter überfordert hätte.
Die Vielzahl und der Umfang dieser Tätigkeiten – die Verordnung vom 23. Dezember 1948 über die Tätigkeit der Liquidationsämter listet insgesamt zwölf Tätigkeitsbereiche der Bezirksämter (Rejonowe Urzędy Likwidacyjne) auf – lässt es fast unmöglich erscheinen, ein vollständiges Bild für alle Landesteile zu gewinnen, zumal dafür auch – wie bereits angedeutet – die Überlieferung zahlreicher anderer Institutionen berücksichtigt werden müssten. In den folgenden beiden Kapiteln können daher nur Schlaglichter auf den Umgang mit immobilem und mobilem Eigentum geworfen werden, die die Problematik dieses Themas jedoch gleichwohl verdeutlichen.
3. Der Umgang mit „vormals deutschen und verlassenen“ Immobilien
Deutsche Okkupation, Holocaust, Vertreibungen, Grenzverschiebungen und Neuansiedlung von Repatrianten, Umsiedlern, Heimkehrern und durch Kriegszerstörungen obdachlos gewordene Menschen hatten seit dem 1. September 1939 zu gigantischen Verwerfungen beim Immobilienbesitz aller Art geführt, so dass unbedingt zwischen den unterschiedlichen Besitzern unterschieden werden muss. Zunächst zum reichsdeutschen Immobilieneigentum juristischer und natürlicher Personen.
Relativ einfach zu bewerkstelligen war die Definition und Übernahme im Falle staatlicher Gebäude. Hier zogen in die Gebäude ehemaliger deutscher Institutionen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten die entsprechenden polnischen Institutionen ein. Die Universität in Wrocław etwas blieb auch weiterhin Universität, ähnliches traf auf Institutionen wie Finanzämter und Kommunalbehörden zu, die sich schon namentlich häufig entsprechend zuordnen ließen.
Unklarer gestaltete sich die Situation von Gebäuden von Institutionen und Vereinigungen, wie beispielsweise den Kirchen oder jüdischen Organisationen. So wurden etwa evangelische Kirchengebäude der katholischen Kirche übertragen, obwohl es in Polen eine polnischsprachige Evangelische Kirche Augsburger Bekenntnisses gab und gibt. In einem Monatsbericht des OUL in Poznań für Oktober 1946 wird berichtet, dass „sechs Vermögen ehemaliger evangelisch-unierter Gemeinden“ an die katholische Kirche übergeben worden waren. Im Falle des Vermögens ehemals jüdischer deutscher Organisationen wie der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ verlief dieser Übergabeprozess an entsprechende polnische Institutionen weniger glatt. So beantragte der Bevollmächtigte des Zentralkomitees der Juden in Polen (Centralny Komitet Żydów w Polsce, CKŻP) in Wrocław, Samuel Chill, Ende 1947 die Übertragung zweier Grundstücke, da diese zuletzt im Besitz der Reichsvereinigung gewesen seien. Das OUL in Wrocław lehnte dies jedoch in einem Schreiben vom 11. November 1947 ab, da das Komitee keinen Nachweis erbringen könne, dass es die der Reichsvereinigung entsprechende Institution in Polen sei. Der Ausgang blieb unklar, da das Ministerium für Öffentliche Verwaltung (Ministerstwo Administracji Publicznej, MAP) das GUL in einem Schreiben vom August 1947 darauf hingewiesen hatte, dass das CKŻP und seine Dependancen vormaliges Eigentum jüdischer Gemeinden und Organisationen zurückerhalten sollten.
Offensichtlich spielte hier auch eine Unkenntnis der Situation der deutschen Juden und deren systematischer Enteignung durch Gesetze und Verordnungen vor 1939 eine Rolle. Gleichwohl kommt auch Maciej Pisarski in seiner Überblicksdarstellung zu einem ähnlichen Befund für ganz Polen: „Die Rückübertragung jüdischer Vermögenswerte, traf, trotz bestehender geltender Vorschriften, auf zahlreiche Hindernisse. Nur ein unbedeutender Teil der vor dem Krieg tätigen jüdischen Organisationen gelangte in die Hände der jüdischen Komitees, obwohl diesbezüglich Rechtsgrundlagen vorhanden waren.”
Den wohl größten Anteil an Rückgabeforderungen hatten die individuellen Anträge. Hier ist zu unterscheiden zwischen Personen, die sich in Polen befanden und hier persönlich versuchten, ihr Eigentum oder das ihrer Verwandten wiederzuerlangen und Personen mit polnischer und anderen Staatsangehörigkeiten, die aus dem Ausland Rückgabeanträge stellten bzw. Meldungen über verlorenen Besitz übermittelten.
Zunächst zu den Rückerstattungsbemühungen vor Ort in Polen. Der Umstand, dass 90% der jüdischen Bevölkerung in Polen ermordet worden war und die Überlebenden kaum mehr über persönliche Dokumente verfügten, machte auch hinsichtlich der Beweisführung von Verwandtschaft und Erbanspruch besondere Verfahren notwendig, nämlich die Bestätigung des Todes von Verwandten und der Erbberechtigung durch Zeugen. Dies öffnete jedoch dem massiven Betrug durch organisierte Gruppen Tür und Tor, zumal die Gerichte sehr schnell und oberflächlich arbeiteten.
Wie dies genau funktionierte, beschreibt Krzysztof Persak im Zusammenhang mit Untersuchungen rund um die Jedwabne-Morde, bei den Polen ihre jüdischen Nachbarn im Juli 1941 unter Duldung der deutschen Besatzer ermordet hatten. Durch gefälschte Zeugenaussagen zum Tod von Verwandten und gemietete Scheinerben kam es zu Eigentumsübertragungen mit anschließendem schnellem Verkauf der Immobilien an bereits vorher ausgesuchte Käufer. Der Gewinn wurde geteilt. In Białystok war damit eine organisierte, aus jüdischen wie nichtjüdischen Polen bestehende Bande befasst, zu der auch der Chef der Rechtsabteilung des dortigen OUL gehörte, dessen Rolle auf der Nichteinlegung von Widerspruch gegen die Entscheidungen des Grodgerichts beruhte. Viele Überlebende dürften auch auf diesem Wege ihr Vermögen unwissentlich endgültig verloren haben, andere suchten selbst diesen Weg, um – egal mit welchen Aussagen und zu welchem Preis – ihr Vermögen schnell verkaufen zu können und mit etwas Geld endgültig zu emigrieren.
Restitutionsanmeldungen aus dem Ausland wurden häufig über die polnischen Botschaften gestellt. Hierbei ergaben sich schon formal zahlreiche kaum zu überwindendende Hindernisse. Exemplarisch wird dies in einem Schreiben des Direktors der Rechtsabteilung des GUL, Jerzy Sawa, an den Direktor des Biuro Prac Kongresowych (Büro für Kongressarbeiten) im Außenministerium (MSZ), Manfred Lachs vom Juni 1948. Sawa wirft darin den polnischen Botschaften vor, dass diese ungeprüft und ohne entsprechende Nachweise wie Testamente, Verwandtschafts- und Staatsangehörigkeitsbelege zu verlangen, Rückgabeforderungen annehmen und diese dann über das MSZ an seine Behörde weiterleiten würden. Haupthinderungsgrund für eine weitere Bearbeitung sei jedoch, dass für eine eventuelle Übernahme des Vermögens ein Bevollmächtigter in Polen vorhanden sein müsse, der aber bei diesen Anmeldungen praktisch immer fehle. Gleichwohl muss die Zahl der Anmeldungen erheblich gewesen sein, zumal kurz vor Ablauf der verlängerten Anmeldefrist am 31. Dezember 1948. Anhand der Namen lässt sich sagen, dass die Anträge ganz überwiegend von Juden mit (vormals) polnischer Staatsangehörigkeit stammten. Ende November 1948 fragte der Direktor des OUL in Lublin beim GUL hilflos an, wie mit diesen zahlreichen Anmeldungen weiter umgegangen werden solle. Grund für die Anfrage war wohl nicht zuletzt ein Artikel im Lubliner „Sztandar Ludu“ mit Titel: Czas skończyć z reprywatyzacją (Zeit, die Reprivatierung zu beenden), der die bisherige Privatisierungspraxis scharf angriff. Ohne die Bezeichnung „Juden” zu gebrauchen, heißt es dort: „Das Phänomen des Anwachsens solcher Anträge (Erlangung des Eigentumstitels) findet seine grundsätzliche Erklärung in der Tatsache, dass die Reprivatisierung gegenwärtig zum Spekulationsterrain von Elementen geworden ist, die nichts mit dem neuen Polen der Volksdemokratie gemein haben. Der Löwenanteil der gegenwärtig eingehenden Anträge betrifft Ansprüche von Personen, die im Ausland leben, oft bereits eine neue, fremde Staatsangehörigkeit haben und beileibe nicht die ehemaligen Besitzer des Vermögens sind, das sie beanspruchen, sondern sich nur auf Grund von Verwandtschaft oder Verschwägerung mit dem toten Eigentümer um den Eigentumstitel bemühen. Viel derartiges Vermögen ist bereits zu Gunsten von Bürgern fremder Staaten privatisiert worden, von einstigen Polen, die das neue Polen ablehnen.” Die Schlussfolgerung der Zeitung daraus lautet: die Anmeldefrist sollte auf keinen Fall nochmals verlängert werden. Die Argumentation, dass die in Rede stehenden Personen nichts mit dem „neuen Polen der Volksdemokratie“ zu tun haben, kann in zweifacher Hinsicht gedeutet werden: mit dem adjektivisch gebrauchten „Volk“ (ludowy) lässt sich sowohl die nationale als auch die klassenmäßige Zugehörigkeit bezeichnen. Es ist bezeichnend, dass hier trotz Erwähnung von Verwandtschaft und Verschwägerung die mögliche Rechtmäßigkeit der Ansprüche grundsätzlich in Zweifel gezogen wird. Suggeriert wird somit, dass mit dem Verlassen des polnischen Territoriums die Staatsbürgerrechte quasi erloschen sind.
Nicht immer wurde zudem auf den Ablauf der Frist gewartet, bevor neue Fakten geschaffen wurden. So bat die Stadtverwaltung von Rychwał (gelegen ca. 100 km östlich von Poznań) im Juni 1946 das GUL um Übertragung von drei Immobilien, die einer neuen Nutzung zugeführt werden sollten. Konkret ging es um: „ein vormals deutsches Haus des Kujat Ferdynand in Rychwał, Kaliska-Str. 6, vorgesehen als Altersheim, das ehemals jüdische Haus der Ratajczyk Małka und Landau Szmul in Rychwał, Platz der Freiheit 19 und 19a, vorgesehen für einen Kindergarten und das vormals jüdische Haus von Mendel Berkewicz in Rychwał, Platz der Freiheit 6, vorgesehen als Internat für die Allgemeine Volksschule in Rychwał.”
Das OUL Poznań bestätigte daraufhin, dass die Stadt die vormals jüdischen Gebäude bereits am 26.2.1946 auf Grundlage Artikel 7 des Gesetzes vom 6. Mai 1945 „o majątkach porzuconych i opuszczonych“ übertragen bekommen hatte. Dieser Artikel sah aber nur die Einsetzung von Verwaltern zur Sicherung des Vermögens vor. Zudem war das genannte Gesetz durch das Dekret vom 8. März 1946 ersetzt worden. Auffällig ist an diesem Fall, dass die Stadtverwaltung offen die Bezeichnung pożydowski und eben nicht das gesetzliche opuszczone verwendete. Auch wurde die geltende Frist für eventuelle Rückgabeanträge offensichtlich ignoriert –anscheinend rechnete niemand mit einem derartigen Antrag.
Prinzipiell hatte das GUL angeordnet, dass bei erfolgten Anträgen bis zu einer Entscheidung ein Sicherungsvermerk in einem eigenen Register vorgenommen werden sollte, der Tätigkeiten, die eine spätere Rückgabe verunmöglichen bzw. verhindern könnten, nach Möglichkeit ausschloss. Inwieweit dies tatsächlich bei den Grundbuchämtern und den entsprechenden Behörden ankam, ist nicht verifizierbar, dürfte aber auf Grund der geschilderten schwachen Behördeneffizienz nicht sehr zuverlässig gewesen sein, zumal die Antragsteller häufig nicht in der Lage waren, die geforderten Nachweise zu erbringen (und zu bezahlen).
Dass es hinsichtlich der Grundbucheintragungen erhebliche Verwirrung gab, zeigt etwa der Rechenschaftsbericht der Rechtsabteilung des OUL in Wrocław für 1948, in dem es heißt: „Im Bereich der Übertragung von Immobilien sowie der Umschreibung der Eigentumsrechte in den Grundbüchern hat das Ministerium für die Wiedergewonnenen Gebiete durch Rundschreiben vom 12.03.1947 [...] die zeitweise Aussetzung der Tätigkeiten, die aus Art. 2, Absatz 6 des Dekrets über verlassenes und vormals deutsches Vermögen resultieren, angeordnet. Auf Grund dessen haben sich in der Rechtsabteilung seit einem Jahr ca. 15 000 Anträge angehäuft.” Die Grundbuchführung betraf auch das Dekret vom 11. Oktober 1946 sowie die Verordnung des Justizministers vom 29. November 1946 über das Führen der Grundbücher nach dem 31. Dezember 1946. Demnach sollten die Grundbücher zum Jahresende 1946 geschlossen und den Archiven übergeben werden. Zum 1. Januar 1947 sollten in den Gerichten neue Grundbücher eröffnet werden. Die widersprüchlichen Entscheidungen zur Grundbuchführung sowie deren schwache Umsetzung in der Praxis, die hier nur angedeutet werden konnte, stellen z.T. bis heute eine Achillesferse bei der Klärung von Eigentumsrechten dar.
Aber auch wenn alle juristischen und bürokratische Hürden übersprungen waren und ein Bevollmächtigter die Angelegenheiten des im Ausland befindlichen Eigentümers wahrnahm, blieb die praktische Unmöglichkeit, die Einnahmen aus dem Vermögen ins Ausland zu transferieren. Die Einnahmen flossen dann auf ein Treuhandkonto. Dass auch dieses Prozedere nicht ohne Probleme ablief, zeigt der Fall Zelig Oszer Sołowiejczyk, Ingenieur in Haifa, der die Mühle seiner Eltern in Suwałki sowie zwei Häuser zurückerstattet bekommen hatte. Sein Bevollmächtigter, Rechtsanwalt Dr. Oskar Freyer in Przemyśl, sah sich gleichwohl zur Beschwerde beim GUL gezwungen, da er keinen Einblick in das entsprechende Treuhandkonto des OUL erhielt. Das GUL schrieb daraufhin an das zuständige OUL in Białystok: “Das GUL befindet, dass die vom Regionalbüro in Suwałki erteilte Ablehnung, falls sie tatsächlich stattgefunden hat, unbegründet war. Wie der Kläger richtig ausführt, geht es um verlassenes Vermögen, dass sich unter treuhänderischer Verwaltung des Liquidationsamtes befindet. Alle aus diesem Vermögen resultierenden Einnahmen gehören seinem Besitzer.”
Neben diesen formalen Schwierigkeiten und der Frage nach An- und Abwesenheit im Land selbst war im Falle der jüdischen Geschädigten auch die Frage der (ehemaligen) Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Auch hier kann jedoch nicht von einheitlichen Entscheidungen die Rede sein. So finden sich etwa in Wrocław Fälle, in denen überlebende deutsche Juden, die im Land geblieben waren, ihr Vermögen – zumindest auf dem Papier, denn die Stadt war stark zerstört – zurück erhielten, wenn sie vom örtlichen Jüdischen Komitee ihren Opferstatus bescheinigt bekommen hatten.
Anders verhielt es sich mit dem Rückgabeersuchen von deutschen Juden im Ausland. Als prominentes und hinsichtlich der Argumentation typisches Bespiel kann hier der Fall des in Deutschland als Präservativhersteller berühmt gewordenen Julius Fromm, der im Mai 1945 im Londoner Exil gestorben war, dienen. Zur Firma gehörte auch eine Fabrik in Danzig-Lapin. Sein Sohn Herbert versuchte 1946 mit Hilfe einer Rechtsanwaltskanzlei über die polnische Botschaft in London eine Rückgabe dieses Besitzes in Polen zu erwirken. Der Justiziar des Generalkonsulats machte ihm zunächst auch Hoffnung, zumal die Fabrik weniger als 50 Personen beschäftigte, also nicht der sofortigen Nationalisierung unterliege: „Property belonging to German national is subject to confiscation. But it may be that special circumstances of this case/anti-Nazi, Jew/ may justify an application to Warsaw to Dr. Sommerstein, Chief of War Damage/Biuro Odszkodowań/, Aleja Stalina 38, provided the factory employed less than 50 persons.”
Die endgültige Antwort erfolgt schließlich im Mai 1947 vom Chef des Rechtsabteilung des GUL, Jerzy Sawa, an den das Gesuch weitergeleitet worden war und zeigt vor allem, dass deutsche Juden nicht als Opfergruppe gesehen wurden. Sawa teilte zunächst mit, dass der Betrieb mit 15 Beschäftigten bereits wieder produziere und wegen seiner grundsätzlichen Wichtigkeit trotz seiner geringen Beschäftigtenzahl nationalisiert worden sei. Interessant ist die juristische Begründung. Sawa führt aus, dass es sich im Sinne des Gesetzes vom 8. März 1946 um „vormals deutsches Eigentum“ handle. Zudem sei der Zeitpunkt des Zwangsverkaufs, der vor Beginn des Krieges lag, entscheidend für eine mögliche Rückgabe: „Und da das Vermögen nach Information der Kanzlei Tyrell Lewis von Julius Fromm 1938 veräußert wurde, kann sein Rechtsnachfolger sogar im Falles des Nachweises von Zwang nicht in den Genuss der Vorteile der genannten Vorschrift kommen. In der selben Situation befindet sich im Übrigen eine bedeutende Anzahl von Polen, die in der Zeit der Volksabstimmung auf Grund blutiger deutscher Verfolgungen ihr Vermögen unter Wert an Deutsche verkaufen mussten, um dann in Polen Schutz zu suchen.”
Der Besitz der Fromms blieb demnach nicht nur „Volkseigen im neuen Deutschland“, sondern ebenso im neuen Polen. Aber auch dort dürften ihre Erfindungen einiges zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten beigetragen haben.
Gelang es den deutschen Juden kaum, den polnischen Behörden ihren Status als Opfer des Nationalsozialismus klar zu machen und ihr geraubtes Eigentum zurück zu erlangen, weil sie pauschal als „Deutsche“ behandelt wurden, galt dies noch viel mehr für die sogenannten Volksdeutschen, die relativ pauschal als Täter verurteilt und deren Eigentum konfisziert wurde. Allerdings war im Gesetz über die Ausschaltung feindlicher Elemente aus der polnischen Gesellschaft vom 6. Mai 1945 auch die Möglichkeit der gerichtlichen Rehabilitation vorgesehen, bei deren Erfolg das konfiszierte Eigentum zurückerstattet werden sollte. Welcher Prozentsatz aller als Volksdeutsche eingestuften Bürger tatsächlich einen Rehabilitationsantrag stellte, lässt sich kaum ermitteln. Leszek Olejnik beruft sich auf Angaben des Justizministeriums und beziffert die bis Ende Juli 1946 eingegangenen Anträge auf 223 331. Davon wurden bis zu diesem Stichtag 71 735 Anträge erledigt, also weniger als 1/3 (32,1%). Es verblieben zur Entscheidung 151 596 Anträge. Von den erledigten Anträgen wurden immerhin 47 089 (65,6%) positiv entschieden, d.h. die Antragsteller wurden rehabilitiert, 12 955 (18,1%) wurden abgelehnt und 11 691 Anträge (16,3%) auf andere Weise erledigt. Die mit der Rehabilitierung eigentlich einhergehende Rückerstattung des Vermögens rief jedoch erhebliche gesellschaftliche Proteste hervor, die zum Teil sogar von regionalen Regierungsbehörden organisiert wurden, so in Poznań vom Wojewodschaftamt für Information und Propaganda, was wiederum von den Zentralbehörden gerügt wurde. Olejnik merkt dazu an: „Im Übrigen gab es nicht nur in der Region Poznań Proteste gegen die Rückgabe von Eigentum an die Volksdeutschen. Ähnliche Aktionen gab es in Lodz, Thorn, Krakau und anderen Orten. Die Gründe dafür lagen nicht ausschließlich in der Abneigung gegen die Volksdeutschen. Die Nachkriegsgesellschaft war arm, lebte im Elend. Nicht wenige Menschen hatten alles verloren. [...] Die zuständigen Organe (u.a. die Liquidationsämter) teilten häufig die Habe der aus den Wohnungen vertriebenen oder in Arbeitslager gesperrten Volksdeutschen den genannten gesellschaftlichen Gruppen zu. Diese Habe wurde als vormals deutsch oder verlassen behandelt. Die lokalen Behörden stimmten in der Regel ungern der Rückgabe des Eigentums an die Rehabilitierten zu, obwohl diesbezüglich eindeutige Rechtsvorschriften bestanden.” Auch Olejnik kommt jedoch nicht auf die Verknüpfung von vormals jüdischem mit (volks)deutschen und polnischem Eigentum zu sprechen. Dass dieser Zusammenhang in der Bevölkerung aber offenbar durchaus hergestellt wurde, zeigt eine Petition der PPS in Łódź mit dem Titel: Wara od rzeczy splamionych krwią Polaków! (Hände weg von den Sachen, die mit dem Blut von Polen befleckt sind). Die Rückgabe des Eigentums an die Rehabilitierten sei demnach untragbar, da gerade Volksdeutsche ihre Privilegierung während der Okkupation ausgenützt hätten, um den ins Ghetto gesteckten Juden ihr Vermögen zu rauben. Dafür gäbe es nicht nur Indizien, sondern Beweise. Interessant ist vor allem die Wortwahl, denn in der Überschrift wird die Bezeichnung „Polen“ offensichtlich im staatsbürgerlichen Sinne verwendet, mithin also die häufig übliche ethnische Trennung zwischen Polen und Juden aufgehoben, um beide als eine gemeinsame Opfergruppe den Volksdeutschen gegenüberstellen zu können, obwohl diese bis September 1939 ebenfalls polnische Staatsbürger waren.
Hinsichtlich der Verhinderung einer Rückgabe kamen aber auch die Zentralbehörden dem Volkszorn entgegen, wie Machnikowska für ländliche Immobilien feststellt: „Die Angelegenheit entschied zum Teil das Landwirtschaftsministerium, das in Form einer telefonischen Anweisung anordnete, die Rückgabe von Immobilien einzustellen. Gleichzeitig wurde eine Stellungnahme vorbereitet, nach der eine rehabilitierte Person nur dann die Rückgabe des konfiszierten Eigentums fordern kann, wenn dieses sich in der Hand von Personen befindet, die ihre Rechte darauf von unberechtigten Organen herleiten – u.a. Funktionäre der Volksmiliz (Milicja Obywatelska), des Ministeriums für öffentliche Sicherheit (Ministerstwo Bezpieczeństwo Publicznego) oder des Staatlichen Repatriierungsamtes (Państwowy Urząd Repatriacjyny). Die Mitglieder dieser Institutionen traten relativ oft in der Rolle selbsternannter Verwalter auf. In den verbleibenden Fällen belehrte die Ministeriumsführung die lokalen Behörden über die Notwendigkeit der sofortigen Ausstellung einer Verfügung über die Übernahme der betreffenden Immobilie zum Zweck der Ansiedlung und der Bodenreform, was jeglichen Berufungsweg ausschließen und den Rückgabevorgang endgültig abschließen sollte.”
Dass es gleichwohl auch (Volks)deutsche gab, die den Krieg und die politischen Veränderungen unbeschadet überstanden hatten, zeigt ein Beispiel aus Wrocław. Beim dortigen OUL ging im Mai 1949 ein Rückgabeersuchen von Berthold Kochman(n) aus Kattowitz ein, der nun in Jerusalem lebte. Aufgelistet wurden mindestens acht Häuser mit genauen Angaben zu den Grundbucheinträgen und erhebliches Barvermögen. Beschrieben wurde der Arisierungsprozess, der vor 1939 zum Zwangsverkauf der Häuser weit unter Wert geführt hatte. Als Arisierungsgewinner des Wohnhauses Gartenstr. 81 wurde nach diesen Angaben der „Dentist Schlosshardt“ benannt. Ein Leo Schlosshardt wohnte laut Adressbuch von 1943 tatsächlich in Breslau und war als Besitzer des Hauses Gartenstr. 81 verzeichnet.
Äußerst interessant war die Antwort des OUL, die im Januar 1950 nach Recherchen und Konsultationen mit dem Schatzministerium an die Anwälte von Kochman erging. Demnach war eine Rückgabe nur nach juristischer Regelung durch den Staat möglich, da die Situation vor September 1939 geschädigter deutscher Juden bisher nicht berücksichtigt wurde. Ein Grodgericht habe das Grundstück Gartenstr. 81, (nach 1945 ul. Gen. K. Świerczewskiego, heute ul. Piłsudskiego, das Haus war kriegszerstört) im April 1949 an Leon Schlosshardt zurückerstattet. Wie aus dem Schreiben weiter hervorgeht, wohnte Schlosshardt zudem nun in einem Haus, das nach Aufstellung der Jerusalemer Anwälte ebenfalls Kochman gehörte (Gartenstr. 43). Wie es dem Zahnarzt Schlosshardt, der demnach offensichtlich als Deutscher bereits vor dem Krieg in Breslau lebte und der nach dem Krieg lediglich seinen Vornamen durch das Anfügen eines „n“ polonisiert hatte, gelungen war, weiter im nun polnischen Breslau zu bleiben und auch noch sein „Eigentum“ per Gerichtsbeschluss zurück zu bekommen, bleibt Aufgabe zukünftiger Recherchen.
Gleichwohl war sich wohl auch die Rechtsabteilung des OUL zumindest ansatzweise der grotesken und ungeregelten Situation bewusst, wie die Anfragen bei den vorgesetzten Behörden zeigen. Bereits im Rechenschaftsbericht für 1948 war von den Justiziaren zudem auf die Massivität dieser Anfragen gerade beim OUL in Wrocław und deren juristische Ungeklärtheit hingewiesen worden: „Darüberhinaus gehen in diesen Monaten zahlreiche Anträge von Personen jüdischer Nationalität buchstäblich aus der ganzen Welt ein, die ihr Vermögen auf hiesigem Gebiet auf Grund der Nürnberger Gesetze verloren haben. Diese Angelegenheiten fallen nicht unter die Kategorie Rückgabe von Besitz, der im Zusammenhang mit dem Krieg verlustig ging. Die Rechtsabteilung sammelt diese Anträge, beschränkt sich aber auf die Benachrichtigung der Ansiedlungsbehörden über einen Ausschlußvermerk aus der Liquidationsaktion des vormals deutschen Vermögens. Diese Angelegenheiten erfordern jedoch eine gesetzliche Regelung und Begutachtung unter inhaltlichen Gesichtspunkten, ob tatsächlich Grundlagen für einen Ausschluß vorliegen.”
Das Beispiel Kochman zeigt aber auch, wie verwickelt die Eigentumsfrage einzelner Grundstücke sein konnte und wie ungeregelt sie bis heute ist – auf dem Grundstück ul. Piłsudskiego 81 befindet sich derzeit (2012) lediglich eine Imbissbude, obwohl es sich in privilegierter Innenstadtlage befindet.
Wie die praktische Wohnungsfindung in Wrocław in der unmittelbaren Nachkriegszeit jenseits juristischer Regelungen funktionierte, beschreibt in seinen Erinnerungen anschaulich der Mathematiker Hugo Steinhaus, der Anfang 1946 nach Wrocław kam, um die dortige Universität wiederzubeleben: „Ein Charakteristikum der hiesigen Bedingungen sind die Wohnungsämter. Naive Ankömmlinge suchen freie oder von Nichtanwesenden besetzte Wohnungen. Auf den Rat der Stadtteilkommissare melden sie diese und erfahren bei der Gelegenheit, dass drei Tage zuvor schon ein anderer die Einweisung erhalten habe. Dieser andere hat das allerdings erst drei Tage später erfahren, nachdem er ein paar tausend auf den Tisch gelegt hat.”
Durch entsprechende Bestechung konnte man also zumindest in Wrocław, wo es durch den Abtransport der deutschen Bevölkerung zunächst reichlich Wohnraum gab, günstig an eine Wohnung kommen, inklusive Inventar, worauf im nächsten Kapitel einzugehen sein wird.
Betont werden soll nochmals, dass die hier geschilderten Bespiele des Umgangs mit Immobilienbesitz nur einen geringen Ausschnitt des Gesamtproblems darstellen. Nicht betrachtet werden konnten etwa das Problem des Wiederaufbaus, der Instandhaltung, Vermietung und Verpachtung und der damit verbundenen Kosten sowie deren Einfluss auf die Eigentumsrechte. Laut Michał Kaczorowski waren nach dem Krieg in den polnischen Städten 295 431 Immobilien zerstört oder beschädigt. Allein diese Zahl in Verbindung mit den enormen Migrationsströmen macht die faktische Größe des Problems deutlich, das rein juristisch kaum zu bewältigen war.
4. Der Umgang mit „vormals deutschem und verlassenem“ mobilem Eigentum
Neben dem Umgang mit Immobilien gehörte die Verwaltung des Besitzes an mobilem Eigentum zu den hervorragenden Aufgaben der Liquidationsämter. Auch hier wurde zwischen „vormals deutschem“ und „verlassenem“ Eigentum unterschieden, wobei völlig unklar bleibt, wie nach den Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsereignissen eine entsprechende Definition (diese oblag ausschließlich den Liquidationsämtern) der ursprünglichen Herkunft der Gegenstände möglich gewesen sein soll. Gregor Thum stellt den juristischen Anspruch des Staates auf dieses Eigentum der unmittelbaren Nachkriegswirklichkeit in seinem Buch über Breslau eindrucksvoll gegenüber: „In den ersten Wochen und Monaten nach dem Krieg interessierte sich jedoch kaum jemand für den Eigentümer im juristischen Sinne, und der polnische Staat war gar nicht in der Lage, seine Eigentumsansprüche gegen eine notleidende Bevölkerung durchzusetzen. Die nahm sich einfach, was sie brauchte. Polen, Deutsche oder Sowjetbürger, Soldaten oder Zivilisten, Händler oder Verwaltungsbeamte – alle waren gezwungen, um des Überlebens willen zu plündern, wohl niemand konnte damals behaupten, sich nicht gelegentlich als Szabrownik [Plünderer; M.B/C.K.] betätigt zu haben. Ob Lebensmittel oder unentbehrliche Utensilien wie Kochgeschirr, Kleidung, Möbel, Bettwäsche, Kerzen und Streichhölzer – kaum etwas ließ sich legal erwerben, das meiste musste irgendwo in den verlassenen Häusern aufgetrieben werden. Von einer geregelten Verteilung des zurückgelassenen Eigentums konnte keine Rede sein. Faktisch galt der Grundsatz, wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
Nachdem das erste Chaos vorüber war, versuchten die Liquidationsämter zunehmend herrenloses mobiles Eigentum in Lagerhallen zu sichern. Gleichwohl konnte gerade im reichen Niederschlesien nicht von einem Ende der Plünderungen die Rede sein, nutzten doch gerade staatliche und halbstaatliche Stellen aus Zentralpolen die Gegend als „Materiallager“, was von Zeitgenossen als „patriotischer Szaber“ bezeichnet wurde. Thum merkt dazu an: „Man könnte auch von innerpolnischen Demontagen sprechen, denn durch diese von Staats wegen betriebenen Plünderungen kam es zu einem erheblichen Abfluss von Werten aus den Westgebieten in die zentralpolnischen Wojewodschaften.“ Diese staatliche Ausplünderung wurde seit Ende 1945 durch scharfe Dekrete und Erlasse der Zentralregierung als kriminell bekämpft, auch wenn sie nicht vollständig unterbunden werden konnte, gerade im Bereich von Baumaterialien. Gleichzeitig gab es in den Liquidationsämtern und Regierungskreisen Überlegungen, die von Privatpersonen übernommenen mobilen Werte zu taxieren und landesweit an die aktuellen Inhaber zu verkaufen. Grundlage der Schätzungen sollten die Preise vom August 1939 bilden, wobei Ermäßigungen für Staatsbedienstete, Repatrianten, ehemalige Soldaten und weitere verdiente bzw. geschädigte Bevölkerungsgruppen vorgesehen waren. Diese Praxis war keine polnische Besonderheit: auch in Südosteuropa war die Vergabe von Eigentumstiteln nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sehr häufig an den Nachweise besonderer „patriotischer“ Verdienste geknüpft. Motivation für diese Aktion, die von Juli 1946 bis Juli 1948 lief, war wohl nicht zuletzt die Überlegung, dass die so erzielten Einnahmen den Staatshaushalt in wirtschaftlich prekären Zeiten stärken könnten. Durch Erlass des Vorsitzenden des Ministerrates vom 11. Juli 1946 wurden diese Überlegungen rechtlich fixiert. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Verkauf von „verlassenem mobilen Eigentum“ erst ab dem 1. Januar 1948 erfolgen sollte, also nach Ablauf der Frist für Rückgabeanträge. Diese Regelung wurde jedoch aufgehoben, wenn die Gefahr der Zerstörung gegeben war oder die Kosten der Lagerung unverhältnismäßig hoch ausfielen (Artikel 7, Abs. 3, Punkt e) des Dekrets vom 8. März 1946). Somit war ein „Gummiparagraf“ geschaffen, der auch den sofortigen Verkauf dieses „verlassenen Eigentums“ ermöglichte.
Wie eine derartige Schätzaktion in Wrocław in privaten Haushalten ablief, schildert Joanna Konopińska in einem Tagebucheintrag vom Februar 1946: „Seit einiger Zeit gehen Mitarbeiter des Liquidationsamtes durch die Häuser und schätzen den Wert der vormals deutschen Möbel. Auch zu uns kam eine dreiköpfige Kommission, bestehend aus zwei Männern und einer Frau. [...] Man muss zugeben, dass die vormals deutschen Möbel auf lächerlich niedrige Preise geschätzt werden. Und so wurde mein Schreibtisch, der sich in ziemlich gutem Zustand befindet, auf 190 Zloty geschätzt. Da Vater ein Staatsbediensteter ist, steht ihm ein Preisnachlass von 90% zu. Ich bekam so einen schönen Schreibtisch für 19 Złoty (zum Vergleich: ein Kilo Brot kostet 36 Złoty). Diese Sachverständigen hatten wohl nicht so viel Kenntnisse, denn sie schätzten den schönen Tisch aus Rosenholz im großen Zimmer unterm Dach auf 110 Złoty. Alle Möbel wurden von der geschätzten Kommission so Pie mal Daumen bewertet.”
Trotz dieser sehr moderaten Bewertung und der gewährten Ermäßigungen nahmen die OUL im genannten Zeitraum erhebliche Summen ein, auch wenn der Chef des OUL in Wrocław darauf hinwies, dass die allein für Niederschlesien geplanten Einnahmen von zwei Mrd. Złoty wegen der zahlreichen Ermäßigungen kaum zu erreichen seien. So bezifferten sich allein die Verkaufserlöse des OUL in Poznań im Verkaufszeitraum auf über 654 Mio. Złoty. Um die Bedeutung der Einnahmen einordnen zu können, sei zum Vergleich erwähnt, dass sich der Gesamtstaatsetat 1947 auf 185,5 Mrd. Złoty belief.
Auffällig ist, dass in den statistischen Berichten der einzelnen OUL an das GUL sehr unterschiedliche Erlöse aus dem Verkauf von „verlassenem“ und „vormals deutschem“ Vermögen verzeichnet sind. Wie die Schätzkommissionen zudem herausgefunden haben wollen, ob etwa ein Kleiderschrank in Lublin ursprünglich im Besitz einer jüdischen Familie war, bevor er durch viele andere Hände in den Besitz der nun zur Zahlung aufgeforderten Familie überging, mithin also als Einnahme aus „verlassenes Eigentum“ einzustufen wäre, blieb ihr Geheimnis.
Gleichwohl schloss dies nicht aus, dass viele Neubesitzer sehr genau wussten, woher die Gegenstände in ihrem Haushalt stammten. Als Jahrzehnte später überlebende Juden mit ihren Kindern ihre einstige Heimat besuchten, konnte es durchaus zum erneuten Verkauf an die ursprünglichen Besitzer kommen. Einen solchen hochemotionalen Rückkauf, der auch das komplizierte und gestörte polnisch-jüdisch-us-amerikanische Verhältnis thematisiert, hat seinen literarischen Niederschlag in Lily Bretts in den USA und Deutschland vielgelesenen Roman „Zu viele Männer“ gefunden. Er handelt vom Besuch von Edek Rothwax und seiner Tochter Ruth im Polen Ende der neunziger Jahre, bei dem sie auch die alte Wohnung der Rothwax in Łódź aufsuchen und dort Familieneigentum für Geld angeboten bekommen: „Der alte Mann forderte sie mit einer Handbewegung auf, ihm in die Küche zu folgen. Ein abgestoßener und zerkratzter Küchentisch war mit Porzellan vollgehäuft. Das gleiche Porzellan wie der Teller, den Ruth gesehen hatte. Sie konnte kaum atmen. [...] Die Speiseteller und Frühstücksteller und Tassen und Untertassen sahen für sie wie Familienmitglieder aus. Jedes Stück war in tadellosem Zustand. Die Vergoldung wie neu, das Porzellan unberührt. Sie konnte keine Beschädigung entdecken. Wie war all das bewahrt worden? All diese Teile aus einem anderen Leben? Sie begann zu weinen.“
Eigentum hat eben nicht nur hier viel mit Erinnerung zu tun. Dan Diner spricht in diesem Zusammenhang von einer „nachgerade organischen Verbindung zwischen zurückerstatteten, privaten Eigentumsrechten und dem Wachrufen schon abgesunkener Erinnerungen“.
5. Fazit
Wie gezeigt konnten die Liquidationsämter schon aufgrund des Umfangs der anstehenden Eigentumsveränderungen und unklarer Rechtsvorgaben ihrer Aufgabe kaum gerecht werden. So blieben auch nach ihrer Auflösung 1951 und allmählicher Normalisierung der Verwaltungsarbeit viele Eigentumsprobleme ungelöst und gerieten – nicht zuletzt wegen des allumfassenden Herrschaftsanspruchs der kommunistischen Machthaber, der Privatbesitz an Grund, Boden und Produktionsmitteln als Grundübel ansah – aus dem Blickfeld. Gleichwohl waren sich offensichtlich auch die Regierungen der Volksrepublik Polen bewusst, dass viele im Ausland lebende ehemalige polnische Staatsbürger mit nun neuer Staatsbürgerschaft weiterhin Rückgabe- bzw. Entschädigungsansprüche hegten und schlossen deshalb mit einzelnen Staaten Verträge über pauschale Entschädigungen ab. Im Gegenzug sollten die bisherigen Eigentümer zu Gunsten der Volksrepublik Polen auf ihre Ansprüche verzichten. Die Tageszeitung Rzeczpospolita hat dazu Folgendes ermittelt: „In den Jahren 1948–1971 hat die Volksrepublik Polen mit 12 Ländern (u.a. die USA, Großbritannien, die Schweiz, Frankreich, Dänemark, Österreich, Griechenland) spezielle Entschädigungsvereinbarungen geschlossen (u.a. damit keine Wirtschaftssanktionen wegen des nationalisierten Eigentums verhängt werden). Auf ihrer Grundlage überwies die polnische Regierung den genannten Ländern Gelder zur Regulierung der Entschädigungen ihrer Bürger. Den USA wurden im Laufe von 20 Jahren 40 Mio. US-Dollar ausgezahlt (die letzte Rate 1981), der Schweiz 52,2 Mio. Franken, Schweden 116 Mio. Kronen, Österreich 71,5 Mio. Schilling, Kanada 1,225 Mrd. kanadische Dollar. Eine Ausnahme stellt die Vereinbarung mit Frankreich dar, dem über Jahre Kohle im Wert von 65 Mio. US-Dollar geliefert wurde. Mit der Auszahlung des Geldes waren in diesen Ländern spezielle Kommissionen für ausländische Entschädigungen befasst.”
Als nach Wiedereinführung der Marktwirtschaft 1990 privates Eigentum wieder eine große Rolle zu spielen begann, zeigte sich nach und nach, dass diese Verträge doch keinen Eingang in die Grundbücher gefunden hatten. Dort herrschte und herrscht offensichtlich Chaos, was zu regelmäßig wiederkehrenden Skandalen gerade hinsichtlich des Besitzes von Immobilien in den Städten führte. Ein jüngeres Beispiel beschreibt Izabela Kasprzak im bereits zitierten Artikel in der Rzeczpospolita: „Vor einigen Jahren meldete die 88-jährige Danuta Porter aus Großbritannien als Tochter des einstigen Besitzers Ansprüche auf das Haus in der Piotrowska-Str. 104 und 106 in Lodz [Prachtstrasse in der Innenstadt, M. B./C. K.] an, in dem sich heute die Stadtverwaltung befindet. Sie gewann gegen die Gemeinde in allen Instanzen. Die Stadt zahlte ihr daraufhin 5 Mio. Złoty Entschädigung aus. Später reichte sie einen weiteren Antrag ein – auf Auszahlung von 11 Mio. Złoty entgangener Mieteinnahmen aus den Jahren 1997–2006. Der gründliche Anwalt des Stadtmagistrats überprüfte in London die Dokumente der Entschädigungskommission. Aus diesen ging hervor, dass die Familie Porter bereits eine Entschädigung auf Basis des oben genannten Abkommens erhalten hatte. Die Britin erklärte, sich daran nicht erinnern zu können.”
Ein an sich dringend notwendiges Reprivatisierungsgesetz, das von fast allen polnischen Regierungen nach 1990 versprochen wurde, kam trotz mehrfacher Anläufe bis heute nicht zustande, womit Polen das einzige Land in Mitteleuropa ist, das kein solches Gesetz verabschiedet hat. Die offizielle Begründung lautete stets: zu teuer.
Einer der Gründe im Hintergrund war aber sicher auch, dass gerade im durchaus zahlreichen und gut organisierten katholisch-nationalistischen Milieu munter Verschwörungstheorien blühen, wonach bei Verabschiedung eines solchen Gesetzes gigantische Forderungen jüdischer Organisationen auf Polen zukämen.
Dass eine vollständige und gerechte Reprivatisierung äußerst schwierig bis unmöglich ist, unterliegt indes keinem Zweifel, spielen dabei doch Faktoren wie Neubebauung, Grundstücksgrenzenverschiebung, Mietrecht, Nutzung durch staatliche und gesellschaftliche Institutionen etc. eine Rolle, die sich kaum in Übereinstimmung bringen lassen, ganz zu schweigen von den Kosten. Angegangen wurde lediglich die Rückgabe von Eigentum der Religionsgemeinschaften bzw. deren Entschädigung, aber auch dieses Unterfangen endete 2010/11 mit der Auflösung der zuständigen Kommission, nachdem es zu einem riesigen Korruptions- und Betrugsskandal rund um das Eigentum der katholischen Kirche gekommen war.
Unabhängig davon erscheint es sinnvoll, die auf Grund der historischen Ereignisse äußerst komplizierte Entwicklung der Eigentumsverhältnisse am Beispiel ausgewählter Häuser in unterschiedlichen Städten näher zu untersuchen und dabei auch das Schicksal der Eigentümer und Bewohner einzubeziehen, um von diesem kaum bearbeiteten, aber nach wie vor wirkmächtigen Kapitel polnischer Geschichte ein detaillierteres Bild zu gewinnen. Es stehen hier sicher noch schmerzhafte Prozesses der Vergegenwärtigung unterschiedlicher Schichten historischen Unrechts im Zuge der gigantischen Eigentumsumverteilung während des Zweiten Weltkriegs und in der Zeit der kommunistischen Volksrepublik an. Inwieweit dabei Erklärungskonzepte wie das des „Volksstaates“ auch in vergleichender erweiterter Perspektive angewandt werden können, bleibt eine offene Frage, die aber durchaus vielversprechende Forschungsergebnisse verspricht.
Vielleicht kann das Thema Eigentum aber auch dazu beitragen, auf dem Weg zu einer sich erst mühsam herausbildenden gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur voranzukommen. Indem Eigentumsforderungen aufeinandertreffen, „[…] träten die unterschiedlichen und vom Weltkrieg gezeichneten Gedächtnisse aufs neue in Verhandlungen.“, wie es Dan Diner formuliert hat.
Folgt man dem römischen Philosophen Cicero, dann sollen die Menschen hinsichtlich des Eigentums ohnehin „den gemeinsamen Nutzen in den Mittelpunkt stellen und durch gegenseitige Leistungen, durch Geben und Nehmen, ferner durch Fachkenntnisse, Hilfeleistung und materielle Mittel das Band der Zusammengehörigkeit der Menschen untereinander knüpfen.“
Bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein...
Aus dem Französischen übersetzt von Matthias Barelkowski u. Claudia Kraft