Probleme der Eingliederung der deutschen Zwangsumsiedler in die kasachische Gesellschaft (Versorgung mit Lebensmitteln, Bereitstellung von Wohnraum, Integration in die Arbeitsprozesse)
Probleme der Eingliederung der deutschen Zwangsumsiedler_Podoprigora
„...Wir befinden uns in einer äußerst schwierigen Lage,
in einer armen Kolchose...“.
Die weitaus meisten Zwangsumsiedlungen deutschstämmiger Sowjetbürger aus ihren angestammten Siedlungsgebieten in die Kasachische SSR fanden zwischen September 1941 und Februar 1942 statt. Die in diesem Zeitraum vollzogenen Deportationen markierten einen radikalen Wendepunkt in der Geschichte der in der Sowjetunion lebenden Deutschen und hatten zusammen mit der Zwangsmobilisierung zur Arbeitsarmee und den durch strenge Überwachung geprägten Lebensbedingungen im Rahmen der bis in die 1950er Jahre fortbestehenden Sondersiedlung fatale Auswirkungen, die in letzter Konsequenz nicht nur in einem Rückgang der Zahl der in der Sowjetunion lebenden Deutschen, sondern auch im Verlust der Muttersprache sowie der eigenen Kultur und Religion Ausdruck fanden.
Schon vor den im genannten Zeitraum vollzogenen Zwangsumsiedlungen der im europäischen Teil der Sowjetunion lebenden Deutschen nach Kasachstan und Sibirien, wurden diese bereits unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion aus der Ukrainischen SSR entfernt, die Schauplatz der Kampfhandlungen war und schon bald unter deutscher Besatzung stand. Im August 1941 stellte die Regierung der UdSSR schließlich ausnahmslos alle in der Sowjetunion lebenden Deutschen unter Kollaborationsverdacht und erließ mehrere normative Rechtsakte, auf deren Grundlage die Massendeportationen umgesetzt wurden. So fassten der Rat der Volkskommissare und das Zentralkomitee der VKP(b) am 26. August 1941 den Beschluss, alle Deutschen aus der Republik der Wolgadeutschen und den angrenzenden Gebieten Saratov und Stalingrad auszusiedeln, der wiederum am 28. August 1941 durch das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR bestätigt wurde. Wenig später ordneten der Rat der Volkskommissare der UdSSR, das Zentralkomitee der VKP(b) und das Staatliche Verteidigungskomitee der UdSSR auch die Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung aus anderen in der Sowjetunion gelegenen Siedlungsgebieten an.
Anhand der in den Beständen des Zentralen Staatsarchivs der Republik Kasachstan enthaltenen Dokumente lässt sich nachzeichnen, wie sich die Zahlen der eintreffenden und anschließend auf die einzelnen Gebiete Kasachstans verteilten zwangsumgesiedelten Deutschen im genannten Zeitraum entwickelten.
Nach den ursprünglichen Plänen des Staatlichen Verteidigungskomitees sollten bereits bis Ende September 1941 insgesamt 415 600 Deutsche in drei Etappen in die Kasachische SSR gebracht und dort in den Kolchosen und Sowchosen von insgesamt zwölf Gebieten angesiedelt werden (ausgenommen waren die Gebiete West-Kasachstan und Gur’ev). Die in den laufenden Berichten der Evakuierungsabteilung beim Rat der Volkskommissare der Kasachischen SSR und des Sekretariats des NKVD der Kasachischen SSR genannten Zahlen sprechen allerdings dafür, dass die Umsetzung dieser Vorgaben deutlich mehr Zeit in Anspruch nahm. So ist in einem am 18. September 1941 vom NKVD der Kasachischen SSR verfassten Bericht von insgesamt vierzehn Transporten, 4 948 Familien und 32 072 Deutschen die Rede, während die Evakuierungsabteilung in einem am 30. September 1941 verfassten Bericht eine Zahl von insgesamt 132 600 eingetroffenen Deutschen nennt. Im Oktober 1941 wurde die Zahl der geplanten „Zuführungen“ deutscher Zwangsumsiedler zunächst auf 462 600 und im Dezember 1941 auf insgesamt 478 774 Personen angehoben. Tatsächlich kamen bis Anfang Februar 1942 insgesamt 400 295 Deutsche nach Kasachstan. Bis Anfang 1942 enthalten die von der Evakuierungsabteilung verfassten Berichte keinerlei Angaben zu den Herkunftsorten der umgesiedelten Deutschen. Angesichts der Tatsache, dass die aus dem Wolgagebiet stammenden Deutschen im Zeitraum zwischen dem 3. und dem 20. September 1941 deportiert wurden und die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) der Wolgadeutschen am 6. September aufgelöst wurde, ist allerdings davon auszugehen, dass die Neuankömmlinge bis Anfang Oktober 1941 vor allem aus dem Wolgagebiet und erst später aus anderen deutschen Siedlungsgebieten kamen. Zu den in den Jahren 1941/42 nach Kasachstan deportierten Deutschen kamen noch etwa 90 000 „ortsansässige“ Deutsche hinzu, die bereits im späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Zuge der Agraransiedlungen, in den 1930er Jahren als Sondersiedler oder als politisch Verbannte nach Kasachstan gekommen waren und dort von Herbst 1941 an nicht mehr in den Gebietshauptstädten leben durften. Bis November 1941 wurde praktisch die gesamte in größeren und kleineren Städten ansässige deutsche Bevölkerung ausgesiedelt und auf ländliche Ortschaften (Maschinen-Traktoren-Stationen, Sowchosen, Kolchosen, Auls usw.) verteilt.
Im Zuge der geschilderten Umsiedlungsmaßnahmen stieg die Zahl der auf dem Gebiet der Kasachischen SSR lebenden Deutschen innerhalb des vergleichsweise kurzen Zeitraums zwischen September 1941 und Februar 1942 rapide an.
Die zwangsumgesiedelten Sowjetdeutschen verloren nicht nur ihr eigenes autonomes Staatswesen (ASSR der Wolgadeutschen) und ihre in verschiedenen Regionen der UdSSR gelegenen kompakten Siedlungsgebiete, sondern auch ihre angestammten Häuser und ihren Besitz und wurden ohne Recht auf Rückkehr an ihre früheren Wohnorte ausgesiedelt. Ch.K. Krongradt erinnert sich: „[...] Unsere Familie wurde im September 1941 zusammen mit den anderen Deutschen nach Kasachstan ausgesiedelt. Meine Eltern Konrad Fedorovič und Justina Ivanovna Gajl zogen zu diesem Zeitpunkt acht Kinder auf. Zunächst wurden wir mit Fuhrwerken aus unserem Dorf gebracht, dann fuhren wir mit dem Zug nach Semipalatinsk und von dort mit dem Schiff in das Dorf Majskoe (ich erinnere mich noch, dass das Schiff „8. März“ hieß). Unser Weg war wirklich lang und schwer. Während der Fahrt wurde unser Zug bombardiert. Schließlich wurden wir der Kolchose „Enbekšinskij“ zugeteilt, wo wir bei der Familie Tajtulenov einquartiert wurden. Diesen Leuten sind wir sehr dankbar für alles. Bis heute stehen wir in Kontakt mit ihren Kindern. Ich hatte einen einjährigen Sohn mit Namen Vasja aus erster Ehe, der einen Monat nach unserer Ankunft infolge der Strapazen der Reise verstarb. Der Hausherr, bei dem wir wohnten, verstand unsere Lage, half uns, einen Sarg anzufertigen, und gab uns die Möglichkeit, das Kind nach unseren Gebräuchen zu begraben. Als die Familie Tajtulenov etwa einen Monat später einen Sohn bekam, gaben sie ihm den Namen Amangel’dy, erlaubten uns aber, ihn in Erinnerung an meinen Sohn Vasja zu nennen […]“.
Die deportierten Deutschen mussten sich nicht nur an völlig neue natürliche und klimatische Bedingungen gewöhnen, sondern sahen sich auch mit massiven sozial-ökonomischen Schwierigkeiten konfrontiert, die in einem katastrophalen Mangel an Lebensmitteln und Hunger sowie in einer durch die Auszehrung bedingten hohen Sterberate insbesondere unter den Kindern Ausdruck fanden. Auch die Behörden der aufnehmenden Gebiete waren sich der Gefahr einer drohenden Hungersnot durchaus bewusst und baten die Führung der Republik, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen: „Um zu vermeiden, dass es unter den Deutschen und Evakuierten infolge ihrer unzureichenden Versorgung […] zu unangenehmen Vorfällen kommt, bitten wir darum, eigens für diese bestimmtes Brot zu liefern.“ In einem an den Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare der Kasachischen SSR gerichteten Bericht wies die Führung des Gebiets West-Kasachstan im Oktober 1941 darauf hin, dass unter den in den Kolchosen angesiedelten Evakuierten und Deutschen nur die arbeitenden Personen, nicht aber deren Kinder 200-400 Gramm Brot pro Tag erhielten: „Die Unzufriedenheit nimmt ebenso zu wie der Diebstahl von Getreide, Kartoffeln und Sonnenblumen. Es entsteht eine schwierige Lage [...]“. Im benachbarten Gebiet Semipalatinsk berichtete die örtliche Führung an den Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare der Kasachischen SSR, dass bis zum 10. November 1941 insgesamt 34 141 deutsche Übersiedler gekommen und im Gebiet angesiedelt worden seien. Auch wenn man für alle Wohnraum habe bereitstellen können, sei die Ernährungslage überaus angespannt: „[…] Infolge der im Vorjahr erzielten geringen Ernteerträge haben die meisten Kolchosen in diesem Jahr überhaupt kein Getreide, bleiben ohne Saatgut und können die geleisteten Arbeitseinheiten kaum vergüten […]. Angesichts dieser Lage ist klar, dass diese Kolchosen den Übersiedlern nicht ein Kilo Getreide geben können […]. Die Überprüfung hat ergeben, dass ein Teil der eingetroffenen deutschen Übersiedler in vielen in diesen Rayonen gelegenen Kolchosen bereits jetzt im Wortsinne hungert, völlig verarmt ist und bei den Kolchosleitungen und anderen Rayonsorganisationen vor der Tür steht, um Brot zu fordern [...]“. Zur gleichen Zeit teilte auch die Führung der Region Süd-Kasachstan mit, dass die Lage der Übersiedler überaus schwierig sei und es zu zahlreichen durch die Auszehrung bedingten Sterbefällen komme: „Im Dorfsowjet Frunse (Rayon Kirov) sind in diesem Zeitraum 84 Personen gestorben, besonders hoch ist die Sterblichkeit unter Kindern […].“ Aus einem im Dezember 1941 vom Sekretär des Rayonsparteikomitees Bajanaul’ verfassten Bericht an den Sekretär des Gebietsparteikomitees der KP(b)K Pavlodar geht hervor, dass sich die angesiedelten Deutschen in den meisten Kolchosen in einer äußerst schwierigen Lage befanden: „Infolge des Mangels an Brot wüten unter den in den Kolchosen ,Oktober‘, ,Stalin‘, ,18. Parteikonferenz‘, ,Molotov‘ und ,Kyzylasker‘ ansässigen Übersiedlern und insbesondere unter den Kindern Masern, Grippe und andere Krankheiten, es gibt Fälle von Hungerödemen […].“
Aus den Archivdokumenten geht hervor, dass sich die Versorgungslage der deutschen Übersiedler in den Folgejahren kaum besserte und in einigen Fällen auch noch mehrere Jahre später äußerst angespannt blieb. Im Mai 1943 berichtete die Führung der im Rayon Kaganovič (Gebiet Pavlodar) gelegenen Sowchose „Kalinin“ an das Gebietsparteikomitee Pavlodar: „[...] Ich erachte es für geboten, Sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass die Ernährungslage der in der Kolchose tätigen Arbeiter überaus schwierig ist. Besonders schwer leidet die dem deutschen Kontingent zugehörige Bevölkerung [...]. Die insgesamt 298 Deutschen, unter denen auch 166 Kinder im Alter von 3-12 Jahren sind, befinden sich in einer äußerst schweren Lage, wegen des Mangels an Getreide und anderen Lebensmitteln liegen viele Familien mitsamt ihren Kindern mit Hungerbäuchen flach. Was sie an persönlichen Habseligkeiten hatten und in den Kolchosen gegen Lebensmittel tauschen konnten, ist nach einem halben Jahr aufgebraucht. Die Leute ernähren sich von einer 600-Gramm-Ration, und selbst das gilt nur für jene, die arbeiten. Ein Großteil der Leute ist infolge der durch die Mangelernährung bedingten Schwäche schon nicht mehr arbeitsfähig. Die Sowchose kann nicht helfen, es gibt keinerlei Essensreste und auch kein Gemüse mehr. Wir haben [den Leuten] ein bisschen gegeben, als der Skorbut grassierte, wodurch wir Erkrankungen in der Sowchose abwenden konnten […]. Ich bitte Sie um Rat, was wir tun sollen. In der Sowchose gibt es etwa 42 deutsche Familien, die dringend Hilfe benötigen. Sie haben weder Kleidung noch Schuhe, sind völlig ausgezehrt und nicht arbeitsfähig. Im März waren wir schon so weit, dass wir eine Tonne Fleisch von dem notgeschlachteten Vieh verteilt haben, was eine Straftat ist, da wir das gesamte notgeschlachtete Vieh an das Fleischkombinat abliefern müssen. Die Lage ist äußerst angespannt. Ich bitte Sie um Rat, was wir tun sollen“. L.A. Gauf erinnert sich: „[...] Meine Mutter Maria Andreevna (Genrichovna) Gauf und wir wurden 1941 ausgesiedelt. Wir waren vier Kinder und unsere Mutter. Dort, wo wir zu Hause waren, hatten wir alles gehabt: Haus und Hof, aber das alles wurde uns weggenommen. Man hat uns eine Bescheinigung ausgestellt und gesagt, dass wir dort alles bekommen würden, aber hier war nichts. Meine Mutter hatte drei Schwestern. Bei unserer Ankunft wurden wir in irgendeine Einöde gebracht. Jede Familie hat gerade einmal ein Schaf bekommen, aber selbst daran konnten wir uns nicht lange erfreuen, da schon im Herbst ein neuer Befehl kam, dass wir es zurückgeben müssten. Aber meine Tanten wollten die Schafe nicht wieder hergeben und haben sie nachts geschlachtet, damit ihre Kinder etwas zu essen hatten. Morgens hat sie der Nachbar dann angezeigt, weshalb sie als Heimatverräter abgeholt und ins Gefängnis gebracht wurden. Und auch die Kinder wurden abgeholt […]. So sind wir also erzogen worden, sind in aller Früh zur Arbeit gegangen und nachts wieder heim. Wir haben unter Hunger und Kälte gelitten, aber irgendwie hat unsere Mutter uns alle großgezogen […]“.
Neben der katastrophalen Ernährungslage stellte auch die Bereitstellung von Wohnraum für die deutschen Übersiedler ein drängendes Problem dar. Schon Anfang September 1941 begannen die örtlichen Behörden in den betroffenen zwölf Gebieten Kasachstans, sich mit Fragen der wirtschaftlichen Eingliederung der Übersiedler und der Bereitstellung von Wohnraum zu beschäftigen, was allerdings unter den schwierigen Bedingungen der Kriegszeit alles andere als einfach war.
Die Führung der Republik teilte mit, dass für die deutschen Übersiedler über 100 000 neue Häuser gebaut werden müssten, es in den Kolchosen und Sowchosen der Kasachischen SSR (nach Stand zum Oktober 1941) aber nur 7 266 freie Häuser gebe, die für planmäßige Übersiedler renoviert bzw. errichtet worden seien. Für den Bau neuer Häuser und die Grundsanierung provisorischer Bauten werde eine große Menge Baumaterial benötigt (Holz, Nägel, Glas, Eisen, Öle, Ofenteile, Türen, Fenster usw.), das in die Republik geliefert werden müsse.
Am 30. September 1941 bewilligte der Rat der Volkskommissare der Kasachischen SSR den betroffenen Gebieten 17 000 000 Rubel, die der Rat der Volkskommissare der UdSSR für die mit der Aufnahme der deutschen Übersiedler verbundenen Kosten bereitgestellt hatte, und wies zugleich das Kasachische Büro der Landwirtschaftsbank an, den entsprechenden Exekutivkomitees der Gebietssowjets Kredite zu geben. Letzteres wiederum teilte am 1. Oktober 1941 die die Kreditvergabe und Finanzierung der Ansiedlung der deutschen Übersiedler betreffenden Regeln mit. So hieß es z.B. in Punkt 5, dass die Umzusiedelnden Wohn- und Wirtschaftsbauten selbst errichten müssten, wenn diese am Ansiedlungsort nicht vorhanden seien. Wenn am Ansiedlungsort keine Häuser zur Verfügung gestellt würden, werde die Landwirtschaftsbank den betroffenen aus dem Wolgagebiet kommenden Familien für den Bau oder die Renovierung von Häusern Kredite in Höhe von 2 000 Rubeln geben (mit einer Laufzeit von fünf Jahren und 3% Zinsen pro Jahr, abzahlbar ab dem zweiten Jahr nach der Kreditvergabe).
Man sollte meinen, dass diese und andere auf dem Papier eingeleitete Maßnahmen die Eingliederung der deutschen Übersiedler hätten ermöglichen sollen, aber in der Realität wurden sie weder in den ersten Monaten noch in den folgenden Jahren umgesetzt, so dass praktisch keine neuen Wohnungen gebaut wurden. In den allermeisten Fällen wurden die deportierten Deutschen im Zuge der sogenannten „Verdichtung“ bei der ortsansässigen Bevölkerung einquartiert.
So wurden z.B. alle im Oktober 1941 in den Rayon Sverdlov (Gebiet Džambul) umgesiedelten Deutschen (2 879 Personen, insgesamt 780 Haushalte) bei Kolchosbauern einquartiert bzw. in einigen Fällen in noch nicht fertig gebauten Kolchosgebäuden oder ungeeigneten (leerstehenden) Häusern untergebracht.
Für den Bau von 780 für die deutschen Haushalte bestimmten neuen Häusern beantragte die Rayonsführung 92 500 Rubel und bat um 38 853 Doppelzentner Lebensmittelhilfe, die aus der Ernte des Folgejahres zurückgezahlt werden sollten. Auch in anderen Regionen ließ sich eine ähnliche Lage verzeichnen. So nahmen z.B. in dem im Gebiet Pavlodar gelegenen Rayon Lozovoe einige Kolchosführungen Übersiedlerhaushalte bei sich auf, registrierten diese aber nicht als Kolchosmitglieder und kümmerten sich nicht um deren wirtschaftliche Eingliederung, da sie davon ausgingen, dass die betreffenden Familien nur für den Winter bei ihnen untergebracht seien und schon bald wieder gehen würden. Später fasste das Rayonsparteikomitee Lozovoe den Beschluss, den deutschen Übersiedlern „während der Winterzeit Hilfe zu leisten und auf deren Kosten den Bau von Wohnhäusern vorzubereiten“. Letztlich wurden allerdings auch in diesem Rayon wie im gesamten Gebiet Pavlodar bis zum 1. Januar 1943 keine für die deutschen Übersiedler bestimmten Häuser gebaut.
Neben den beschriebenen Problemen der Lebensmittelversorgung und der Bereitstellung von Wohnraum blieben auch zahlreiche mit der Kompensation des von den Umsiedlern zurückgelassenen Besitzes (Futtergetreide, Vieh usw.) verbundene Fragen ungelöst. Im Januar/Februar 1942 gingen beim Rat der Volkskommissare und der Staatsanwaltschaft der Kasachischen SSR zahlreiche Eingaben ein, in denen die deutschen Übersiedler auf ihre überaus schwierige materielle Lage aufmerksam machten. In der Regel ging es in den entsprechenden Schreiben vor allem darum, dass die umgesiedelten Deutschen an ihren früheren Wohnorten Besitz, Vieh und Getreide zurückgelassen bzw. an den Staat übergeben hatten, an ihren neuen Siedlungsorten aber nicht für ihre Verluste entschädigt wurden, obwohl sie entsprechende Empfangsbestätigungen bzw. Übergabeprotokolle vorlegen konnten. So wiesen z.B. die aus der Kolchose „Nationale Minderheiten“ (Rayon Zverevo, Gebiet Rostov) stammenden deutschen Übersiedler darauf hin, dass man ihnen bei der am 14. September 1941 erfolgten Ankündigung ihrer Umsiedlung in das Gebiet Süd-Kasachstan eine Frist von gerade einmal 24 Stunden gesetzt habe, innerhalb derer ihr Besitz zu übergeben war, woraufhin alle 104 Haushalte Vieh, Getreide, Gerätschaften und Wertgegenstände ordnungsgemäß abgegeben hätten. Bei der Ankunft am neuen Wohnort seien sie in eine der Kolchosen eingegliedert worden, ohne für ihre Verluste in irgendeiner Weise entschädigt zu werden: „[…] Wir haben nichts bekommen, weshalb wir Sie bitten, uns etwas unserem Besitz und unserem Getreide Entsprechendes zu geben, da wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Getreide haben, was unter unseren Kolchosbauern für zahlreiche Krankheits- und Todesfälle sorgt [...]“. Dem Gesuch war eine Kopie des Übergabeprotokolls beigefügt, in dem in deutscher Sprache sorgfältig aufgelistet war, wieviel gedroschenes Getreide man auf den Tennen und in den Speichern und wieviel ungedroschenes Getreide man in den Schobern zurückgelassen hatte. Darüber hinaus war an gleicher Stelle auch die Menge des noch ungeernteten Getreides sowie des zurückgelassenen Viehs und Geflügels samt Preis dokumentiert.
Der aus der Stanica Malorossijskaja (Rayon Archangel’skaja, Region Krasnodar) stammende Übersiedler I.I. Kraf teilte in seiner an den Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare der Kasachischen SSR gerichteten Eingabe mit, seinen gesamten Besitz, Vieh, Haus, Getreide, Vergütung für die bereits geleisteten Arbeitseinheiten, Möbel und alle anderen kleinen Güter zurückgelassen zu haben: „Vor der Abfahrt habe ich persönlich zwei Doppelzentner und 53 Kilo Mais abgegeben, wofür mir bei der Abgabestelle eine ordnungsgemäße Quittung ausgestellt wurde [...]“. Nichtsdestotrotz habe man ihm und den anderen deutschen Übersiedlern in der Kolchose „Lenins Weg“ (Burnoe, Rayon Džuval, Gebiet Süd-Kasachstan) eine Entschädigung des Besitzes verweigert, weswegen er um Auskunft über das weitere Vorgehen bitte: „[...] Ich bitte Sie nachdrücklich, uns zu sagen, wie mit unserem Besitz weiter verfahren wird und ob wir irgendetwas bekommen, was uns weiter existieren lässt. Denn die Kolchose, in der wir jetzt sind, kann uns nicht ernähren […]“.
Sechs aus der Kolchose „Kirov“ (Georgische SSR) stammende deutsche Übersiedler baten die Führung des Rats der Volkskommissare der Kasachischen SSR, ihnen Lebensmittelhilfe zu leisten und Vieh zu geben. In ihrer Eingabe schrieben sie: „Wir sind in einer äußerst schwierigen Lage, in einer sehr armen Kolchose, wo es in diesem Jahr, wie uns gesagt wurde, keine Ernte gab. Die Kolchose kann uns weder mit Milchprodukten noch mit Getreide noch sonst irgendwie helfen […]. Bei der Abfahrt wurde uns von den Organen gesagt, dass wir nur für einen Monat Verpflegung und Lebensmittel bis zur Ankunft vor Ort mitnehmen sollten, und dort werde man uns etwas geben […]. Wir sind bereits im Oktober abgefahren, so dass wir [jetzt] nichts mehr zu essen haben […]“. An den Rat der Volkskommissare der Kasachischen SSR wandten sich auch die früheren Mitglieder der im Rayon Terek (ASSR Kabardino-Balkarien) gelegenen Kolchose „Thälman“ K.Ja. Bekker, Ė.E. Braun, Ju.Ė. Brejtkrejtc und K.F. Drejng, die in ihrer Eingabe erklärten, dass ihre Evakuierung in großer Eile durchgeführt worden sei: „[...] Wir setzen Sie davon in Kenntnis, dass die Mitglieder der Kolchose angesichts der überaus kurzen Evakuierungsfrist von einem einzigen Tag allesamt keine Möglichkeit hatten, das gesamte Getreide bei der Getreidesammelstelle abzuliefern, so dass wir es vor Ort an die Kolchose übergeben haben, wo uns eine Auflistung unseres Besitzes und eine Empfangsbestätigung ausgehändigt wurden. Aber die entsprechenden Auflistungen und Empfangsbestätigungen werden von den [hiesigen] Stellen nicht akzeptiert [...]“.
Wie sich das Problem lösen ließe, wusste auch die Gebietsführung nicht, weswegen sie sich mit der Bitte um entsprechende Anweisungen an die Führung des Rats der Volkskommissare der Kasachischen SSR wandte. Im Februar 1942 teilte der Vorsitzende des Rayonsexekutivkomitees Mamljutka mit, dass im November 1941 828 von der Krim stammende deutsche Haushalte in seinen Rayon gekommen seien, die infolge ihrer späten Ankunft im Jahr 1941 nicht genug Arbeitstage erarbeitet hätten und deshalb ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könnten: „Wir bitten um Klärung, wie mit den aufgrund des Sonderbeschlusses in den Rayon gekommenen deutschen Übersiedlern weiter zu verfahren ist und auf wessen Kosten ihre Versorgung mit Lebensmitteln erfolgen soll […]“. Am 19. Februar 1942 teilte der Stellvertretende Vorsitzende des Rats der Volkskommissare der Kasachischen SSR N. Babkin mit, dass die im Tausch gegen das an den Aussiedlungsorten zurückgelassene Getreide erfolgende Ausgabe von Getreide an die übergesiedelten Deutschen entsprechend den Anweisungen Nr. 1112 des Volkskommissariats für Lebensmittelfragen der UdSSR vom 13. Februar 1942 nur bei Vorlage entsprechender Empfangsbestätigungen der Getreideabgabestellen durchgeführt werde: „Bei allen anderen Arten von Dokumenten (Protokolle, Bescheinigungen usw.) ist die Ausgabe von Getreide nicht erlaubt. Die Kompensation des am Aussiedlungsort zurückgelassenen Viehs in Form von Sach- oder Geldleistungen wird von den Kontoren der Fleischversorgung gegen Vorlage einer am Aussiedlungsort auf den Namen der betreffenden Person ausgestellten Empfangsbestätigung entsprechend den bestehenden Richtlinien des Kasachischen Kontors der Fleischversorgung durchgeführt […]“.
Da auch den Behörden klar war, dass sich die Kompensation des an den Aussiedlungsorten zurückgelassenen Besitzes, Getreides und Viehs unter den Bedingungen des Krieges nicht würde umsetzen lassen, beschuldigten sie die deutschen Übersiedler ihrerseits, „falsche“ Dokumente vorzulegen, verweigerten ihnen jegliche Hilfe und nötigten sie auf diese Weise, unter schwersten Bedingungen selbst für ihr Überleben sorgen zu müssen.
In diesem Zusammenhang ist nicht zu vergessen, dass längst nicht alle deutschen Übersiedler aus der Landwirtschaft kamen, es unter ihnen auch viele Arbeiter, Angestellte und Angehörige der Intelligenz gab und diese wie jene nicht aus eigenem Antrieb in ihre schwierige Lage geraten waren. „Bei den deutschen Übersiedlern haben wir Kolchosbauern erwartet, die eine Empfangsbestätigung für das an den Staat übergebene Getreide vorlegen, es hier erhalten, in den Kolchosen arbeiten und bis zur nächsten Ernte überleben. Unter den in unser Gebiet gekommenen Leuten waren aber neben 7 153 Kolchosbauern auch 18 766 Arbeiter und Angestellte. Sie alle verlangen von den Rayonsorganisationen Brot, aber ihre Bitten können wir nicht erfüllen […]“, hieß es in einem von der Führung des Gebiets Ost-Kasachstan verfassten Bericht.
Besonders schwer hatten es Angehörige der kreativen Berufe wie z.B. der deutsche Künstler, Pädagoge und Kunsthistoriker Vladimir Aleksandrovič Ejfert (1884–1960), der noch 1936 als Direktor des Staatlichen Puschkinmuseums für Bildende Kunst tätig gewesen war und im September 1941 im Alter von 57 Jahren aus Moskau in die abgelegene Siedlung „Puškinskoe“ deportiert wurde, wo er um Arbeit als Wachmann oder Buchhalter im Dorfladen betteln musste. Als er 1944 eine Sondererlaubnis für die Übersiedlung nach Karaganda erhielt, kehrte er zur künstlerischen Arbeit zurück und wurde zu einem der Begründer der Karagandaer Malschule.
Ein weiterer nach Kasachstan deportierter Künstler war Leonid Vladimirovič Brjummer (1889–1971), der seit 1937 dem Künstlerverband der UdSSR angehört hatte und aus Nal’čik (ASSR Kabardino-Balkarien) in das Gebiet Pavlodar zwangsausgesiedelt wurde, wo er bis 1955 im Dorf Pesčanoe (Rayon Maksim Gor’kij) lebte. „Wie die meisten talentierten Leute, die ihr eigenes für Außenstehende völlig unverständliches Leben führen, war er unfähig, sich an die harte Lebensrealität anzupassen. Er lebte in einer halb verfallenen Baracke und fror in den strengen Wintern der Priirtyš-Region. Er hungerte, tauschte seine Sachen und seine spärliche Übersiedlerration gegen ein Stück Leinwand und gelegentlich Farben, hörte aber nie auf, Bilder zu malen, die er selbst in den schlimmsten Momenten seines Lebens nicht verkaufte, weil sie für ihn wie Kinder waren […]. Und seine Kinder dürfe man nicht verkaufen, sagte der Künstler“.
Wie schwer es war, für die deportierten Deutschen in den Kolchosen und Sowchosen Arbeit zu finden, zeigte sich sofort nach ihrer Ankunft. Die Zwangsumgesiedelten mussten vor Ort in Arbeit gebracht werden, aber nicht immer fand sich eine passende Tätigkeit, zumal viele von ihnen für landwirtschaftliche Arbeiten nicht in Frage kamen. Bereits am 9. November 1941 telegrafierte die Führung des Rats der Volkskommissare der Kasachischen SSR an die in den Gebieten zuständigen Stellen, dass unter den deutschen Sondersiedlern zahlreiche Personen seien, die keine schweren körperlichen Arbeiten verrichten könnten und sich deshalb in einer schlechten materiellen Lage befänden: „Der Rat der Volkskommissare fordert Sie auf, Maßnahmen auszuarbeiten, um […] erstens in den Kolchosen, Sowchosen und anderen Organisationen für nicht arbeitsfähige Sondersiedler leichte Tätigkeiten bereitzustellen und sie zweitens in Handwerkerkollektiven entsprechend ihrer Ausbildung einzusetzen“. Im Februar 1942 teilte die Führung des Gebiets Kysyl-Orda mit, dass die in ihrem Gebiet eingetroffenen 4 411 deutschen Übersiedler in die in den Rayonen Čiili, Kazalinsk und Aral’sk gelegenen Kolchosen gebracht worden seien: „[…] Im Rayon Aral’sk wurden die deutschen Übersiedler in Fischfangkolchosen gebracht, waren für die dort zu verrichtenden Arbeiten aber nicht geeignet. Infolgedessen sind zahlreiche Gesuche bei uns eingegangen, sie aus den Fischfangkolchosen in landwirtschaftliche Kolchosen zu verlegen, wo sie ihrer Ausbildung entsprechend arbeiten könnten. Nach eingehender Prüfung sind wir unter Einbeziehung der Rayonsorganisationen zu dem Schluss gekommen, insgesamt 175 deutsche Übersiedlerhaushalte aus den im Rayon Aral’sk gelegenen Fischfangkolchosen in den Rayon Čiili zu überführen und auf die bestehenden Kolchosen zu verteilen, wo man für sie in vollem Umfang Ackerland und Bewässerungswasser bereitstellen kann [...]“.
Angesichts des Hungers, der unerträglichen Lebensbedingungen und der weitgehenden Untätigkeit der Behörden war die Stimmung unter den insgesamt 400 000 nach Kasachstan umgesiedelten Deutschen überaus angespannt. Mit der Unzufriedenheit und Verzweiflung stieg auch die Zahl der politisch motivierten Strafverfahren. So wurden in der Sowjetunion allein bis Ende 1941 über 600 Deutschstämmige aus politischen Gründen verhaftet. Die auf politischen Paragrafen beruhenden Verhaftungen und entsprechenden Anklagen setzten sich bis in die frühen 1950er Jahre fort. Ende 1941 wurde die gesamte arbeitsfähige deutsche Bevölkerung zur Arbeitsarmee mobilisiert, wovon sich die zentrale Führung des NKVD nicht nur eine Abschwächung der an den Deportationsorten bestehenden Spannungen versprach, sondern auch dem Zwangsarbeitssystem neue Arbeitskräfte zuführen konnte.
Im Zeitraum zwischen Anfang 1942 und 1946 wurden sowohl die bereits vor dem Krieg in Kasachstan ansässigen Deutschen als auch die dorthin Deportierten in Arbeitskolonnen zusammengezogen, die in verschiedenen kriegswichtigen Industriezweigen eingesetzt wurden. Die meisten auf diese Weise Mobilisierten wurden außerhalb Kasachstans eingesetzt (im Ural, in Sibirien usw.), wo sie in der Rüstungsindustrie, im Kohlebergbau, in der Waldwirtschaft sowie in den Objekten und Lagern des Gulags tätig waren. In der Kasachischen SSR wurden erwachsene deutsche Männer und Frauen sowie Heranwachsende im Alter von 14-16 Jahren von den Wehrämtern eingezogen, um als Zwangsarbeiter im Bergbau und in der Ölindustrie, beim Bau von Eisenbahnstrecken, in Fabriken und Großkombinaten sowie in den Objekten und Lagern des Gulags eingesetzt zu werden. Nach Berechnungen der Forschung kamen über 60 000 Deutsche im Zuge ihres Einsatzes in der Arbeitsarmee ums Leben (etwa 20%), davon fast zwei Drittel in den Lagern des NKVD und die restlichen in den Objekten anderer Volkskommissariate.
Entgegen den Erwartungen brachte das Ende des Deutsch-Sowjetischen Kriegs keine Abschwächung oder gar Aufhebung des von Seiten der Staatsorgane ausgeübten Überwachungsregimes. Ganz im Gegenteil fanden sich die Deutschen wie auch andere deportierte Völker unter den Bedingungen der Sondersiedlung wieder, in der ihre Rechte und Freiheiten nicht minder eingeschränkt waren.
Noch vor dem Ende des Deutsch-Sowjetischen Kriegs wurde im Jahr 1944 das in den Sondersiedlungen bestehende Überwachungssystem reformiert und der rechtliche Status der verschiedenen dort zusammengezogenen Bürger verfestigt. Im März 1944 wurde innerhalb des NKVD der UdSSR eine eigenständige Abteilung für Fragen der Sondersiedlung eingerichtet, die für die Registrierung und Überwachung der Sondersiedler zuständig sein sollte und mehrere die Sonderkommandanturen sowie die Rechte der Sondersiedler betreffende Verordnungen und Verfügungen ausarbeitete, unter denen auch die Verordnung Nr. 35 des Rats der Volkskommissare der UdSSR vom 8. Januar 1945 „Über den rechtlichen Status der Sondersiedler“ war, die diese zur Einhaltung des bestehenden Kommandanturregimes verpflichtete und das eigenmächtige Verlassen des Siedlungsgebiets als strafrechtlich zu verfolgende Flucht einstufte. Am 26. November 1948 verpflichtete das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR die Deutschen und andere deportierte Völker per Erlass, dauerhaft und ohne Recht auf Rückkehr an ihre früheren Wohnorte an ihren Aussiedlungsorten zu bleiben. Für das eigenmächtige Verlassen ihrer Siedlungsorte (Flucht) wurden die Sondersiedler strafrechtlich zur Verantwortung gezogen und zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
Aus den im Archivbestand der Verwaltung des Komitees für Rechtsstatistik und Sondermeldewesen der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Kasachstan für die Stadt Almata verwahrten persönlichen Akten geht hervor, dass die Sondersiedler bei der Aufnahme in das Melderegister der Sonderkommandanturen schriftlich bestätigen mussten, über die oben genannten Verordnungen und Erlasse in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Darüber hinaus sind in den Akten die Personalien, die bei den Kommandanturen vorzulegenden Kontroll- und Meldepapiere sowie Eingaben, Bescheinigungen, Beurteilungen, Gesuche und Beschwerdeschreiben enthalten, aufgrund derer die Überwachungsorgane das Leben der Sondersiedler kontrollieren konnten. In die Melderegister der Sondersiedlungen wurden nun auch Kinder ab dem 16. Lebensjahr aufgenommen, die zuvor mit der Familie (bzw. mit dem Familienoberhaupt) zusammen gemeldet waren. Durch diese Neuregelung ließ sich nach Aussage der Überwachungsorgane auch der Umstand erklären, dass die Zahl der gemeldeten Sondersiedler mit jedem Jahr anstieg, obwohl keine neuen Kontingente in die Sondersiedlung kamen.
Laut Statistik des Ministeriums für Staatssicherheit der Kasachischen SSR lebten in Kasachstan im Jahr 1950 insgesamt 250 897 zwangsumgesiedelte Familien bzw. 895 109 Personen, was einem Anteil von 13% an der Gesamtbevölkerung der Kasachischen SSR und etwa einem Drittel aller in der UdSSR zwangsumgesiedelten Personen entsprach. Von diesen waren 264 395 Personen deutschstämmig. Die Zwangsumsiedler wurden in allen sechzehn Gebieten der Republik einschließlich der Stadt und des Gebiets Alma-Ata (45 338 Personen) sowie in insgesamt 173 Rayonen und 5 029 Ortschaften angesiedelt und wurden in den Melderegistern von insgesamt 878 Sonderkommandanturen geführt. Dabei ist anzumerken, dass Alma-Ata als Hauptstadt der Kasachischen SSR und Stadt von gesamtsowjetischer Bedeutung kein vorrangiges Ziel der Ansiedlung von Sondersiedlern war und die bereits vor dem Deutsch-Sowjetischen Krieg in der Stadt ansässigen Deutschen im Herbst 1941 in die ländlichen Regionen des Gebiets Alma-Ata ausgesiedelt wurden. Erst ab dem Jahr 1948 durften sich Sondersiedler in Alma-Ata niederlassen, wenn dies aus Gründen der Familienzusammenführung oder Arbeitsaufnahme gerechtfertigt schien, wobei hoch qualifizierte deutsche Sondersiedler aus den Reihen der wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz gefragte Arbeitskräfte waren. So waren unter anderem der Künstler und Schriftsteller P.Ja. Zal’cman, der frühere Kommandeur einer Artilleriedivision und Dozent am Militärlehrstuhl der Kasachischen Staatlichen Universität I.I. Vestfal’ und der an Planung und Bau des Hauses der Regierung der Kasachischen SSR sowie zahlreicher weiterer Regierungsbauten beteiligte Architekt I.I. Brenner in der Stadt tätig. Ungeachtet dieser Einzelfälle blieb die Beschäftigung deutscher Arbeitskräfte in der Hauptstadt jedoch eine Ausnahme, da das Regime auch in der Nachkriegszeit daran interessiert war, das zynische System der Ausbeutung der Arbeitskraft der Deutschen und anderer deportierter Völker beizubehalten, die eine nie versiegende Arbeitsreserve für die Industrie und Landwirtschaft der Randgebiete der Sowjetunion darstellten. So teilte die Abteilung für Fragen der Sondersiedlung des NKVD der UdSSR am 10. April 1953 in einem der Arbeit der Sondersiedler gewidmeten Bericht mit, dass alle Sondersiedler zum 1. Juli 1948 zur Arbeitsaufnahme an die Landwirtschaft, den Bergbau, die Waldwirtschaft sowie an Betriebe der Gold-, Platin- und Diamantengewinnung überstellt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt seien 269 092 deutsche Sondersiedler (47,6% der arbeitsfähigen deutschen Bevölkerung der UdSSR) in der Landwirtschaft tätig gewesen. Im Gebiet Karaganda waren im Jahr 1952 von den insgesamt 45 282 vor Ort ansässigen deutschen Sondersiedlern 36 044 in Industriebetrieben, auf Baustellen und im Transportwesen und 9 238 in den Kolchosen und Sowchosen des Gebiets tätig.
Das System der Sondersiedlung wurde für die Deutschen erst in den Jahren 1954–56 abgeschafft. Ihre politischen Rechte wurden sogar erst 1964 wiederhergestellt. Die Rehabilitierung und Wiederherstellung der Rechte der in Kasachstan ansässigen Deutschstämmigen erfolgte im Zuge der folgenden Akte: Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Aufhebung der früher für bestimmte Kategorien von Bürgern geltenden Einschränkungen bei der Wahl des Wohnsitzes“ vom 3. November 1972, Deklaration des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Anerkennung des rechtswidrigen und verbrecherischen Charakters der gegen die der Zwangsumsiedlung unterzogenen Völker gerichteten Repressionsakte und die Wahrung ihrer Rechte“ vom 14. November 1989, Gesetz der Republik Kasachstan „Über die Rehabilitierung der Opfer der politischen Massenrepressionen“ vom 14. April 1993. Ungeachtet der Verabschiedung der genannten normativen Rechtsakte bleiben die mit der Rehabilitierung der deutschstämmigen Bürger verbundenen Probleme ebenso aktuell wie Fragen des Erhalts des den Deportationen, der Arbeitsarmee und der Sondersiedlung der Deutschen in Kasachstan gewidmeten Archivmaterials und die Frage der Regelung des Zugangs zu diesen. All dies sind Fragen, mit deren Lösung die Staatliche Kommission für die vollständige Rehabilitierung der Opfer der politischen Repressionen in der Republik Kasachstan befasst ist. Und das ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Rekonstruktion der wenig erforschten Seiten der Geschichte der Deutschstämmigen, deren Schicksal nicht nur mit der Geschichte Kasachstans, sondern auch anderer Länder des postsowjetischen Raums verbunden ist. Denn „die Wörter Deportation und Repression waren für alle in der Sowjetunion lebenden Deutschen zeit ihres Lebens ein ständiger Begleiter“.