Die Grenzen der Gewalt in den leibeigenschaftlichen Beziehungen in Estland und Livland im 17. Jahrhundert
Einleitende Bemerkungen
Eine Sklavenhaltergesellschaft kommt ohne Gewalt nicht aus. Aber reicht der rohe körperliche Zwang alleine dazu aus, um die Beherrschten unter Kontrolle zu halten? Und wo hat die Gewalt auch dort ihre Grenzen, wo Menschen fast uneingeschränkte Macht über andere Menschen besitzen? Diese Fragen sind verschiedenartig beantwortet worden, denn die Sklaverei im Römischen Reich unterschied sich von jener Amerikas, und auch die Leibeigenschaft im Russländischen Imperium hatte ihre eigenen Züge. Ein nordamerikanischer Plantagensklave, der in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Herrenhaus lebte und arbeitete, hatte etwa viel weniger Freiräume als ein leibeigener Bauer in der russischen Provinz, dessen Besitzer die meiste Zeit des Jahres in St. Petersburg weilte, und dessen Dorfgemeinschaft relative Unabhängigkeit besitzen konnte.
Diese Faktoren mussten auch die Art und Weise beeinflussen, wie Gewalt geübt wurde. Für intermediäre Herrschaftsverhältnisse galten andere Regeln als für unmittelbare gutsherrschaftliche Machthausübung, und ein zwischen dem Besitzer und seinen Sklaven stehender Verwalter war zur Anwendung körperlicher Zwangsmaßnahmen in anderer Weise befugt als ein Gutsherr, der mit der Faust oder Peitsche verwirklichte, was er als seine patrimonialen Rechte ansah. Wer aber von ihnen wiederum in der Praxis gewalttätiger war, hing von lokalen Bedingungen und Machtverhältnissen ab und muss konkret an Einzelbeispielen untersucht werden.
Der Historiker Marten Seppel tut genau das. Anhand von Prozessakten und bäuerlichen Beschwerde-briefen führt er Leser und Leserin plastisch vor Augen, welche Art der Gewalt Ende des 17. Jahrhunderts in den baltischen Ostseeprovinzen gegen estnische Bauern verübt und wie sie eingeschätzt wurde. Dabei tragen besonders drei Aspekte seiner Untersuchung zu einem besseren Verständnis der Rolle von Gewalt und ihrer Grenzen bei: Erstens leistet Seppel eine klare Klassifizierung von Gewalt: Legaler körperlicher Züchtigung, wie sie besonders als Teil des gutsherrschaftlichen Hauszuchtrecht allgemein akzeptiert war, standen illegale Praktiken gegenüber, die häufig exzessive Gewalt beinhalteten und auch von den gutsherrschaftlichen Eliten meist abgelehnt wurden. Doch mangelte es an klaren definitorischen Trennlinien, weshalb zweitens die konkreten Konfliktfälle um die Legitimität bestimmter Fälle von Brutalität seitens der Gutsherren oder Gutsverwalter besonders instruktiv für das allgemein geltende Verständnis sind. Hier liegt der Schwerpunkt von Seppels Untersuchung. Sie macht deutlich, dass die Chancen, einen Gutsbesitzer wegen Grausamkeit tatsächlich zu verurteilen, zwar gering waren, die Grenzen der Hauszucht aber auch unter leidenschaftlichen Befürwortern der Leibeigenschaft durchaus relevant waren. Auch brutale Gutsherren sahen sich in der Pflicht, ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Dabei kann Seppel drittens zeigen, dass im Konfliktfall neben der gutsherrschaftlichen Obrigkeit und den Leibeigenen noch ein weiterer Akteur eine Rolle spielte: die Staatsmacht. Denn das Recht der Bauern, gegen unangemessene Strafen Berufung einzulegen, sorgte für eine regelmäßige Intervention der Staatsmacht und der Gerichte in die Beziehungen zwischen Bauern und Gutsherren. Die daraus entstehende Kommunikation zwischen Staat und Untertanen in der Provinz kann als eine baltische Besonderheit innerhalb des Russländischen Imperiums angesehen werden.
Damit verweist Seppel über den unmittelbaren Untersuchungsgegenstand des Aufsatzes hinaus auf spätere Entwicklungen. Die genannte Interaktion war eine der Wurzeln des grundlegenden Wandels der Beziehung zwischen Staat, Landadel und Bauern. Früchte sollte sie erst viel später tragen, als auch die estnischen Bauern Möglichkeit, an der Entscheidung örtlicher Angelegenheiten zu partizipieren, erhielten und nutzten.
Die Grenzen der Gewaltin den leibeigenschaftlichen Beziehungen in Estland und Livland im 17. Jahrhundert*
In der Geschichtsschreibung gibt es bereits seit einigen Jahrhunderten die Tendenz, die Leibeigenschaft durch jene Fälle zu charakterisieren, bei denen die Gutsherren eine außerordentliche Brutalität an der bäuerlichen Bevölkerung an den Tag legten. Nachdem Garlieb Merkel in die Schusslinie der Gutsherren geraten war, weil er in seinem Buch „Die Letten“ (1796) die armselige Situation der livländischen Bauern in allzu düsteren Tönen beschrieben hatte, machte Merkel im Jahr 1801, um sich zu verteidigen, das Protokoll eines im Gut Mergel/Neeruti durchgeführten Ermittlungsverfahren des Landgerichts öffentlich. In diesem Gerichtsverfahren aus dem Jahr 1799 erklärten die Bauern ausführlich, wie ihr Gutsherr v. Kymmel ihnen (darunter auch schwangeren Frauen), gnadenlos und ungerecht Züchtigung verordnet habe infolge derer mindestens ein Bauer gestorben sei. Dabei habe der Gutsherr eine 40jährige Bauersfrau, die sich während des Schlagens eingekotet hatte, mit Schlägen gezwungen, ihre Exkremente aufzuessen. Jedoch betonte Merkel im Nachwort, dass er nicht alle Gutsherren für brutale Peiniger halte, sondern nur diejenigen, „die ihre Leibeigenen wie Tyrannen behandeln“.
Es ist tatsächlich fraglich, ob und inwiefern die einzelnen Beispiele von sadistischen Gewaltakten seitens der Gutsherren den tatsächlichen juristischen Rahmen der Leibeigenschaft zeigen. Die legale Gewalt (z.B. das gewöhnliche Hauszuchtrecht der Gutsherren) muss von der illegalen Gewalt getrennt werden, die bereits während der Zeit der Leibeigenschaft als inakzeptabel angesehen und seitens des Staates als kriminell eingestuft wurde. Die Fälle gesetzeswidriger Brutalität an den Bauern können nicht als ein juristischer Teil der Leibeigenschaft betrachtet werden, da die Gutsherren solche Rechte eigentlich nicht innehatten. Sicherlich gibt es mit Blick auf Estland und Livland im 17.–18. Jahrhundert keinen Grund, von einem uneingeschränkten Recht der Gutsherren auf Hauszucht und Willkür zu sprechen. Außerdem sind die brutalen Taten der Gutsherren vor allem deshalb bekannt geworden, weil solche Gewaltakte von Gerichten als Straftaten untersucht wurden (wie auch das von Merkel gebrachte Beispiel aus Mergel/Neeruti). Also kann die an der bäuerlichen Bevölkerung ausgeübte Gewalt nur insoweit als Grundlage für die Bewertung der leibeigenschaftlichen Situation gesehen werden, wie sie als eine systematische Erscheinung identifiziert werden kann und rechtlich akzeptiert war. Es muss betont werden, dass, wenn man über die Situation der Leibeigenen spricht, nicht von personalisierten oder individuellen Gewaltpraktiken ausgegangen werden kann, sondern nur von dem gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen. Es gibt eine unendliche Zahl von individuellen Fällen, bei denen die Gutsherren gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung zu streng gewesen sind (oder umgekehrt zu sehr zu ihnen gehalten haben), aber durch diese Beispiele kann zwar das Leben der Leibeigenen illustriert, nicht aber ihre rechtliche Situation bestimmt werden. Andererseits bedeutet das aber nicht, dass nicht auch die systematische illegale Gewalt bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Gutshof und der bäuerlichen Bevölkerung eine eigene Rolle spielen konnte.
Die Hauszucht auf dem Gutshof und die brutale Gewalt der Gutsherren an der bäuerlichen Bevölkerung in Estland und Livland haben in der bisherigen Historiografie recht viel Aufmerksamkeit erhalten. Deshalb ist es verständlich, dass sich die aktuelleren Untersuchungen über die Beziehungen zwischen dem Gutshof und der bäuerlichen Bevölkerung in der letzten Zeit eher auf die Suche nach Solidarität konzentriert haben. Wie Jan Peters im Rahmen der neuen Sichtweise Anfang der 1990er Jahre programmatisch schrieb: Die Funktionsfähigkeit des Gutsherrentums kann nicht nur mit der Gewalt erklärt werden, weswegen auch die Konsense zwischen dem Gutsherren und der bäuerlichen Bevölkerung sowie weitere soziale Logiken gesucht und untersucht werden müssen. Heutzutage wird betont, dass der Gutsherr, um seinen Gutshof erfolgreich zu bewirtschaften, eher die Zusammenarbeit mit der bäuerlichen Bevölkerung benötigte, die teilweise durch die Berücksichtigung der Standpunkte der bäuerlichen Bevölkerung erreicht wurde, statt seinen Willen einseitig mit roher Gewalt aufzuzwingen. Abgesehen davon verleugnete aber bereits Peters nicht, dass die Frage, welche Rolle die Gewalt in Gesellschaften mit Gutsherrschaft eigentlich spielte, sicher weiterhin geklärt werden muss.
Das zentrale Ziel des vorliegenden Artikels ist der Versuch, vor allem die Position der ordentlichen und außerordentlichen Gewalt in leibeigenschaftlichen Beziehungen am Beispiel von Estland und Livland im 17. Jahrhundert klarer herauszuarbeiten. Mit welchen Argumenten rechtfertigte der Adel sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Gewalt? Welche Fälle der Gewalt seitens des Gutshofs wurden üblicherweise als „gewöhnliche“ Hauszucht bezeichnet und welche als illegal und inakzeptabel (gesetzlich fehlte ja eine entsprechende genaue Unterscheidung im 17. Jahrhundert)? Dazu gehört noch ein wichtiges Thema. Die deutlichste rechtliche Einschränkung der Gutsherren gegenüber ihren Leibeigenen (im Vergleich zum römischen Recht) war im 17. Jahrhundert das fehlende Recht zu töten. In der bisherigen Geschichtsschreibung wurden zwar wiederholt die Fälle, bei denen die Bauern totgeschlagen wurden, als ein Beweis für den armseligen Zustand der Leibeigenen herangezogen, aber eine nähere und systematische Analyse dieser Fälle fehlt bisher. Aus diesem Grund wird im letzten Teil des Artikels auf Gerichtsmaterialien zu Verfahren aus dem 17. Jahrhundert in Estland und Livland, die sich mit Todesfällen von Bauern befassen, etwas näher eingegangen. Die wichtigsten Quellen des Artikels bestehen aus Gerichtsmaterialien des 17. Jahrhunderts, aber einen wesentlichen Anteil haben auch die zahlreichen Beschwerdebriefe der Bauern, die es gleichzeitig ermöglichen, die Wahrnehmung der Bauern hinsichtlich der Gewalt auf den Gutshöfen zu verstehen.
Hauszucht
Bei der Disziplinierung, Kontrolle und Bestrafung der leibeigenen Bauern spielte absichtliche, planmäßige und legale Gewalt eine große Rolle. Zur legalen Gewalt zählten sowohl die von den Gerichten angeordneten gewöhnlichen Strafen – Züchtigungen –, als auch die Strafen seitens der Gutsherren im Rahmen der Hauszucht. Das Recht der Gutsherren auf Hauszucht in eingeschränktem Umfang gehörte als fester Bestandteil zu den leibeigenschaftlichen Beziehungen. Das haben auch die Gutsherren, der Staat und offenbar sogar die bäuerliche Bevölkerung niemals verleugnet. Mindestens bis zum 19. Jahrhundert wurde die körperliche Bestrafung als normal oder sogar als zwingend notwendig angesehen, und sie wurde nicht allgemein verurteilt. In der Vorstellung der Gutsherren von einer paternalistischen Leibeigenschaft gehörte die Hauszucht oder die Gewalt in gewissem Rahmen zum harmonischen und paternalistischen Verhältnis zwischen dem Gutshof und dem Bauern. Die Hauszucht war das Recht und die Pflicht des Hausvaters – des Gutsherren – mit leichter körperlicher Züchtigung auf dem Gutshof für Ordnung und Gehorsam seiner Untertanen zu sorgen. Den Bauern mit der Rute zu schlagen, stand in keiner Weise im Widerspruch zu einem harmonischen paternalistischen Verhältnis. Im Gegenteil, die körperliche Bestrafung war kein Tabu, sondern galt als Teil einer väterlichen Erziehung der bäuerlichen Bevölkerung. Die Bauern waren wie Kinder, die andauernd beaufsichtigt, angeleitet und zurechtgewiesen werden mussten. Es war nicht das Recht, sondern die offenkundige Pflicht des Hausvaters seinen Untertanen und Kindern die Rute zu geben, um seine väterliche Rolle zu erfüllen. Die war auch in der Bibel klar ausgedrückt vorgeschrieben: „Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht.“ (Sprüche 13:24)
Über die Prinzipien der Hauszucht des Herren diskutierten bereits die Autoren des antiken Griechenlands und des Römischen Reichs. Beispielsweise verlangte Platon, dass die Sklaven in strenger Disziplin gehalten werden sollten, so dass der Herr seine Sklaven, die nicht gehorchen, bestrafen dürfe, er aber dabei gerecht sein müsse und die Grenze, „die heilig ist“, nicht überschreiten dürfe. Platon sagt: „Seinen eigenen Sklaven darf jeder, der es wünscht, im Falle, dass er bei Verstand ist, festnehmen, um mit ihm zu machen, was er wünscht, sofern das göttliche Recht es zulässt.“
In den Werken der römischen Autoren war die Verantwortung für die Hauszucht (disciplina domestica) die Aufgabe eines jeden Hausvaters (pater familias). Zugleich verstand man bereits damals, dass die Grenze zwischen übermäßiger Brutalität und der notwendigen Strenge, um die Ordnung zu gewährleisten, viel Raum zur Interpretation bietet. Die Hauszucht sollte die Sklaven die Strafe fürchten lassen, damit sie keine Missetaten begehen. So betont beispielsweise Cato (der Ältere) in seinen Anweisungen „De agri cultura“, dass es die Pflicht des Verwalters (vilicus) sei, gute Ordnung zu halten (disciplina bona utatur). Begeht einer der Sklaven ein Vergehen (deliquerit), muss der Verwalter „ihn angemessen bestrafen, dem Ausmaß der Schuld entsprechend. [...] Wenn der Verwalter den Missetaten entgegentritt, dann werden sie diese nicht mehr begehen.“ (V, 1-2) Somit wurde mit der Bestrafung der Sklaven immer eine doppelte Absicht verfolgt: einerseits Ordnung zu halten, andererseits durch ein warnendes Beispiel andere Bauern zu erziehen und zu bessern. Die in Rom weit verbreiteten, grausamen öffentlichen Bestrafungen von Sklaven, beispielsweise Kreuzigungen von entlaufenen oder rebellischen Sklaven, erfüllten einerseits den Zweck einer verdienten Strafe wegen eines Vergehens und sollten andererseits Angst schüren und dadurch Gehorsamkeit gewährleisten.
Sowohl im antiken Griechenland als auch im Römischen Reich war die Züchtigung ein Kennzeichen dafür, dass sie sich von den freien Menschen unterschieden. Bereits Platon sagte: „Man muss frei bestrafen können, wenn das Recht es verlangt, auch Sklaven, und man darf sie nicht damit hätscheln, dass man sie, wie die Freien, nur rügt. Jedes an einen Sklaven gerichtete Wort muss in der Regel ein Befehl sein.“ Es kann als allgemeines Prinzip zu allen Zeiten gesehen werden, dass umso mehr Gewalt an einem Menschen ausgeübt werden durfte, desto abhängiger er war. Je weniger frei er war, desto symptomatischer war es, körperliche Gewalt als Zwangs- und Disziplinierungsmaßnahme anzuwenden.
Spätestens während des Römischen Kaiserreichs begann man, das Recht der Herren, ihre Sklaven uneingeschränkt und willkürlich zu züchtigen, zu beschneiden. Vor allem wurde der grundlos (sine causa) brutale Umgang mit den Sklaven verurteilt. In diesem Zusammenhang begann man, das vorsätzliche und grundlose Töten der Sklaven immer mehr als Mord zu behandeln, wohingegen der Tod eines Sklaven infolge begründeter Hauszucht nicht als Verbrechen klassifiziert wurde. Auf jeden Fall blieben die Grenzen der Gewalt, die für die Disziplinierung der Sklaven angewendet wurde und noch im Rahmen eines harmonischen Verhältnisses zwischen Herr und Sklave lag, viel weiter gesteckt, als es die Gutsherren im frühneuzeitlichen Gutsherrentum jemals über ihre Leibeigenen erreicht haben.
Der Zweck der Hauszucht
In Estland und Livland begründete der Adel die Notwendigkeit der Hauszucht auf dem Gutshof vor allem mit dem Bedürfnis, einerseits die allgemeine Ordnung zu gewährleisten und andererseits Bauern zum Gehorsam zu zwingen, was sowohl die Ausführung der Befehle des Gutsherren als auch der vorgesehenen Pflichten bedeutete. Nach allgemeiner Rhetorik war es auch notwendig die Bauern mit der Rute anzutreiben, denn würde man nachlassen, würden sie anfangen zu rebellieren oder auf andere Weise übermütig zu werden, was in ihrem Wesen liege. Bereits der Chronist Johann Renner begründete in seiner livländischen Geschichte die Notwendigkeit, die Bauern zu prügeln, wie folgt: „Hätte es einen solchen Zwang nicht gegeben, dann hätten sie die Deutschen (von denen es im Land zahlenmäßig weniger gab als sie selbst) alle umgebracht“. Solche Erklärungen brachten in Bezug auf die livländischen Bauern auch mehrere Autoren von Reiseberichten des 17. Jahrhunderts vor. Zum Beispiel bemerkte Jan J. Strauss (Struys) zum brutalen Umgang mit den Bauern in Livland, dass, würde man mit diesem Volk milder umgehen oder die Regeln und Gesetze gar abschaffen, dies im Land womöglich ein großes Durcheinander und Streit zur Folge hätte.
Die unabdingbare Aufgabe des Gutshofs, streng auf die eigene bäuerliche Bevölkerung aufzupassen, ergab sich laut Adel auch aus dem beständigen Wunsch der Bauern zu fliehen. Wiederholt betonten die livländischen Gutsherren, dass der mildere Umgang mit den Bauern eine Entvölkerung des Lands mit sich bringen würde. Dies wurde im Jahr 1727 von den in Livland residierenden Landräten festgestellt: „Die alltägliche Erfahrung und unzählige Beispiele bestätigen, dass die Leibeigenen wie Sklaven (die Leibeigene als Sclaven) sehr zur Flucht neigen, so wie auch unsere livländischen Erbbauern, die, solange sie still und mild regiert werden, trotzdem die Gewohnheit haben, aus Übermut zu fliehen.“
Im Allgemeinen war der Adel einer Anwendung der Hauszucht gegenüber den Bauern war sehr zugeneigt. In den Quellen herrscht eine beständig frustrierte Haltung der Gutsherren gegenüber den eigenen Bauern vor. Diese bereiteten den Gutsherren Kopfschmerzen mit ihrer angeblichen Widerspenstigkeit und Verlogenheit, ihrem unzureichenden Gehorsam, ihrer Faulheit und Undankbarkeit – ganz abgesehen von den Fällen, in denen sie flohen, Widerstand leisteten, bei Behörden „haltlose“ Beschwerden einreichten oder die vorgesehenen Abgaben nicht rechtzeitig zahlten. All dies ließ sich in den Augen der Gutsherren vor allem mit Prügeln korrigieren. Die Auffassung war verbreitet, dass die Bauern angetrieben werden müssen, da sie sonst überhaupt nichts tun, sondern nur faulenzen, trinken und die Ordnung stören würden. Nur unerbittliche Härte und strenge Ordnung besäßen die Kraft, die Bauern bei Folgsamkeit und Leistungsfähigkeit zu halten. Diese grundlegenden Standpunkte zur Notwendigkeit der Anwendung der Hauszucht gegenüber den Bauern hielten sich in den Erklärungen des baltischen Adels mehr oder weniger unverändert mindestens vom 16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Dem Standpunkt der Gutsherren zufolge war es vollkommen begründet, einen Bauern auch nur für den kleinsten Widerspruch körperlich zu bestrafen. Noch mehr ärgerten sich die Gutsherren über die Dreistigkeit der Bauern, bei den Behörden Beschwerden einzulegen. Als etwa der Bauer Matte Hans aus Gaujiena/Adsel sich bei dem livländischen Generalgouverneur über die seiner Meinung nach ungerechte Strafe von 18 Paar Rutenschlägen beschwerte, antwortete der Gutshofpächter, dass dieser Bauer in Wirklichkeit nur drei Paar Ruten im Rahmen der Hauszucht (Hausdisciplin) bekommen habe, was im Einklang mit den Anordnungen sowohl des Erbherren als auch mit denen des Landrichters stünde. Tatsächlich habe dieser Bauer aber eigentlich viel mehr Ruten verdient, um seine Verlogenheit und seinen Hochmut zu vertreiben. Bei Beschwerden der Bauern versuchten die Gutsherren immer zu beteuern, dass die Bauern niemals unbegründet bestraft worden seien. Als ein Bauer aus Nehatu im Jahr 1695 sich bei den Behörden beschwerte, dass der Gutshofpächter ihn vor einigen Jahren „ohne Grund“ auf dem Gutshof so brutal habe schlagen lassen, dass er mit einem Ochsen nach Hause gefahren werden musste, stritt der Pächter Feurich Fersen dies ab – er habe „seinen Pachtbauern niemals ohne Grund Strafen auferlegt“.
Im Quellenmaterial finden sich nur wenige Beschwerden von Bauern über die Ausübung der ordentlichen Hauszucht auf dem Gutshof. Man beschwerte sich einfach nicht über jede körperliche Züchtigung. Bauern erwähnten die Bestrafung im Zuge der Hauszucht meistens nur in den Fällen, bei denen sie das Maß überschritten hatte oder wenn sie die auferlegte Strafe als ungerecht wahrnahmen. Beispielsweise beschrieb der Pastoratsbauer Jahn Kalnensch aus Burtneck/Astijärve im Jahr 1696 die Hauszuchtpraktiken des Pastors Johann Friedrich Buchmann als besonders drastisch. Der Bauer fand es ungerecht, dass sein jüngerer Sohn nur dafür erbarmungslos geprügelt wurde, weil er die Pferde, auf die er hätte aufpassen müssen, kurz ohne Aufsicht gelassen hatte. Es war nämlich während der Gemeinschaftsarbeit üblich, dass zwei Bauernjungen bei den Pferden bleiben mussten, um auf sie aufzupassen. Angeblich war der Sohn des Bauern aber gerade in dem Augenblick weggegangen, um etwas zu Trinken zu besorgen, als auch der zweite Junge für eine kurze Zeit den Wachposten verlassen hatte, was der Pastor mitbekommen hatte. Den Pferden sei nichts passiert.
Die Bauern hatten allerdings keine genauen, vom Gutshof ausgegebenen Vorschriften, deren Nichtbeachtung eine Strafe im Rahmen der Hauszucht nach sich gezogen hätte. Eine solche „Hausordnung“ war vielmehr spürbar und selbstregulierend. Im Jahr 1649 schrieb Erik Oxenstierna in Bezug auf seinen livländischen Besitz, dass zur Hauszucht Strafen gehören, die man den Bauern wegen nachlässiger Arbeit, Ungehorsamkeit und nicht bezahlter Abgaben auferlegen muss. Dem Gutsverwalter war es aber untersagt, die Bauern für Schlägereien untereinander mit strenger körperlicher Züchtigung oder mit Geldstrafen zu bestrafen. Bei letzteren Fällen musste der Obmann versuchen, die Beteiligten zu versöhnen oder im äußersten Fall das Geschehen dem Landgericht übergeben. In einer im 17. Jahrhundert dem Gutsverwalter von Rasik/Raasiku ausgehändigten, nicht datierten Instruktion wurde verlangt, dass ein Bauer, der einen Verstoß begangen hatte und im Rahmen der Hauszucht bestraft wurde, unbedingt auf dem Gutshof und nicht auf seinem Bauernhof (offensichtlich zwecks Öffentlichkeit) bestraft werden musste (auf dem Hofe straffen, durchaus nicht in seinem Gesinde). Gleichzeitig musste aber die körperliche Züchtigung die bevorzugte Bestrafungsart sein, die nicht durch Geldbußen oder die Wegnahme von Tieren ersetzt werden durfte. Auch die Behörden verlangten im 17. Jahrhundert, dass dieses Prinzip eingehalten wird. Als sich beispielsweise im Jahr 1699 ein Bauer aus Torgel/Tori beim Generalgouverneur beschwerte, dass der Gutspächter ihm drei Mal wegen kleiner Verstöße (z.B. soll er auf einer Hochzeit gewesen sein und es deshalb nicht so schnell wie verlangt zum Gutshof geschafft haben) ein Schaf weggenommen habe, forderte der Kreisvogt nachdrücklich dessen Rückgabe: „[W]eil es unerlaubt ist von einem Kronbauern wegen seiner Ungehorsamkeit Herdentiere wegzunehmen, sondern er dafür die gewöhnliche Hauszucht bekommen muss (mit gewöhnlicher Hauß disciplin), ist pr. Assessor verpflichtet dem Beschwerdeführer diese drei Schafe zu restituieren.“
Als gewöhnliche Hauszucht auf dem Gutshof muss auch die unmittelbare Ausübung von Zwang auf die Bauern seitens der Obmänner und insbesondere der Gutsvögte verstanden werden, bei der es öfters zur Anwendung von körperlicher Gewalt kam. Die Aufgabe des Gutsvogts bestand bekanntlich besonders darin, darauf aufzupassen, dass den vorgesehenen Verpflichtungen und dem Frondienst nachgekommen wurde. Wenn er jemanden fand, der nicht fleißig genug arbeitete, durfte er ihn schlagen. Beispielsweise kam der Gutsvogt von Samhof/Päidla, Clas Hollande, im Jahr 1696 auf das Feld des Guts, um den Fronarbeitern bei der Frühjahrssaat zuzuschauen. Einer der Fronarbeiter pflügte aber das ihm zugemessene Stück Land nicht so wie vorgesehen. Daraufhin habe der Gutsvogt ihn ermahnt, besser zu pflügen, wenn er nicht geschlagen werden wolle (du Allter pflüge beßer oder du wirst schlägen kriegen). Der Mann aber habe genauso schlecht weitergepflügt, woraufhin der Gutsvogt ihn zunächst zwei Mal mit einer Peitsche mit eiserner Spitze über die Schultern geschlagen habe infolgedessen er auf sein Gesäß gefallen sei. Als er ihn dann aber das dritte Mal geschlagen habe, sei der Fronarbeiter sofort aufgestanden und habe den ganzen Tag lang gepflügt. Als im Jahr 1682 der Bauer Mart Kurroko aus Pastfer/Paasvere den Gutsvogt angriff, weil dieser seinen Sohn geschlagen hatte, erklärten die als Zeugen hinzugezogenen Bauern, dass der Gutsvogt den Jungen so geschlagen habe, wie sein Amt es ihm erlaubte (wie sein Ampt sey). Ebenso haben auch Gutsverwalter wegen Ungehorsam und bei der Gutsarbeit Schläge (z.B. mit dem Stock) an die Bauern ausgeteilt. Beispielsweise bekam laut Zeugenaussagen der Bauer Jürri Sarrika aus Kurrista/Kurista vom Gutsverwalter mehrere Schläge mit einem Fassband auf den Kopf und gegen die Geschlechtsteile, weil er zu spät zum vorgesehenen Wachdienst auf den Gutshof kam.
Überschreitung der Grenzen der Hauszucht
Sowohl in den Gerichtsunterlagen des 17. Jahrhunderts als auch in den Beschwerdebriefen der Bauern an die Behörden kommen zahlreiche Darstellungen über den grausamen Umgang mit den Bauern in den Gutshöfen zum Vorschein, der in keiner Weise im Rahmen der erlaubten Hauszucht stand. Sogar glühende Apologeten der paternalistischen Leibeigenschaft hielten über alle Maßen brutale Schläge oder gar das Foltern bis zum Tode für nicht akzeptabel. Sie betonten aber, dass nicht alle Gutsherren Tyrannen seien, sondern einzelne Gutsherren leider ihre Macht missbrauchen. Am Anfang des 19. Jahrhunderts gab der leidenschaftliche Verteidiger der leibeigenschaftlichen Ordnung Hermann Friedrich Tiebe zu, dass es unter den Adeligen tatsächlich tyrannische und barbarische Gutsherren gebe, die mit ihrer Grausamkeit und Gewalt jegliche Grenzen überschreiten, man aber dennoch die Verbrechen einzelner Gutsherren nicht auf den ganzen Adel übertragen sollte. Von solchen Rohlingen kämen in Livland drei bis vier im Laufe von zwanzig Jahren vor. Also hieß der Adel, zumindest auf dem Papier, den gewalttätigen, die gewöhnliche Hauszucht überschreitenden Umgang mit den Bauern nicht gut.
In Estland und Livland war es in keiner Weise akzeptiert, Bauern durch Folter zu bestrafen oder im Rahmen der Hauszucht durch Folter zu disziplinieren. Das heißt, dass das direkte Foltern der Bauern als Straf- und Zwangsmaßnahme, so wie es zum Beispiel im amerikanischen Sklavenhaltertum vorkam, in Estland und Livland normalerweise nicht praktiziert wurde. Auf jeden Fall fehlen dazu nähere Beweise, wenn man qualvolle Gefängnisstrafen, die Fesselung mit Stock o.ä. außer Acht lässt. Im Jahr 1693 wurde eine Anklage im Revaler/Tallinner Burggericht eingereicht, laut welcher der Gutsverwalter von Erwita/Ervita, Peter Triebener, zusammen mit dem Gutshofkoch zwei örtliche Bauern misshandelt haben soll, weil diese verdächtigt wurden, im Gutshofstall und -speicher Diebstähle begangen zu haben. Nicht nur wurden diese Bauern waren auf den Gutshof gebracht und über sieben Wochen lang im kalten Gefängnis festgehalten worden, außerdem sollen der Gutsverwalter und der Koch ihre Hände wiederholt auf dem Rücken festgebunden, sie mit dem Rücken nach vorne an den Händen aufgehängt und geschlagen haben. Beide Bauern stritten aber ihre Schuld an den Diebstählen gänzlich ab. Schließlich habe man die Häftlinge an einem Abend (Mariä Lichtmess 1693) erneut aufgehängt, so dass sie nicht liegen, sitzen und auch nicht schlafen konnten. Diesmal wurden sie sowohl vom Gutsverwalter als insbesondere auch vom Koch mit großen Holzscheiten geprügelt. Beim Verlassen hätten diese dem Wachknecht des Gutshofs befohlen, auf die beiden Aufgehängten aufzupassen. Während aber die Gutshofwache woanders hingegangen war, starb zunächst einer der Bauern, und wäre der Wachknecht nicht rechtzeitig zurückgekommen und hätte den anderen, bereits steifen und bewusstlosen Bauern heruntergeholt und mit Wasser erfrischt, dann wäre auch dieser gestorben. In seiner Anklage nannte der estländische Fiskal Johan Christoph Droummer diese Haft und Folter, die mit dem Tod eines Bauern geendet hatte, „außerordentlich und unerhört“ (extraordinaire und nicht erhöret) und forderte für beide eine Gerichtsstrafe. Ob sich die Bauern tatsächlich des Diebstahls schuldig gemacht hatten und daher wenigstens nicht grundlos im Gefängnis saßen, hatte mit der Sache nichts mehr zu tun. Der Gutsverwalter Triebener verteidigte sich mit der Erklärung, er habe lediglich die Anordnung seines Herren, des Gutsherren, befolgt und bei der letzten körperlichen Züchtigung den Koch sogar ermahnt, nicht übermäßig zuzuschlagen.
Im Zusammenhang mit der Gewalt auf dem Gutshof erhoben die Bauern sehr viele Klagen über persönliche spontane Angriffe der Gutsherren. Es handelte sich dabei um eine Bestrafung, die im Rahmen der Hauszucht als grenzwertig gelten muss und die man auch als „spontane Gewalt der Gutsherren“ bezeichnen könnte. Diese war so verbreitet, dass es sinnvoll erscheint, sie als einen Typ der Strafmaßnahme des Gutshofs zu klassifizieren. Als Fälle von spontaner Gewalt lassen sich Vorkommnisse bezeichnen, bei denen der Gutsherr seinem Ärger Ausdruck verlieh, indem er den Bauern (vorwiegend mit eigener Hand) angriff und mit der Hand, einem Stock, einer Peitsche oder mit irgendeinem anderen Gegenstand, den er fand. Im Jahr 1699 beschwerte sich der Gutsvogt von Seidla sogar, dass der Gutsverwalter ihn mit einer Hellebarde angegriffen habe, was auch aus der Aussage des Gutsverwalters hervorgeht. In der Regel ereigneten sich solche Fälle während eines direkten Konflikts zwischen dem Gutsherren und dem Bauern. Wenn Bauern dem Gutsherren widersprachen, vorlaut oder nicht untertänig genug waren, konnte dies spontane Gewalt hervorrufen. Als etwa die Frau von Tönnies Thomasson aus Koitjärw/Koitjärve den Gutsherren, der sich gerade im Haus des Priesters aufhielt, wegen ihres Kind anflehte, bekam sie als Antwort auf ihre klägliche Bitte vom Gutsherren eine Ohrfeige. Es ist unwahrscheinlich, dass diese der Frau große Schmerzen verursachte, doch erschien die Handgreiflichkeit so ungerecht, dass man den Fall neben weiteren Beschwerden dem König vorlegen wollte. Andere Gutsherren hetzten auch Hunde auf Bauern, die mit Bitten zum Gutshof kamen. Natürlich hätten solche Gutsherren eigentlich schon durch ein Gefühl der eigenen Würde im Zaum gehalten werden müssen, das auch die Quelle ihrer Autorität hätte sein können. Tatsächlich aber waren die Bauern offenbar sehr leicht in der Lage, die Gutsherren so sehr außer sich zu bringen, dass sie ihre Autorität mit Angriffen auf sie zu wahren versuchten.
Am häufigsten finden sich Beschwerden von Bauern aber gerade über die Gutsverwalter, sowohl bezüglich spontaner Gewalt als auch überhaupt ihres allgemein brutales Verhaltens Der Kontakt der Bauern mit dem Gutsverwalter war natürlich viel direkter und alltäglicher als mit den Erbherren oder Pächtern. Im Jahr 1684 äußerte der Bruder des Bauern Hans Karibergi aus Nappel/Nabala vor der königlichen Untersuchungskommission die Überzeugung, dass der Gutsverwalter seinen Bruder Hans mit einer Karbatsche (mit der Carbatschen, welche am Ende mit eißernen Nageln durchgeschlagen gewesen) nicht totgeschlagen habe, weil er sich wegen eines gestohlenen Pferdes beschwert habe, sondern deshalb, weil der Gutsverwalter einen „alten Groll“ ihm gegenüber hatte.
Doch auch Adelige und Erbherren griffen mitunter spontan zu unerlaubter Gewalt, wenn sie mit den Bauern unmittelbar zusammentrafen. Beispielsweise erklärte Hinrich von Völckersahm im Jahr 1692 dem Revaler/Tallinner Burggericht, warum er derart außer sich geraten war, dass er sogar das Schwert gegenüber einem Bauern gezogen hatte. Der Sohn des Bauern Tomas Weski habe nämlich vor der Petrikirche in Anwesenheit seiner Knechte und vieler anderer „ohne jeglichen Grund“ niederträchtige Scherze über ihn gemacht, ihn mit ausgedachten Spitznamen verspottet und seinen ehrlichen Namen gedemütigt. Als ihm dies an Ort und Stelle mitgeteilt worden war, habe er ihm zunächst mit einem Stock ein paar Schläge gegeben und „um andere einzuschüchtern“ ein Mal mit der flachen Seite des Schwertes geschlagen, aber nicht zugestochen.
Andererseits führte die Verärgerung eines Gutsherren nicht immer zu körperlicher Gewalt. Viele Aussagen von Bauern beschreiben auch Drohungen, Erniedrigungen und Beschimpfungen, die sie durch den Gutsherren erlitten, weil sie sich an ihn gewandt oder im Gutshof um etwas gebeten hatten. Es handelte sich dabei um so genannte mündliche oder psychische Gewalt an Bauern. Die Drohungen eines Gutsherren sind eindeutig ein Teil der Gewalt von Seiten des Gutshofs, der nicht unmittelbar im Rahmen der paternalistischen Hauszucht lag. Gutsherren beschimpften Bauern, die in Ungnade gefallen waren, drohten, sie den Hunden oder Schweinen vorzuwerfen, ihnen mit der Pistole in den Kopf zu schießen, sie mit dem Schwert zu durchbohren oder sie in Ketten zu legen. Beispielsweise beschwerte sich der alte Müller Pertil Loba im Jahr 1684, dass der Gutsverwalter gedroht hatte, ihn ins Halseisen zu legen und zu peitschen, falls er nicht in der Lage wäre, die vorgesehenen Fronarbeiter zum Gutshof zu schicken. Der Gutsverwalter habe nämlich eines Tages von ihm ganze fünf Fronarbeiter verlangt, er aber habe auf dem Bauernhof nur vier arbeitsfähige Männer gehabt. Daraufhin habe der Gutsverwalter ihm ein „Halseisen (ein Halßeißen) nach Hause geschickt, mit dem er sonst Diebe bestraft“, und gedroht, ihn zu verhaften, wenn er den fünften Fronarbeiter nicht zur Verfügung stellen könne. Die Drohungen aus dem Gutshof wurden von den Bauern tatsächlich gefürchtet und hatten Beschwerden zur Folge, welche die Angst vor dem Zorn des Gutsherren und den möglichen brutalen Strafmaßnahmen zeigen.
Fälle von Totschlag
Ein klarer Zug der osteuropäischen Leibeigenschaft war das fehlende Recht der Gutsherren, ihre Leibeigenen zu töten oder zum Tode zu verurteilen. In Kurland untersagten die von einer polnischen Kommission im Jahr 1617 verfassten Statuten, die die hauptsächliche normative Grundlage für die Leibeigenschaft der Bauern wurde, dem kurländischen und semgallischen Adel eindeutig die Bestrafung der Leibeigenen mit der Todesstrafe. Auch in Estland und Livland hatten die Gutsherren nicht das Recht, ihre Bauern zu töten oder zum Tode zu verurteilen. Dennoch war dieses Verbot in keinem Gesetzesakt direkt ausformuliert. In der Deklaration aus dem Jahr 1739 erklärte Baron von Rosen, dass die Ritterschaft, als die Privilegien von Sigismund August und Karl IX. die vollkommene Hoheit des livländischen Adels über Zivil- und Manngerichtsbarkeit zugesichert hatten, „aus eigenem freien Willen“ auf dieses Recht über ihre Bauern verzichtet habe. Das Recht, die Todesstrafe zu verhängen, ging sowohl bezüglich der Kron- als auch der Privatgüter auf die Krongerichte über. Astaf von Transehe-Roseneck erwähnt, dass mit dem Anfang der schwedischen Regierungszeit, genauer mit dem Landgerichtsreglement aus dem Jahr 1632, erstmalig Einschränkungen in der Zivil- und Kriminalgerichtsgewalt für die livländischen Gutsherren fixiert wurden und das für die Gutsherren bisher gültige jus vitae ac necis abgeschafft wurde. Leider ermöglicht es das estländische und livländische Quellenmaterial des 17. Jahrhunderts nicht, ausreichend klar darzulegen, ob und inwiefern der Adel das Erschlagen eines Bauern tatsächlich verurteilte, oder ob er doch auch hier gerne die höchste Machtvollkommenheit über seine Leibeigenen innegehabt hätte.
Während in Rom und Amerika bei der Untersuchung der Tötung eines Sklaven der Aspekt wichtig war, ob diese bloß aus böser Absicht (malo animo) begangen worden, oder der Bauer als Folge der Bestrafung bona fide gestorben war (beides war kaum nachweisbar), ging es in Estland und Livland bei den Gerichtsdebatten fast nie darum, ob der rohe Umgang, der den Tod zur Folge hatte, mit oder ohne Grund stattgefunden hatte. Seitens des Gerichts wurde zwar darauf geachtet, ob die Bauern infolge der Hauszucht (während der Bestrafung) gestorben waren, oder ob es sich um eine direkte Ermordung handelte, aber dies unter dem Gesichtspunkt, ob es sich um eine vorsätzliche Tötung handelte. Katrin Kello hat darauf hingewiesen, dass der Rechtsanwalt des Gutsherren Overlach im Jahr 1792 im Kreisgericht von Wesenberg/Rakvere deklarierte, es sei in Estland nicht möglich, römisches Recht anzuwenden, weil die Gutsherren kein Recht haben, ihre Leibeigenen zu töten – das Leben eines Leibeigenen unterliege denselben Gesetzen wie das eines Freien.
Aus Sicht des Staates war die Tötung eines Bauern zweifellos eine Straftat. Dennoch waren in der estländischen und livländischen Gerichtspraxis des 17. Jahrhunderts die Strafen, die für Tötungen (insbesondere für nicht vorsätzliche Tötungen) von Bauern verhängt wurden, eher mild oder indirekt. Im 17. Jahrhundert war für die Tötung gewöhnlich die Todesstrafe vorgesehen. Es ist aber nicht bekannt, dass in Estland und Livland im 17. Jahrhundert ein Gutsherr für die Tötung eines Bauern hingerichtet worden wäre. Als der extremste Fall kann der des Oberstleutnants Gustav von Knorring aus dem Jahr 1664 angesehen werden, der vom Gericht zum Tode verurteilt wurde, weil er einen seiner Pachtbauern erschossen hatte. Knorring ergriff daraufhin die Flucht, während seine Frau Barbara von Hülßen den König um Gnade bat. Die Vormundschaftsregierung Karls XI. kam dieser Bitte nicht sofort nach, sondern forderte den estländischen Generalgouverneur Bengt Hornauf, die Umstände weiter zu klären und die Beteiligten (der Kläger war offenbar der erbliche Besitzer des Pachtgutshofs) bestmöglich miteinander zu versöhnen. Wahrscheinlich wurde Gustav von Knorring schließlich begnadigt, denn in estländischen Gerichtsmaterialien zu zivilrechtlichen Fällen tritt er noch am Ende der 1660er Jahre und in den 1670er Jahren in Erscheinung.
Wenn Gutsherren im 17. Jahrhundert wegen der Gewaltanwendung an Bauern bestraft wurden, dann meist mit Geldstrafen. Am eindeutigsten waren die Fälle, bei denen der Gutsherr einen fremden Bauern totgeschlagen hatte. Zum Beispiel verhängte das estländische oberste Landgericht im Jahr 1652 über Gustav Helffreichten eine Geldstrafe über 80 Reichstaler, darüber hinaus musste er einem fremden Bauern, der durch ihn zu Schaden gekommen war, 15 Reichstaler Schmerzensgeld zahlen. Helffreichten wurde zur Last gelegt, auf seinem Ross auf den Hof des Bauern Joachim (der zum Gut des Grafen Leonhard Terßensohn gehörte) vorgedrungen zu sein und ihn im Laufe der dabei entstandenen Rangelei „blau und braun“ geprügelt zu haben.
Gutsherren wurden auch wegen der unmittelbaren Tötung eigener Bauern vor Gericht schuldig gesprochen. Beispielsweise verhängte das estländische höhere Landgericht im Jahr 1704 dem Gutsherren von Kandel/Kandle, Heinrich zur Mühlen, eine Strafe über 20 Reichstaler zugunsten der Kirche von Haljall/Haljala (neben 15 Reichstalern zur Deckung der Gerichtskosten), weil er den Gutshofknecht Jahn mit der Pistole tödlich verletzt hatte. Die geringe Strafsumme begründete das Gericht damit, dass es sich nicht um eine vorsätzliche Tötung (homicidio voluntario), sondern vielmehr um Selbstverteidigung und die Wahrung der Ordnung handelte.
Viel komplizierter aber waren Fälle, bei denen das Opfer infolge der Prügelstrafe verstorben war. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Bestrafung im Rahmen der Hauszucht nicht von den Gutsherren selbst vollgezogen wurde, sondern von Bauern und Gutshofbeamten. Wenn es sich nicht um eine direkte Tötung handelte, konnte der Gutsherr für den Tod eines Bauern infolge der Hauszucht also fast unmöglich verurteilt werden. Vielmehr galt der Ausführende als Schuldiger, dem der Gutsherr kaum unmittelbar befohlen hatte, den Leibeigenen im Rahmen der Hauszucht umzubringen oder zu Tode zu prügeln. Die Vollstrecker der Hauszucht waren vor allem Gutsvögte oder -knechte. Aus einem Ermittlungsprotokoll zu Beschwerden der Kronbauern von Allenküll/Türi-Alliku aus dem Jahr 1701 geht hervor, dass die körperliche Züchtigung von dem Schuster und dem Stallmeister des Gutshofs vollzogen wurde. Manchmal führte jedoch auch der Gutsverwalter die Prügelstrafe durch. Laut einer Beschwerde des Bauern Jahn Wastetallo aus Suislepa wurde er zum Teil vom Gutsverwalter, zum Teil vom Untervogt und zum Teil vom damaligen Stallmeister Peter Anders Ronni geschlagen. Jedenfalls zeigt die estländische und livländische Gerichtspraxis des 17. Jahrhunderts, dass die hauptsächliche Anklage für eine maßlose Hauszucht unmittelbar gegen ihren Vollstrecker erhoben wurde. So verurteilte etwa das Dorpater/Tartuer Landgericht im Jahr 1696 den Gutsvogt des zum Gutshof Rewold/Reola gehörenden Hofes Ucht/Uhti, Hans Keiko, zur Todesstrafe durch Enthauptung, weil er durch übermäßige Hauszucht (durch überschrittene Haußdisciplin) einen Bauer desselben Gutshofs totgeschlagen hatte, der aus dem Gut einige Ochsen gestohlen hatte. Allerdings hatte der Gutsherr das Urteil über die körperliche Bestrafung gefällt, nachdem der Bauer in den Gutshof gebracht und die Umstände geklärt worden waren. Das Landgericht fand aber, dass der Gutsvogt beim Vollzug der Züchtigung den Befehl des Gutsherren eindeutig überschritten hatte, so dass der Bauer, der früher stark und bei guter Gesundheit gewesen sei, infolge des sehr brutalen und wiederholten Prügelns verstorben war.
Noch weniger konnten die Gutsherren in jenen Fällen beschuldigt werden, bei denen die Gutsvögte alleine gehandelt hatten und ohne direkten Befehl aus dem Gutshof, aber ihren Amtspflichten entsprechend, die Bauern mithilfe von Gewalt diszipliniert hatten. Beispielsweise hat der Gutsvogt Abraham vom Gutshof Arroküll/Aruküla (Rasik/Raasiku) im Jahr 1697 Hans Unita, um ihn zum Frondienst zu zwingen und wegen seines Ungehorsams mit einem Stück Holz (mit einen Stück Holtze) geschlagen, weil er trotz zweier Aufforderungen nicht zur Arbeit erschienen war. Zwölf Tage später starb der Bauer infolge der Schläge. Vor dem Revaler/Tallinner Burggericht beteuerte der Gutsvogt, dass er für die Bestrafung von Hans Unita sicher Grund gehabt habe (zur Straffen Uhrsache gehabt). Da der Gutsvogt zwar tatsächlich seiner Amtspflicht nachgekommen war, dies aber mit unerlaubten Zwangsmaßnahmen gemacht hatte, verhängte das Revaler/Tallinner Burggericht über ihn eine Strafe von 50 Silbertalern, die das Gericht einen Monat später auf Antrag des Gutsherren von Rasik/Raasiku, des Rittmeisters Gustaf Adolph Nieroth, durch 20 Paar (d.h. mindestens 60-80 Schläge) Ruten ersetzte. Generell aber versuchten die Gutsherren, sich klar von den Taten der Gutsvögte zu distanzieren und verteidigten sie vor Gericht nicht.
Wenn der Gutsherr aber dem brutalen Totprügeln eines Bauern tatsächlich zugeschaut hatte, konnte auch er für das Verbrechen angeklagt werden. So wurde zum Beispiel im Jahr 1697 auf Saaremaa der Pächter (Eigentümer vor der Reduktion) des Gutshofes Reino/Schwanenhof/Reinu, der Rittmeister Treyden, zusammen mit dem Gutsvogt angeklagt, da er der Bestrafung des Bauern Hans Michele zugeschaut hatte (in seiner Gegenwart so schlagen u. prügeln laßen), der zwei Wochen später verstorben war.
Obwohl es für die Gutsherren leicht war, sich einer ernsthafteren Verantwortung für die tödlichen Gewalttaten zu entziehen, scheuten sie die Unannehmlichkeiten, die eine Anklage mit sich brachte. Beispielsweise floh der Gutsverwalter von Kurrista/Kurista, Mangus Lund, im Jahr 1695 nachdem er einen Bauern totgeschlagen hatte, sofort von dem Gutshof, versteckte sich in der Nachbarschaft und schaffte sein Vermögen und seine Tiere zu einem Kavalleristen, der nicht weit vom Gutshof wohnte. Später soll der Gutsverwalter zu der Ehefrau und den zwei kleinen Kindern des umgekommenen Bauern gekommen sein, um sie auf Knien im Namen Gottes darum zu bitten, in dieser Sache zu schweigen und ihn nicht auszuliefern. Dafür versprach er ihnen angeblich 20 Reichstaler, 10 Tonnen Roggen und eine der besten Kühe. Wegen der zu jener Zeit herrschenden großen Missernte habe die Frau bereits vor dem Gerichtsverfahren auch zwei Scheffel Roggen angenommen.
Man kann auch andere Fälle finden, in denen die Gutsherren versuchten, ihre Übergriffe wiedergutzumachen oder die Angehörigen des Opfers mit Geschenken zu bestechen, damit diese die Tat nicht anzeigten. Im Jahr 1704 gab der Gutsverwalter von Haakhof/Aa, Detleff Moderus, vor Gericht zu, dass er drei Jahre zuvor während einer Auseinandersetzung auf der Dorfstraße den Bauern Jaak Lallo aus dem benachbarten Gutshof Sackhof/Saka zunächst mit der Peitsche und dann mit dem Schwert schwer verletzt hatte, allerdings deshalb, weil der Bauer vorher ihm gegenüber zugegeben hatte, dass er mit dem Diebstahl von Roggen auf dem Gutshoffeld im vorangegangenen Herbst und von Eisen aus dem Gutsgebäude von Haakhof/Aa zu tun gehabt hatte. Außerdem habe Jaak Lallo ihn angeblich mit einem Stock und einem Messer angegriffen. Nach der Verletzung des Bauern habe Moderus am nächsten Abend einen deutschen Tischler zu ihm geschickt, um die Sache zu klären, woraufhin der Tischler ihm mitgeteilt haben soll, dass der Bauer zwar eine Schlagwunde am Kopf habe, diese aber wahrscheinlich heilen werde, insbesondere wenn man ihm dazu etwas Wein und Zucker schicken würde. Moderus entsprach diesem Ratschlag und schickte auch aufs Neue den Tischler, der die Wunden von Jaak Lallo wusch und verband, doch verstarb dieser am Ende dennoch. Mithilfe desselben Tischlers versuchte Moderus später das Gericht davon zu überzeugen, dass der Bauer seine Wunde eigenmächtig und nicht sorgfältig versorgt habe. Somit kann man dem Standpunkt von Elina Öpik zustimmen, dass die Gutsherren zwar Angst vor der gerichtlichen Verantwortung hatten, diese jedoch den „barbarischen körperlichen Terror“, der an den Bauern verübt wurde, nicht wesentlich bändigen konnte. In den Sklavenhaltergesellschaften (Rom, Amerika) wurden Verfahren bei Tötungsdelikten gegenüber Sklaven häufig dadurch behindert, dass die Beteiligten, die das Recht gehabt hätten, dem Herren gegenüber eine Anklage wegen Totschlags zu erheben, daran nicht genügend interessiert waren (andere Sklaven waren dafür nicht rechtsfähig und der Staat besaß weder ein solches Interesse noch die diesbezügliche Funktion). Dagegen wurden in Estland und Livland bereits im 17. Jahrhundert (insbesondere in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts) entsprechende Anklagen von anderen Bauern von den Gerichten akzeptiert. Die Beschwerden der Bauern sowohl über Todesfälle als auch über den brutalen Umgang wurden aufgenommen und weiter untersucht. Zum Beispiel wurde die durch den Gutsverwalter vorgenommene, tödlich ausgegangene Prügelstrafe für den Bauern Jürri Sarrika vom Gutshof Kurrista/Kurista (Kirchspiel Oberpahlen/Põltsamaa) im Jahr 1696 von zwei Bauern des Gutshofs Oberpahlen/Põltsamaa, die sich als Blutsfreunde (Blutsfreund) von Jürri Sarrika bezeichneten, beim Dorpater/Tartuer Landgericht angezeigt. Ohne das Handeln dieser Bauern wäre der Fall aber nicht untersucht worden, obwohl der Gutshof Kurrista/Kurista ein Krongut war, wodurch auch die Staatsbehörden Gelegenheit gehabt hätten, sich zur Verteidigung staatlicher Interessen mit Angelegenheiten der Bauern ans Gericht zu wenden.
Während die Gerichte im Falle von Bestrafungen mit tödlichem Ausgang für die Bauern den Motiven für die Strafe kaum Aufmerksamkeit schenkten (obwohl auch diese untersucht wurden), war man juristisch viel mehr daran interessiert, ob die Bauern tatsächlich infolge der körperlichen Züchtigung gestorben waren. Als sich beispielsweise eine Frau aus dem Gutshof Oberpahlen/Põltsamaa im Jahr 1672 beim Dorpater/Tartuer Landgericht darüber beschwerte, dass der Gutsverwalter ihren Mann so brutal schlagen ließ, dass er am elften Tag starb, befand das Landgericht nach der Verhandlung, dass der Gutsherr die Hauszucht dennoch nicht überschritten hatte. Denn der bestrafte Bauer hatte nach den Prügeln noch gearbeitet und war am Pfingstfest sogar in die Kirche gegangen, sei also offenbar an etwas anderem gestorben. Schließlich soll auch betont werden, dass unter den durch die Gewalt vonseiten der Gutshöfe schwer verletzten oder gestorbenen Bauern die Männer deutlich in der Mehrzahl waren. Die extrem brutale Bestrafung oder Verfolgung von Frauen kam viel seltener vor, was wahrscheinlich damit zusammenhing, dass die Rolle der Frauen und ihre Kontakte zum Gutshof anders waren. Dennoch kann man im Gerichtsmaterial auch auf einzelne Beschwerden von verwitweten Männern stoßen, die sich bei den Behörden beklagten, dass ihre Frauen im Gutshof totgeschlagen wurden.
Zusammenfassung
Die körperliche Disziplinierung und Bestrafung der Bauern war eine Form der Kommunikation zwischen dem Gutshof und der bäuerlichen Bevölkerung. Dabei muss die Gewalt, die im Rahmen der Hauszucht vorkam, von jener unterschieden werden, die juristisch und sozial als unangemessen definiert und empfunden wurde. Denn der Gutsherr besaß nur das Recht, die Bauern für kleinere Vergehen im Rahmen der Hauszucht zu bestrafen oder ihnen eine Strafe aufzuerlegen. Sicher erlauben die Quellen des 17. Jahrhunderts nicht, von einer absoluten Machtvollkommenheit der privaten Gutsherren (ganz abgesehen von den Pächtern der Krongüter) über die Bauern zu sprechen. Wenn die Bauern im Rahmen der Hauszucht bestraft wurden, bedeutete dies, dass sie unabhängig von der Strafe kein Recht hatten, Berufung einzulegen. Mehr noch, der Strafverhängung musste keine Überführung, nicht einmal die Nennung von Gründen vorausgehen.
Gewiss hatten aber die estländischen und livländischen Bauern bereits im 17. Jahrhundert ein klares Appellationsrecht bei exzessiven Prügelstrafen. Beschwerden darüber konnten während des ganzen Jahrhunderts sowohl bei den Gouvernementsregierungen als auch bei den Gerichten eingereicht werden und wurden dort auch bearbeitet. Zahlreiche Gerichtsmaterialien beweisen, dass rechtlich und auch sozial Normen galten, bei deren Überschreitung von übertriebener Hauszucht und „Tyrannei“ gesprochen wurde. Die Tötung eines Bauern gehörte sicherlich dazu. Als ebenso eindeutig kriminell galt es, einen Bauern im alltäglichen Umgang mit dem Schwert zu stechen oder mit der Pistole zu verletzen, selbst wenn dies bei kleineren Handgemengen passierte.
Obwohl man die Gewalt an den Bauern nicht als eine allumfassende und alltägliche Erscheinung bezeichnen kann, unter der die Bauern ständig unvermeidlich leiden mussten, war die körperliche Gewalt (darunter die illegale) ein fester Bestandteil bei der Formung der Beziehungen zwischen dem Gutshof und den Bauern. Ungerechtigkeit und außerordentliche Gewalt von seiten der Gutshöfe waren die hauptsächlichen Themen der von den Bauern bei den Gerichten und Behörden eingereichten Beschwerden. Dies bedeutete seinerseits, dass die Staats- und Gerichtsgewalt sich andauernd in die Beziehungen zwischen dem Gutshof und der bäuerlichen Bevölkerung einmischte, um die Frage nach den Grenzen der Gewalt zu klären, und dass sie die Gutsherren für ihre Taten auch zur Verantwortung zog. Dies beeinflusste ohne Zweifel die leibeigenschaftlichen Beziehungen.
Andererseits war eine solche Schreckensherrschaft weitgehend im direkten Interesse der Gutsherren. Dies verheimlichte der Adel in seinen politischen Äußerungen auch nicht. Im Gegenteil, die Gutsherren argumentierten wiederholt, dass die bäuerliche Bevölkerung nur mithilfe der strengen Strafmaßnahmen bei ihren Verpflichtungen und bei ihren Herren gehalten werden könne. Ihre Rechte zur Bestrafung der Bauern im Rahmen der Hauszucht wurden vor dem Staat auf der höchsten politischen Ebene konsequent verteidigt.
Aus dem Estnischen übersetzt von Heli Rahkema, Bielefeld