Wie auch in Deutschland, so wird auch in Estland darüber debattiert, ob das Land gespalten sei - etwa zwischen der estnischsprachigen Mehrheit und der russischsprachigen Minderheit oder aber zwischen jenen Teilen der Gesellschaft, die mit den rasanten Transformationsprozessen nach 1991 Schritt hielten, und jenen, die das nicht vermochten, oder zwischen den dynamischen Städten und den ländlichen Gebieten, die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Abwanderung zu kämpfen haben. Ähnlich wie in Deutschland dienen dabei Begriffe wie etwa „moderner Liberalismus“, „political correctness“ oder aber „wokeness“ eher der Abgrenzung von politischen Gegnern als einer sachbezogenen Auseinandersetzung. Was aber bedeuten solche Begriffe im estnischen Kontext? Welche spezifischen Diskurse verbergen sich dahinter? Wie weit reichen die zu beobachtenden Spannungen? 

Das Nordost-Institut und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde haben zwei Experten eingeladen, um diese Fragen zu diskutieren und Einblicke in die gesellschaftlichen Debatten des baltischen Staates zu geben. Sie gaben einen Blick in die Geschichte, um die Spezifik und die Dimensionen der aktuellen Debatten verständlich zu machen. Es ging um das Erbe der sowjetischen Unterdrückung, ebenso wie um die Sorgen der Esten um ihre Sprache und um ihr Bewusstsein um die kleine Größe und die geografische Lage ihres Landes. Zugleich offenbarte die Beschäftigung mit diesen Fragen Probleme, die für unser Demokratieverständnis von grundsätzlicher Bedeutung sind - ab wann beispielsweise offenbart sich hinter der Meinungsvielfalt demokratischer Staaten eine gespaltene Gesellschaft? Welche Mechanismen vermitteln zwischen den divergierenden Weltsichten und wie kann die Politik eine solche Vermittlung unterstützen?

Unsere Gesprächspartner*innen:

Merit Kopli, Kulturattacheè an der Botschaft der Republik Estland und ehemalige Chefredakteurin der Zeitung Postimees, 

Vello Pettai, Politologe und Direktor des European Centre for Minority Issues in Flensburg, 

Das Gespräch wurde von David Feest moderiert.