Risse im „Eisernen Vorhang“:
Internationaler Tourismus und KGB
(am Beispiel der Litauischen SSR)
Der Bericht wurde im Juli 1989 von Mitarbeitern der für die Spionageabwehr zuständigen 2. Verwaltung des KGB der Litauischen SSR erstellt. Der als geheim eingestufte „Bericht“ wurde am 31. Juli 1989 unter der Nummer 19/2376 registriert. Bei dem vorliegenden Exemplar handelt es sich um die achte Abschrift des Dokuments. Aufgrund der niedrigen Geheimhaltungsstufe ist anzunehmen, dass der maschinenschriftlich auf Russisch verfasste „Bericht“ über die unmittelbare Führung des litauischen KGB hinaus für einen weiteren Kreis von Mitarbeitern bestimmt war. Das Dokument besteht aus mehreren Abschnitten: „Individuelle Privatreisen ins Ausland“, „Wissenschaftlich-technischer sowie Handels- und Wirtschaftsaustausch“, „Organisierter Tourismus“, „Eisenbahntransport und Sovtransauto“ sowie „Kultur- und Sportaustausch“. Angesichts des großen Umfangs wird der „Bericht“ in gekürzter Form auf der Homepage veröffentlicht.
Die umfangreiche Darstellung diente vor allem dem Ziel, die Mitarbeiter des KGB auf dem Höhepunkt der Perestroika mit den Besonderheiten der von den Organen der Staatssicherheit unter den neuen Bedingungen von Glasnost und demokratischem Wandel zu leistenden Aufgaben bekannt zu machen - einschließlich der Liberalisierungsprozesse bei den internationalen Kontakten und des Tourismus in der Litauischen SSR. Angesichts der sich verschärfenden ökonomischen Schwierigkeiten kam es zu erheblichen Preisanstiegen und zu einem erheblichen Mangel an Konsumwaren und Lebensmitteln, weswegen Angehörige der Nomenklatura und geschäftstüchtigen Sowjetbürger u.a. dadurch schnelle Gewinne machen konnten, dass man sich als Tourist mit ausländischen Waren eindeckte.
Parallel zu dieser Entwicklung nahm im Sommer 1989 vor allem innerhalb der Partei- und Staatsführung, der Wirtschaftsnomenklatur sowie des Polizei- und Militärapparats der Widerstand gegen die Perestroika zu. Mitte der 1980er Jahre ursprünglich als Instrument zur Schaffung einer künftigen sozialistischen Ordnung erdacht, wurde die Perestroika gegen Ende des Jahrzehnts immer mehr zu einem Instrument der Auflösung der bestehenden Ordnung.
Der KGB der Republik sah in der Entspannung des internationalen Klimas und der daraus resultierenden Ausweitung der grenzüberschreitenden Kontakte (im Bereich von Wirtschaft, Handel, Kultur, Wissenschaft und Tourismus) vor allem eine Entwicklung, die es den feindlichen Nachrichtendiensten erlaubte, ihre in der gesamten UdSSR und insbesondere in der Litauischen SSR ausgeübte Spionagetätigkeit zu intensivieren. Besondere Besorgnis riefen bei den Mitarbeitern des KGB zudem die in Litauen aktiven gesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen und insbesondere die „Litauische Reformbewegung“ („Sąjūdis“) hervor. Die Architekten der Perestroika sahen sich mit einem zunehmenden Kontrollverlust konfrontiert.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Mitarbeiter der 2. Verwaltung des KGB bei ihrer hier veröffentlichten Analyse die Entwicklung des internationalen Tourismus in der Republik und die Aktivitäten der Sąjūdis besonders herausstellten, in dem, so ihre Schlussfolgerung, aus dem Ausland gesteuerte „extremistische und nationalistisch gesinnte Personen“ den Ton angaben. Erkennbar ist außerdem die Unentschlossenheit bzw. Handlungsunfähigkeit des KGB, denn die Organisation sah sich nicht mehr imstande, den Einfluss vom Sąjūdis einzudämmen oder den sich ausweitenden Tourismus von Exillitauern zu stoppen.
Doch auch die Reisen von Litauern ins Ausland machten den Sicherheitsorgane Sorge. Dabei ging es nicht nur um den massiven quantitativen Anstieg, sondern auch um soziale Aspekte, denn nun reisten nicht mehr vor allem Pensionäre, sondern vor allem jüngere und gebildete Menschen nach Westen.
Um auch weiterhin die Kontrolle über die Situation zu behalten bzw. zumindest in Teilen wiederzuerlangen, sahen sich die Mitarbeiter des KGB gezwungen, die „Erziehungsarbeit“ unter der Bevölkerung zu intensivieren. So verfassten die 2. Verwaltung im Sommer 1989 mehrere den Verhaltensnormen für sowjetische Touristen im Ausland gewidmete Artikel, die in den zentralen und lokalen Zeitungen veröffentlicht wurden. Zudem griffen die Tschekisten auf die „altbewährte“, bereits in den 1970er Jahren verbreitete Praxis zurück, für ausländische Nachrichtendienste potentiell interessante Sowjetbürger zu „vorbeugenden Gesprächen“ einzuladen. Und die Reisegruppen unterlagen wie gewohnt der Bespitzelung durch KGB-Agenten.
Eine weitere von den grenzüberschreitenden Kontakten ausgehende Gefahr sah das KGB in dieser Hochphase der Perestroika auch darin, dass die „ideologische Bearbeitung“ sowjetischer Bürger im Ausland nicht nur nicht zurückging, sondern im Gegenteil zunahm. Immer öfter traten Rückkehrer offen dafür ein, dass sich die Republik „nach westlichem Muster“ entwickeln solle, riefen zu einem Austritt Litauens aus der Sowjetunion auf, äußerten offen Kritik an der KPdSU oder unterstützten die Einführung eines Mehrparteiensystems, riefen die Bevölkerung also aus Sicht der Sicherheitsorgane de facto zum Sturz der bestehenden Ordnung auf.
Gleichzeitig verfügten die Organe des KGB über immer geringere Möglichkeiten, eine ihrer Hauptaufgaben zu erfüllen, nämlich der sogenannten ideologischen Diversion vorzubeugen. Die bereits Ende der 1950er Jahre verbreitete Praxis der „vorbeugenden Arbeit“ der Organe der Staatssicherheit büßte ihre Effektivität ein. Einer der wichtigsten Indikatoren des fortschreitenden Autoritätsverlustes bestand darin, dass sich die Bürger in der Republik zunehmend weigerten, mit den Organen des KGB zusammenzuarbeiten.
Infolge der Perestroika verloren somit zahlreiche zuvor praktizierte Methoden der Tätigkeit der Organe des KGB ihre Durchschlagskraft. Die Gesellschaft ließ sich in immer geringerem Maße von Seiten der Partei- und Staatsführung kontrollieren.
Übersetzung aus dem Russischen. Das Originaldokument ist im Litauischen Forschungszentrum für Genozid und Widerstand (LGGRTC) verwahrt, und online abrufbar unter: Quelle Nr. 412 LSSR KGB 2-os valdybos pažyma apie kontržvalgybinio darbo turizmo sektoriuje pertvarkos laikotarpiu būklę ir priemones jų tobulinimui.
GEHEIM
Exemplar Nr. 8
Stempel: KGB der Litauischen SSR
… (unleserlich)… 19/2376
31.07.[198]9
Unten im Text handschriftlich eingefügt: C/2042 28.07.89
BERICHT
Über die Lage und Aufgaben des KGB der Litauischen SSR zur weiteren
Optimierung der im Bereich der Auslandsreisen sowjetischer Bürger
unter den Bedingungen der Perestrojka zu leistenden
nachrichtendienstlichen Arbeit
Die der Bekämpfung der bei Auslandsreisen sowjetischer Bürger von den feindlichen Geheimdiensten betriebenen Zersetzungstätigkeit dienende nachrichtendienstliche Arbeit stellt unter den gegenwärtigen Umständen eines der wichtigsten Tätigkeitsfelder der operativen Unterabteilungen des KGB der Litauischen SSR dar. Die genannte Arbeit erfolgt unter Bezug auf die in den entsprechenden Befehlen und Anweisungen des KGB der UdSSR enthaltenen Forderungen, die Entwicklung der in der Republik bestehenden operativen Lage und die Bestrebungen der Geheimdienste des Feindes.
Die operative Lage war in den vergangenen zwei Jahren erheblichen Veränderungen ausgesetzt. Infolge der sich im Land vollziehenden Prozesse der Demokratisierung und Transparenz wurden in der Republik verschiedene selbständige gesellschaftliche Bewegungen gegründet, an denen auch extremistisch und nationalistisch gestimmte Personen aktiv beteiligt sind. Im Zusammenhang mit der Aufhebung zahlreicher Restriktionen durch die Instanzen und der Vereinfachung der für Auslandsreisen geltenden Ordnung ist der Strom der aus der Republik in die kapitalistischen und Entwicklungsländer reisenden Bürger extrem angewachsen. Diese Umstände wirken sich nicht nur auf die operative Lage, sondern auch insgesamt auf das politische Leben der Republik aus, was eine Anpassung der nachrichtendienstlichen Maßnahmen erforderlich macht und die operativen Unterabteilungen des Komitees bei der Auslandsreisen betreffenden nachrichtendienstlichen Arbeit vor neue Aufgaben stellt.
Die befristeten Auslandsreisen von Bürgern der Republik wurden gezielter und koordinierter dazu genutzt, nachrichtendienstliche Informationen, Erkenntnisse zu den nachrichtendienstlichen Bestrebungen der Geheimdienste des Feindes sowie zu den feindlichen Absichten der antisowjetischen Emigrantenzentren zu erlangen.
Die Führungs- und Einsatzkräfte des Komitees leisten zusammen mit den Mitarbeitern der Außenstellen systematische Arbeit zur Überprüfung und professionellen Vorbereitung der Agenten auf die unter Auslandsbedingungen zu erfüllenden Aufgaben der Organe der Staatssicherheit. Um die Agenten besser auf die Arbeit im Ausland vorzubereiten und das Niveau der Befragungen sowjetischer Bürger zu steigern, werden für die in diesem Bereich zu leistende nachrichtendienstliche Arbeit zuständigen Mitarbeiter der Rayons- und Stadtdienststellen jedes Jahr Schulungen abgehalten.
Die an der Grenze geleistete nachrichtendienstliche Arbeit hat gezeigt, dass der Zoll angesichts der rapide steigenden Zahl der Ausreisenden nicht in der Lage ist, eine sorgfältige Kontrolle sicherzustellen, weswegen es häufiger zu Fällen von Schmuggel kommt. So wurden allein im Jahr 1988 207 Einwohner der Republik vom Zoll festgehalten, weil sie versucht hatten, ausländische Devisen oder aus Edelmetall gefertigte Wertgegenstände im Gesamtwert von 70.000 Rubeln über die Grenze zu schmuggeln. Allein am Grenzkontrollpunkt „Lazdijaj“ waren dies 177 Personen bei einer Summe von über 47.000 Rubeln.
Private Reisen
Die Zahl der Auslandsreisen sowjetischer Bürger hat sich im Jahr 1988 im Vergleich zu 1987 verfünffacht, und die für dieses Jahr vorliegenden vorläufigen Daten geben Grund zu der Annahme, dass der Strom der privaten Auslandsreisen im Vergleich zum Vorjahr um das über 2,5-fache gestiegen ist.
Um ein Vielfaches gestiegen ist die Zahl der in sozialistische Länder führenden Auslandsreisen. So sind allein im Jahr 1988 über 70.000 Personen ausgereist (davon über 55.000 in die Volksrepublik Polen, etwa 8.000 in die DDR und 6.000 in die Volksrepublik Ungarn).
Darüber hinaus sind im Jahr 1987 467 und im vergangenen Jahr 507 Personen dauerhaft ausgereist, davon 319 nach Israel.
Die Analyse hat gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Ausreisenden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von Vertretern der mittleren Generation gestellt wird, bei denen es sich zu einem großen Teil um Angestellte, Vertreter des medizinischen Personals sowie Angehörige der wissenschaftlich-technischen und der künstlerischen Intelligenz handelt (in den Vorjahren gehörten die Reisenden größtenteils der älteren Generation an). Bei der Suche nach Möglichkeiten, ins Ausland zu reisen, ist insbesondere unter Vertretern der jüngeren Generation das Bestreben zu erkennen, Kontakte zu Ausländern herzustellen sowie mit diesen Devisenschmuggel und Spekulationsgeschäfte zu tätigen. Mit dem Ziel, auf privater Grundlage Geschäftsbeziehungen mit Ausländern herzustellen, waren in letzter Zeit Vertreter verschiedener Kooperativen der Republik aktiv.
Eine Besonderheit der operativen Lage besteht darin, dass die Zahl der ins Ausland reisenden Ehepartner und Familienangehörigen in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, was in früheren Jahren relativ selten genehmigt wurde.
Mit dem Ziel, Informationen zu erlangen, die für die Organe des KGB von Interesse sind, wurden über 150 Personen befragt, die aufgrund ihrer dienstlichen Stellung, ihres Bildungsstands, ihres Alters oder ihrer Kontakte für die Geheimdienste des Feindes von Interesse sein können.
Die Analyse der eingehenden Materialien zeugt davon, dass eine der Hauptformen der mit Blick auf privat ins Ausland reisende Sowjetbürger betriebenen Zersetzungstätigkeit des Feindes auch weiterhin darin besteht, diese aktiv zu beobachten und ideologisch zu beeinflussen, zur Nichtrückkehr in die Heimat zu bewegen und Emigrations-Stimmung zu entfachen, wobei diese Arbeit vor allem vom antisowjetisch gestimmten Teil der litauischen Emigration betrieben wird.
Die Beeinflussung sowjetischer Bürger ist vor allem darauf ausgerichtet, dass sich diese nach der Rückkehr in die UdSSR aktiv an der Propaganda für eine an westlichen Mustern orientierte Entwicklung der Republik und für einen Austritt der Litauischen SSR aus der Sowjetunion beteiligen sollen. Sowjetbürgern wird die Idee eingeimpft, dass die KPdSU unfähig sei, die führende und organisierende Kraft im Land zu sein, dass ein Mehrparteiensystem nötig sei und alle Schichten der Gesellschaft der Republik aktiver zum Widerstand gegen das „Besatzungsregime“ herangezogen werden müssten. Im Berichtszeitraum wurden fünf Anwerbungsversuche dokumentiert.
[…] Es ist anzumerken, dass sich die Ausrichtung des Interesses für unsere Bürger und der Charakter der diesen gestellten Fragen seit dem Sommer 1988 geändert hat. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gilt das Interesse vor allem der Gewinnung von Informationen über die in der Republik zur Zeit der Demokratisierung herrschende politische Situation, der Tätigkeit von „Sąjūdis“ und anderen informellen Vereinigungen und deren Führern, der Reaktion auf die sich in Moskau vollziehenden Ereignisse sowie der Vorhersage der weiteren Entwicklung im Land. Private Auslandsreisen werden vom Feind auch dazu genutzt, von Sowjetbürgern Informationen politischen, ökonomischen und sonstigen Charakters zu erhalten. […]
Tourismus
Im Untersuchungszeitraum stieg die Zahl unserer als Touristen in kapitalistische und Entwicklungsländer reisenden Bürger um 30 %. So reisten 1987 75 Gruppen mit insgesamt 2.150 Personen, 1988 97 Gruppen mit insgesamt 2.836 Personen und im ersten Quartal des laufenden Jahres 13 Gruppen mit insgesamt 474 Personen ins Ausland.
Im Zuge der nachrichtendienstlichen Absicherung der als Touristen ins Ausland reisenden Gruppen haben die Agenten, Vertrauens-Personen und Gruppenleiter Informationen zur Lage in den Zielländern und zum Verhalten sowjetischer Touristen zusammengetragen und eine Reihe von Ausländern ausfindig gemacht, deren Verhalten darauf hindeutet, dass sie den Geheimdiensten des Feindes angehören. In der Arabischen Republik Ägypten, in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und in der BRD wurde (sowohl in den Unterkünften und auch auf den Reisewegen) dokumentiert, dass sowjetische Touristen überwacht wurden. Festgestellt wurden Fälle der Durchsuchung des Gepäcks der Touristen in Italien und in der Arabischen Republik Ägypten.
Es kommt weiterhin vor, dass die von den Reiseveranstaltern gestellten Fremdenführer und litauische Emigranten direkt oder in indirekter Form versuchen, sowjetische Touristen zur Nichtrückkehr in die Heimat zu bewegen, und ideologischen Einfluss auf unsere Bürger ausüben (USA, BRD). Es wurden Fälle der Verteilung antisowjetischer und religiöser Literatur in der BRD und in Finnland dokumentiert.
Im Untersuchungszeitraum kehrten fünf Personen aus Spanien, aus der BRD, aus der Türkei, aus Österreich und aus Ungarn von touristischen Reisen nicht in die UdSSR zurück. Die Untersuchung ergab, dass sie alle aus persönlichen Gründen im Ausland blieben, keine Geheimnisträger waren [und] keine sowjetfeindliche Tätigkeit betreiben.
Seit 1988 wird ein Teil der touristischen Reisescheine in sozialistische Länder über den freien Verkauf von „Intourist“ vertrieben. In diesem Zusammenhang stieg die Zahl der Reisenden mit geringen moralisch-politischen Qualitäten, die sich in einigen Fällen Abweichungen von den für Sowjetbürger im Ausland geltenden Verhaltensnormen erlaubten. Zur Besserung der operativen Lage wurden in einigen republikweiten und auf Rayonsebene erscheinenden Zeitungen [entsprechende] Artikel veröffentlicht.
Infolge der Vereinfachung der für Auslandsreisen geltenden Ordnung wurde die von Seiten der Parteikomitees und Basisorganisationen der Partei über diesen Bereich ausgeübte Kontrolle spürbar geschwächt. […]
Kultur- und Sportaustausch
Unter den Bedingungen von Perestrojka und Glasnost' nimmt die Zahl der von Seiten der kreativen Intelligenz unternommenen Auslandsreisen tendenziell zu, da die Zusammenarbeit einzelner Musik- und Theaterensembles mit gesellschaftlichen Organisationen und privaten Firmen zunimmt. Es ist zu verzeichnen, dass immer mehr Wissenschaftler der Akademie der Wissenschaften der Litauischen SSR und insbesondere der geisteswissenschaftlichen Institute ins Ausland reisen, um an Symposien, Konferenzen usw. teilzunehmen.
[…] Insgesamt sind auf diesem Weg im Untersuchungszeitraum etwa 830 Personen ins Ausland gereist.
Die nachrichtendienstliche Arbeit hat gezeigt, dass die Aufhebung einer Reihe von Ausreisebeschränkungen das Interesse für die „westliche Demokratie“ im Sinne einer Übertragung einzelner ihrer Elemente auf die Republik erheblich hat steigen lassen. Auch mit Blick auf Kontakte zu Ausländern hat sich die öffentliche Meinung gewandelt - weg von einer „Sorge vor den Konsequenzen“ hin zu einem Streben nach solchen Kontakten. Von den Führern und einzelnen Mitgliedern informeller Vereinigungen wurde die These vertreten, dass der Westen einschließlich der litauischen Emigranten der Republik politische, ökonomische und materielle Hilfe leisten könne.
Die eingehenden Agentenberichte und sonstigen operativen Materialien zeugen davon, dass die Geheimdienste und reaktionären litauischen Emigrantenzentren und -organisationen auch weiterhin versuchen, Informationen über die Lage und die sich innerhalb der künstlerischen und wissenschaftlichen Intelligenz sowie unter der Jugend der Republik vollziehenden Prozesse zusammenzutragen. Es sind Bestrebungen dokumentiert, die Prozesse der Demokratisierung und Transparenz dazu zu nutzen, einzelne ihrer Vertreter negativ zu beeinflussen.
Dabei wird das Ziel verfolgt, eine legale „konstruktive“ Opposition zu gründen, die sich ihrer Meinung nach durch die Förderung diverser „alternativer Angebote“ schaffen lässt.
[…] Mit der Entwicklung von Glasnost' und der Demokratisierung der Gesellschaft ist das Problem entstanden, die Befragung ins Ausland reisender Sowjetbürger auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, da sich einige Bürger rundheraus weigern, mit den operativen Mitarbeitern zu sprechen. Von den ins Ausland reisenden Sowjetbürgern wurden in der Regel Agenten und Vertrauens-Personen befragt, d.h. jene, mit denen der operative Mitarbeiter stabile Beziehungen auf operativer oder dienstlicher Grundlage unterhält.
Es ist einzugestehen, dass die von uns angesichts der neuen operativen Lage zur Abwendung von Schäden durch den Abschluss schlecht ausgearbeiteter Verträge und zur Verhinderung des Verrats von politischen und sonstigen Informationen an den Feind ergriffenen Maßnahmen sowie einige weitere Aspekte der den Bereich der Auslandsreisen betreffenden nachrichtendienstlichen Arbeit nicht den gewünschten Effekt hatten. Die meisten auf Ebene der Städte und Rayone bestehenden Organe des KGB der Republik haben ihre diesen Bereich betreffende operative Arbeit noch nicht umgestellt. In einer Reihe von Fällen reichen sie ihr Material nicht oder nur mit großer Verzögerung bei der 2. Verwaltung ein [und] arbeiten nur unzureichend mit den anderen Unterabteilungen des Komitees zusammen. Es ist dringend geboten, die operative Absicherung der ins Ausland reisenden Sowjetbürger und die Beobachtung der einreisenden Ausländer als einheitlichen nachrichtendienstlichen Prozess zu betrachten.
Die Analyse der Materialien zeugt davon, dass die operativen Mitarbeiter bei der Befragung in vielen Fällen unprofessionell vorgehen: Schwache Kenntnis der im Zielland des Befragten bestehenden operativen und politischen Lage, des für die Organe interessanten Personenkontingents, der Mitarbeiter der ausländischen Emigrantenzentren, mit denen die Befragten Kontakt hatten, der mit Blick auf die Republik verfolgten Absichten des Feindes usw.
Von der Informations- und Analyseabteilung wird die im Bereich privater Reisen geleistete Arbeit nur unzureichend analysiert. Es besteht keine Möglichkeit, ein vollständiges Bild der in den Zielländern und deren konkreten Regionen herrschenden operativen Lage zu erhalten, es ist nicht zu erkennen, worauf die die Sowjetbürger betreffenden Bestrebungen der Geheimdienste in jedem einzelnen Land ausgerichtet sind. Dieser Umstand erschwert sowohl die Vorbereitung der Agenten als auch die Durchführung einer tiefgehenden professionellen Analyse dieses Bereichs der tschekistischen Tätigkeit.
Durch die Beseitigung der genannten sowie anderer bestehender Mängel und Versäumnisse lässt sich die effektive Organisation der im Bereich der Auslandsreisen sowjetischer Bürger geleisteten nachrichtendienstlichen Arbeit verbessern.
2. Verwaltung des KGB der Litauischen SSR