Pogłos miasta - Das Nachhallen der Stadt. Ein interdisziplinäres Forschungs- und Ausstellungsprojekt
in Kooperation mit Anna Konik (Szczecin) und Constance Krüger (Frankfurt/Oder)
In unserem Alltag in der Stadt, auf unseren Wegen durch selbige, in der Art und Weise, wie wir sie wahrnehmen und wie wir uns zu ihr in Beziehung setzen, befinden wir uns in einer beständigen Kommunikation mit der Geschichte der Stadt. Ihr beständiges Nachhallen umgibt uns, es dringt in uns ein, wir nehmen es auf, verändern es, tragen es fort und transformieren es in das, was kommen wird. Bewusst oder unbewusst (er)leben wir so einen beständigen Moment der Aneignung, Umdeutung und Emanzipation. Um die Vergegenwärtigung dieses Prozesses geht es in dem Projekt, das in einer Kooperation des Nordost-Instituts, Lüneburg (Katja Bernhardt), der Europauniversität Viadrina, Frankfurt/Oder (Constance Krüger) und der Akademia Sztuki w Szczecinie, der Akademie der Künste in Stettin, (Anna Konik) im Jahr 2022 realisiert und mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert wird.
Den Ausgangspunkt des Projektes bildet Stettin/Szczecin. Die Stadt erlebte in Folge des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs großflächige Zerstörungen und einen umfassenden Bevölkerungsaustausch. Auf radikale Weise wurde so die scheinbare Selbstverständlichkeit der Stadt, ihrer technischen Funktionen, gesellschaftlichen Strukturen, der Bedeutungen der symbolischen Markierungen, des alltäglichen und das über den Alltag hinausweisenden Selbstverständnisses ihrer Bewohner:innen unterbrochen. Während sich der Nachhall der einstigen Stadt in den nach Westen flüchtenden und ausgesiedelten Stettiner:innen vom Ort löste und in der Erinnerung eine eigene Dynamik annahm, sahen sich die neuen, zumeist polnischen Siedler:innen mit einer ihnen weitgehend fremden Stadt konfrontiert - oft mit der Erfahrung eines ebenso radikalen Heimatverlustes im seelischen Gepäck. Das Sich-Einlassen auf die Stadt war ein langwieriger und vielschichtiger Prozess, der bis in die Gegenwart anhält. Die Aneignung bedeutete dabei ebenso ein gezieltes Übertönen des Nachhallens der deutschen Stadt wie das unausweichliche Eingehen auf deren Rhythmus, der durch ihre Bauten, ihre Infrastruktur us. - kurz: durch ihre sich immer wieder an die Oberfläche durchdrückende historische Bedingtheit vorgegeben wurde. Dieses Nachhallen wurde dabei beständig modifiziert, mit eigenen Tönen durchwoben und hat durch diese polnische Geschichte der Stadt einen ganz eigenständigen Klang angenommen.
Präsentation des Projektes in polnischer Sprache auf der Homepage der Akademia Sztuki w Szczecinie (Akademie der Künste in Stettin)
Studierenden des Studios für filmischen Raum der Kunstakademie in Stettin/Akademia Sztuki w Szczecinie spürten diesem Nachhallen in filmischen Projekten nach. Die Projekte entstanden unter der Leitung von Anna Konik unter Mitarbeit von Piotr Bruch im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Sommersemester 2022, in der die ästhetisch-künstlerische und konzeptionelle Arbeit eng mit der Entwicklung theoretischer und analytischer Fähigkeit verflochten wurde. Die Arbeit an den Projekten wurde mit einer Reflexion und Dokumentation der Arbeitsmethoden verknüpft, womit eine Schnittstelle zu einer parallel laufenden Lehrveranstaltung an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder hergestellt wurde.
Die Studierenden der Viadrina begleiteten den Entstehungsprozess der Projekte und entwickeltn unter der Leitung von Constance Krüger ein Konzept, auf Grundlage dessen elf Filme der Studierenden aus Stettin sowie ein Soundscape von Piotr Bruch in Frankfurt/Oder/Słubice im Rahmen des Labyrint – Festival Neuer Kunst vom 21.-23. Oktober 2022 im Kleistforum Frankfurt (Oder) präsentiert wurden. Das Ziel und zugleich die Herausforderung für die Studierenden der Viadrina bestand darin, eine Brücke zum Ort der Ausstellung, der Doppelstadt zu schlagen, die eine zu Stettin/Szczecin vergleichbare Geschichte aufweist, die sich aber durch die Teilung der Doppelstadt und in den beiden Teilen jeweils unterschiedlich ausgeprägt hat. Die Ausstellung von einer Zeitung sowie Ansichtspostkarten, die die Projekte der Studierenden vorstellten, begleitet. Die Entwürfe hierfür erarbeitete Julia Musz, Studierende im Studio für Entwurf Druck- und multimedialer Medien der Kunstakademie in Stettin/Akademia Sztuki w Szczecinie. Beides, Karten und Zeitung, können auf der Webseite des Projektes auf der Homepage der Kunstakademie in Stettin/Akademia Sztuki w Szczecinie eingesehen und heruntergeladen werden.
Filmaufzeichnung der Ausstellungspräsentation.
Wir begreifen das Projekt Pogłos miasta/Das Nachhallen der Stadt als ein Laboratorium, in dem drei Ebenen – die historisch-kritische Analyse, die künstlerisch-kreative Betrachtung und die reflektierende Vermittlung – konzeptionell und in der Praxis eng ineinandergreifen. Mit dieser experimentellen Form, die wir gleichermaßen als Erkenntnismethode und als Kommunikationsform verstehen, wollen wir dem ebenso simplen wie widerspenstigen Fakt Rechnung tragen, dass jeglicher Zugang zur Vergangenheit in der Stadt von der jeweiligen Gegenwart bedingt ist.